Geberit-WC sind teuer, aber versprechen ein Stück sichere Schweiz in einer unsicheren Welt. Zum Jubiläum erklärt der Chef Christian Buhl den Aufstieg – und warum wir auf dem Klo zu konservativ sind.
Herr Buhl, ich habe mir eines Ihrer WC-Modelle näher angeschaut. Es bietet eine Fernbedienung, eine Reinigungs- und Massagefunktion, Gesässdusche, Ladydusche, Föhn, einstellbare Lufttemperatur, Sitzheizung und Nachtlicht. Wer braucht das?
Jemand, der viel Komfort wünscht. Brauchen Sie zwingend einen elektrischen Kofferraumöffner beim Auto? Vermutlich nicht. Brauchen Sie automatische Fensterheber? Nein, aber es ist mehr Komfort. Überlegen Sie sich, wie viel Zeit Sie in Ihrem Leben auf der Toilette verbringen. Da kann es sinnvoll investiertes Geld sein, dort etwas mehr Komfort zu haben.
Wird Geberit bald auch eine Geräuschprinzessin anbieten?
Was ist denn das?
Ein Feature aus Japan, das dort seit Jahrzehnten verbaut wird. Das Gerät erzeugt Geräusche, um unsere menschlichen Töne beim Stuhlgang zu überdecken. Damit sich niemand belästigt fühlt.
Ach so. Das Feature kenne ich, aber nicht den Begriff. Grundsätzlich würde ich das nicht ausschliessen. Was wir aber schon haben, ist eine Geräuschreduktion beim Spülen und beim Füllen des Spülkastens. Geberit hat hier in Rapperswil-Jona ein eigenes bauphysikalisches Labor, das sich unter anderem mit Schallfragen beim WC beschäftigt.
Wann würden Sie sich nicht auf eine Klobrille setzen?
Das hängt davon ab, wie dringend ich auf die Toilette muss. Aber Verschmutzung ist natürlich ein Problem. Darum machen wir WC, die so einfach wie möglich zu reinigen sind. Klassische WC haben Spülränder. Die sind oft verschmutzt. Wir lassen den Rand weg, dann sind Toiletten einfacher zu reinigen. Unsere neueste Spülung funktioniert auch nicht wie ein Wasserfall in der Mitte der Schüssel, sondern spült wie ein Wirbel die Schüsselwand entlang. Das reinigt deutlich besser.
Ist ein Geberit-WC typisch schweizerisch?
Absolut. Es repräsentiert Qualität, Zuverlässigkeit, Präzision, Langlebigkeit.
Es hält dicht.
Auch das. Als Schweizer ist es auch ein Stück Heimat, wenn man irgendwo auf der Welt auf einer Geberit-Toilette sitzt.
Diese Entwicklung war im Jahr 1874 nicht zu erwarten. Damals hatte Albert Gebert das Unternehmen in Jona als Spenglereibetrieb gegründet. Der entscheidende Schritt folgte 1905, als er einen eigenen Spülkasten entwickelte. Wie kam er dazu?
Die anekdotische Erklärung lautet, dass der Gründer sechs Kinder hatte, wovon drei früh an Diphtherie gestorben sind. Die Krankheit wird durch Bakterien und Verunreinigungen verbreitet. Gebert war der Meinung, dass mit einem besseren Spülkasten die Hygiene verbessert wird.
Was war das Besondere an seinem Spülkasten?
Die Toilettenspülung durch einen Kasten, aus dem Wasser herunterfällt, verbreitete sich erstmals in England ab dem Ende des 18. Jahrhunderts. Es waren Holzkästen. Gebert war ein Spengler, er hat Metall verarbeitet. Seine Innovation war, dass er den Spülkasten mit Blei ausgeschlagen hat. Das machte ihn stabiler und dichter. Auch die Spül- und Füllventile aus Metall hat er verbessert.
Ab 1917 wurde in Rapperswil die erste Fabrik für die Spülkästen gebaut. Das war während des Ersten Weltkriegs. Warum hat man ausgerechnet zu jener Zeit expandiert?
Das wissen wir nicht genau. Aber es spricht für den Mut, der sich durch die Firmengeschichte zieht. Das Produkt ist gut, aber das Umfeld ist schlecht. Da braucht es den Mut, langfristig zu denken.
Die erste Produktion im Ausland begann 1955 mit einer Werkseröffnung in Pfullendorf in Süddeutschland. Wieso dort?
In Deutschland lief der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Da brauchte es Spülkasten. Geberit hatte 1952 den ersten Spülkasten aus Kunststoff entwickelt und die Produktion darauf umgestellt. Man ging nach Deutschland in der Erwartung, dass dort ein grosser Markt entsteht und man lokal produzieren muss – wahrscheinlich, weil die Kapazitäten in der Schweiz nicht ausreichen würden. Das war wieder das Gespür der Geberts.
Wenn die Gründerfamilie Gebert heisst, warum heisst die Firma Geberit?
Das geschah ebenfalls, als man in jener Zeit von Metall auf Kunststoff wechselte. Die Endung «-it» galt damals als modern. Zum Beispiel war Bakelit der erste industriell produzierte Kunststoff. Oder die Faserzementplatten von Eternit. Das Unternehmen wollte modern klingen.
In den 1950er Jahren wurde das Geschäft um Abläufe und Rohre aus Kunststoff erweitert. Heute macht Geberit einen Drittel des Umsatzes mit Rohrleitungssystemen. Warum sind die so wichtig geworden?
Nachdem Geberit beim Kunststoff angekommen war, stellte sich die Frage, was sich daraus noch machen lässt. Der Hauptkunde war und ist der Installateur, und der braucht nicht nur Spülkästen, sondern auch Rohrleitungen.
Ein Rohr ist doch ein Rohr. Was macht das unternehmerisch interessant?
Der Installateur braucht Qualität und Zuverlässigkeit. Ein Wasserschaden hinter der Wand hat fatale Folgen. Ausserdem gibt es auch bei Rohrleitungssystemen viel Raum für Innovationen, was attraktive Margen ermöglicht. Je einfacher und sicherer der Installateur sie einbauen kann, desto besser. 2021 haben wir beispielsweise das neue Rohrsystem Flowfit lanciert. Es war die teuerste und aufwendigste Entwicklung der Firmengeschichte und ist ein Blockbuster für das Umsatzwachstum.
Seit 2015 hat Geberit den Endkunden verstärkt im Blick. In jenem Jahr hat man die finnische Sanitec-Gruppe gekauft. Seither stellt Geberit WC-Schüsseln und Badkeramik her. Warum auch das noch?
Um noch innovativer zu werden, indem wir den Spülkasten mit der Keramik verbinden. Ausserdem war es eine geografische Überlegung: Es gibt Märkte wie beispielsweise Frankreich oder Osteuropa, wo der gut ausgebildete Installateur fehlt. Dort entscheidet vielmehr der Endkunde, und für den ist die Keramik viel wichtiger. Wir brauchen in diesen Märkten quasi die Keramik, um dem Endkunden auch den Spülkasten schmackhaft zu machen.
Die zehn Keramikwerke sind Teil der weltweit 26 Produktionsstandorte von Geberit. Drei sind noch in der Schweiz: einer in Givisiez im Kanton Freiburg und zwei hier bei der Zentrale in Rapperswil-Jona. Rechnet sich die Schweiz noch?
Ja. Rapperswil-Jona ist nach Pfullendorf in Deutschland unser zweitgrösster Standort. Wir produzieren hier 95 Prozent aller Betätigungsplatten für die Spülkästen und Verbindungsstücke für unsere Rohrleitungen. Das ist hoch automatisiert. Wenn man in der Schweiz produziert, zwingen einen die Kosten, sehr effizient zu fertigen und sehr innovative Produkte herzustellen. Man ist permanent unter Druck. Ich halte das für einen Vorteil. Ausserdem ist es wichtig, dass die Zentrale nicht den Kontakt zur Produktion verliert.
Nicht jede Innovation hat funktioniert: 1978 entwickelte Geberit das Thermoclos, ein gasbetriebenes Feuerklosett, das Fäkalien in Dampf und Asche verwandelt. Das war ein Flop. Was ging schief?
Es war der Versuch einer alternativen Lösung für das WC. Dessen Kernfunktion ist der Abtransport von menschlichen Ausscheidungen. Die klassische Toilette macht das mit Wasser. Eine Alternative kann sein, die Exkremente vor Ort quasi aufzulösen. Das war die Idee. Aber das Verbrennen beim Thermoclos hat unglaublich gestunken. Deshalb hat es nicht funktioniert. Wasser ist aber nicht nur ein sehr gutes Transportmittel, es bindet auch hervorragend Gerüche.
Sie sind stark auf Europa fokussiert. Wie wichtig ist das Geschäft ausserhalb Europas?
Wir wollen auch ausserhalb Europas wachsen. Aber gezielt nur dort, wo wir Potenzial für die europäische Sanitärtechnologie sehen, also für die Art und Weise, wie wir unter anderem in der Schweiz, Deutschland und Österreich Toiletten und Rohrleitungen einbauen.
Wo ist dieses Potenzial?
Zum Beispiel in den Ländern des Commonwealth. Aufgrund des britischen Einflusses spült man dort mit Spülkästen. Darum haben wir zum Beispiel auch ein Werk in Indien. Im Gegensatz dazu gibt es grosse Märkte wie etwa die USA, wo WC mit Druckspülern oder Unterdrucksystemen funktionieren. Eine ganz andere Technologie. Die Sanitärindustrie kann von Land zu Land sehr unterschiedlich sein, das ist eine der grössten Hürden für die Expansion. Umgekehrt ist es für Geberit in Europa aber auch ein Schutz.
Manchmal werden in Europa die Unterschiede zum Problem. Geberit hat seit 1978 ein Dusch-WC im Programm. Der Durchbruch ist ausgeblieben. Warum tun sich die Europäer so schwer mit der Popodusche?
Es ist noch schlimmer. Das erste Dusch-WC wurde schon 1957 entwickelt, und zwar in der Schweiz, wenn auch nicht von Geberit. Trotzdem ist es bis heute kein Standard, im Gegensatz etwa zu Japan. Das hat viel mit Gewohnheiten zu tun. Ihnen wird als Kind beigebracht, wie Sie auf die Toilette gehen. Das zu ändern, ist sehr schwierig. Es ist auch schwierig, darüber zu sprechen, denn es ist ein sehr intimes Thema. Sie müssen persönlich erfahren, dass ein Dusch-WC angenehmer und hygienischer ist als die Reinigung mit Papier.
Das Dusch-WC mit allen Features, über das wir am Anfang gesprochen haben, ist sehr teuer. Es gibt Modelle für 4400 Franken. Neu hat Geberit auch ein Einsteigermodell, das im April in Europa lanciert wurde. Warum erst jetzt?
Es ist nicht so einfach, ein günstiges Dusch-WC herzustellen. Wenn man aber einen neuen Standard etablieren will, dann muss der zu einem Preis erhältlich sein, der für die Mehrheit der Bevölkerung erschwinglich ist. Das hatte die Branche bisher zu wenig realisiert.
Im Jahr 2023 ging es der europäischen Baubranche schlecht. Der Umsatz von Geberit fiel um 9 Prozent auf 3,1 Milliarden Franken. Die Zahl der Mitarbeiter wurde um 5 Prozent reduziert – und die Bruttogewinnmarge stieg deutlich. Gehören Entlassungen zum Geschäftsmodell?
Nein, überhaupt nicht. Das waren auch keine Entlassungen von Festangestellten oder eine Restrukturierung. Gehen mussten temporäre Mitarbeiter. Wir haben zuvor beim starken Umsatzwachstum, das durch die Pandemie ausgelöst wurde, bewusst mit noch mehr befristeten Verträgen gearbeitet, weil wir nicht wussten, wie sich die Nachfrage entwickelt.
Wurden auch Verträge in der Schweiz nicht verlängert?
Ja, aber wenige. Zudem haben wir gemeinsam mit den Mitarbeitervertretungen die Flexibilität der permanenten Angestellten in den letzten zwei Jahren erhöht. Die operative Flexibilität war in dieser Zeit sehr wichtig für den Erfolg von Geberit.
Der grösste Markt von Geberit mit einem Umsatzanteil von 30 Prozent ist Deutschland, und der ist besonders stark eingebrochen. Ist Deutschland ein Klumpenrisiko?
Deutschland ist ein Klumpen. Wenn der Markt schlecht läuft, spricht man vom Klumpenrisiko. Wenn der Markt sehr gut läuft, spricht aber niemand von einer Klumpenchance. Ohne den deutschen Bauboom von den 1950er bis Ende der 1970er Jahre wäre Geberit nicht da, wo die Firma heute ist. Man darf auch nicht vergessen, dass Zentraleuropa für die weltweite Sanitärindustrie nach wie vor der profitabelste Markt mit den attraktivsten Margen ist.
Wie sehen Sie das laufende Jahr?
Wir gehen weiterhin davon aus, dass die europäische Bauindustrie 2024 schrumpfen wird, vor allem der Neubau. In unseren Kernmärkten ist es einer der grössten Einbrüche im Wohnungsneubau seit Jahrzehnten. Kurzfristige Vorhersagen sind aber immer schwierig und oft weniger relevant. Für die lange Frist, da braucht man eine Meinung.
Geberit hat 2023 trotz Krise 27 Prozent mehr in die Werksanlagen investiert, vor allem in Deutschland. Wieso das?
In Krisen hat man viel mehr Opportunitäten, um sich von Mitbewerbern abzusetzen. Die Menschen brauchen Toiletten, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Das ist der Bogen zu den Anfängen im Ersten Weltkrieg. Man braucht den Mut, genau in dem Moment zu investieren, wo die Konkurrenz abwartet. Grösse schützt uns aber auch in anderer Hinsicht.
Nämlich?
Vor disruptiven Technologien. Nehmen wir an, Elon Musk entwickelt die Toilette komplett neu, zum Beispiel ein Thermoclos, das funktioniert. Wenn das passiert, muss Elon Musk aber auch noch Hunderttausende von Installateuren in Europa von der neuen Technologie überzeugen. Sehr traditionelle Installateure, zu denen wir seit Jahrzehnten ausgezeichnete Beziehungen pflegen. Das gibt uns Zeit, uns anzupassen.
Wie viel Zeit wollen Sie persönlich noch investieren? Sie sind seit 2015 Firmenchef, und der bereits 72-jährige Albert Baehny ist seit 2015 der Präsident des Verwaltungsrats. Werden Sie sein Nachfolger?
Ich bin sehr glücklich bei Geberit und fühle mich privilegiert, den CEO-Job zu machen. Die Frage des Vorsitzes ist eine Frage für den Verwaltungsrat und muss von ihm beantwortet werden, nicht von mir.
Sie kamen 2009 von McKinsey zu Geberit. Warum gibt man die pulsierende Welt der Unternehmensberater auf und wechselt zu einem Spülkastenhersteller in Jona?
Ich bin aufgrund einer Absage von Geberit bei McKinsey gelandet, denn ich hatte mich bei beiden Firmen beworben. Die Geschichte von Geberit hatte mich schon immer fasziniert. Ich wollte lernen, wie man aus doch recht einfachen und einfach zu kopierenden Produkten ein attraktives Geschäft machen kann. Ich habe im Jahr 1999 als Student beim Börsengang Aktien gekauft.
Dieser Börsengang war eine Zäsur. 1991 hatte erstmals ein Manager von ausserhalb der Familie die Geschäftsleitung übernommen. 1997 verkaufte die Familie Gebert die Firma an Investoren, weil sich kein interner Nachfolger finden liess. Heute ist Geberit in Streubesitz. Haben Sie keine Angst, übernommen zu werden?
Entscheidend ist, dass wir unseren Job gut machen und Resultate liefern. Dann reflektiert sich das im Kurs und bei den Aktionären. Eine entsprechende Bewertung ist der beste Schutz.
Abgesehen von Elon Musk: Was ist die grösste Herausforderung für Geberit?
Das Vermeiden von Arroganz. Leicht könnten wir uns zurücklehnen und es uns gemütlich machen. Es ist ganz entscheidend, die Bodenhaftung nicht zu verlieren und sich nicht selbst zu überschätzen. Erfolg hat oft auch mit Zufällen zu tun. Dass Albert Gebert kurz vor seinem Tod einen Spülkasten im Keller entworfen hat, war wohl auch ein wenig Zufall. Er hat wohl kaum gedacht, dass daraus eine solche Erfolgsgeschichte werden kann.
«Die Nationalbank» und ihr Chef
bet. · Der 50-jährige Christian Buhl nennt Geberit, Europas Marktführer für Sanitärprodukte, scherzhaft «die Nationalbank von Rapperswil-Jona». Im Jahr 2023 resultierte aus einem Umsatz von 3,1 Milliarden Franken ein Reingewinn von 617 Millionen Franken – trotz Einbruch im europäischen Bausektor.
Mit deutlichen Preiserhöhungen, aber auch mit Kostensenkungen schützte Geberit die Profitabilität. Rund je einen Drittel des Umsatzes macht die Firma mit Spül- und Rohrsystemen «hinter der Wand» sowie der sichtbaren Badkeramik. Diese Breite deckt sonst kaum ein Wettbewerber ab.
Buhl führt das Unternehmen seit 2015, nachdem er 2009 als Leiter der strategischen Planung zum Konzern gestossen war. Die vergangenen Jahre waren turbulent: Auf den Renovationsboom zu Beginn der Corona-Pandemie folgten Lieferkettenkrise, Inflation und nun die Baukrise. Die Aktien notieren wieder etwa auf dem Niveau von Jahresbeginn 2020. Ende 2023 zählte der Konzern weltweit knapp 11 000 Beschäftigte.