Mark Court ist einer der wenigen Künstler bei Rolls-Royce, die eine «Coach Line» am Blech ziehen dürfen. Wackeln fast verboten. Mehr Handarbeit im Automobilbau gibt es nicht.
Es ist die ruhige Hand, die ihn ausmacht. Mit chirurgischer Präzision malt Mark Court nach Wunsch eine Linie aufs Blech. Bei einem so hoch industrialisierten Produkt wie einem Auto ist das eher ungewöhnlich. Doch nicht alle Autos sind Fortbewegungsmittel von der Stange. Bei Rolls-Royce im südenglischen Goodwood können solvente Kunden im sogenannten Bespoke-Programm ihr ganz persönliches Auto anfertigen lassen – inklusive einer handgemalten Linie auf der Karosserie.
«Bespoke» ist Englisch und bedeutet Massanfertigung. Die speziellen Modelle sind Einzelstücke und zeigen die höchste Handwerkskunst im Automobilbau. Ein Rolls-Royce Phantom benötigt mehr als 600 Stunden Handarbeit – je nach Komplexität eines Bespoke-Auftrags kann sich diese Zeit gar verdoppeln. Es ist die ultimative Form von Luxus. Neben diversen Farben, Ledersorten, Holzarten, Stickereien und anderen Extrawünschen bieten die Briten eine Leistung, die einzigartig im Automobilbau ist – eine handgemalte Linie.
Die sogenannte Coach Line wird mit einem dünnen Pinsel von Hand an den Seiten vom vorderen Kotflügel bis zum Heck gezogen. Sie zählt mittlerweile zu einem ikonischen Merkmal von Rolls-Royce, betont sie doch die Designlinien des Fahrzeugs und akzentuiert die Aussenfarbe der Karosserie. Gleichzeitig ist sie ein Symbol für authentische Handwerkskunst. Rund die Hälfte aller neuen Rolls-Royce-Fahrzeuge tragen eine Coach Line.
Viele davon hat Mark Court gezeichnet. Der 62-Jährige ist dienstältester Coach-Line-Painter bei Rolls-Royce. Der gelernte Schildermaler verziert seit 22 Jahren die Karosserien der britischen Edelschmiede und wirkt seit einiger Zeit bei der Ausbildung der neuen Generation von Coach-Linern mit. «Präzision war schon immer meine Leidenschaft, ebenso die Arbeit mit den Händen», sagt Mark Court. Er bezeichnet sich selbst ganz profan als Maler. Dass er den Fahrzeugen die letzte Note verleiht, ergab sich eher durch Zufall.
6 Monate üben an BMW-Motorrad-Tanks
Als Rolls-Royce Anfang der 2000er Jahre das neue Werk in Goodwood baut, bewirbt sich Mark Court – er kommt aus der Nachbarschaft. Zuerst musste sich der Brite im BMW-Motorradwerk in Berlin an Benzintanks versuchen – die sind günstiger – und verfeinerte innerhalb eines halben Jahres seine Technik. Dort fand er auch das richtige Werkzeug: feine Pinsel aus Eichhörnchen-Borsten, denn die verlieren keine Haare.
Vor der ersten offiziellen Linie bemalte er Rolls-Royce-Rohkarossen, bevor er 2002 die ersten fertig lackierten Fahrzeuge bearbeiten durfte. Denn schliesslich kostet ein Rolls-Royce mindestens 250 000 Franken, da muss jeder Pinselstrich perfekt sein. An seine erste Linie auf einem Rolls-Royce kann er sich noch gut erinnern: ein Phantom VII mit dem Spitznamen Big Blue.
Bis zu vier Stunden arbeitet Mark Court am bis zu sechs Meter langen Blech, um die zwei, drei oder vier Millimeter dünne Linie zu ziehen. Dafür unterteilt er die Seiten in drei bis vier Abschnitte, um nicht in einem Schwung durchmalen zu müssen. Selbst ein kleiner Ausrutscher ist nicht tragisch – der Speziallack lässt sich sofort abwischen, denn er härtet erst nach drei bis vier Stunden aus. «Aber ich vermale mich ja nicht», sagt Court mit einer Portion Berufsethos, aber nicht ohne Schmunzeln.
Der Linien-Lack bleibt auf der fertig lackierten Karosserie haften, lässt sich später waschen, wachsen und polieren. Vor allem lässt sich die leicht erhabene Linie spüren, wenn man mit den Fingerkuppen über den polierten Lack gleitet. Die Coach Line bildet das Finish.
Coach Lines gehen auf die Bemalung von Pferdekutschen zurück, als dekoratives Element. Als die Automobilindustrie aufkam, entwickeln sich die Coach Lines weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sogenannte Hot Rods beliebt, Automodelle aus den 1920er bis 1940er Jahren, die mit starken Motoren aufgemotzt wurden. In dieser Kultur machten Künstler wie Ed Roth und Kenny Howard «Von Dutch» die Linien weiter populär, um das Aussehen des Fahrzeugs spektakulärer erscheinen zu lassen.
Doch während sich Pin-Striper auf Hot Rods und Custom-Bikes der Tuning-Szene mit verschiedenen Pinseldicken, Mustern und Farben austoben, bleibt Mark Court zurückhaltend. Nur drei verschieden dicke Linien bringt er an der Seite auf. Dafür stehen ihm 200 Farbtöne zur Wahl. Darüber hinaus berücksichtigt er Geometrie, Farben und individuelle Kundenwünsche. «Mit der Coach Line können wir mit vielen Farbkombinationen spielen», erklärt Mark Court. Kunden, die zweifarbige Fahrzeuge wünschen, fügen gerne eine kleine dünne Linie auf der oberen Karosserie hinzu, die zur Farbe der unteren Karosserie passt.
Nach dem Entfetten der Oberfläche klebt der Pinselkünstler eine Hilfslinie aus Folie, zieht darunter eine Markierung mit einem weichen Stift, entfernt anschliessend die Folie. Mit weicher Kreide pudert er die obere Flanke des Blechs ein, damit seine Hand ohne Handschuhe sanft drüber gleitet. «Mit der nackten Hand spüre ich das Metall besser und kann meine Finger wie auch den Pinsel besser kontrollieren», erklärt er.
Bei einfachen Linien bleibt es oft nicht
Viele Kunden wünschen sich mehr als nur zwei Linien auf dem Blech. Manchmal zeichnet Mark Court daher auch Figuren, Tiere, Blumen, Initialen oder Familienwappen für den Innenraum – ein kleines, von Hand aufgetragenes Kunstwerk. Das Aufbringen dieser feinen Details erfordert äusserste Präzision, die mehrere Tage in Anspruch nehmen kann. «Wenn ich eine Coach Line male, schalte ich ab und gehe in Gedanken an einen anderen Ort. So kann ich mich auf jede einzelne Coach Line gut konzentrieren», erklärt Mark Court. «Die Linien sind Teil meines Lebens. Ich denke nicht genau drüber nach, wie ich sie auf die Karosserie aufbringe. Was ich mit meinen Händen mache, ist Teil meines Kopfes. Es passiert einfach.»
Für den Engländer ist es ein Traumjob. «Die Karosserie ist das letzte Bespoke-Merkmal, das an einem Rolls-Royce angebracht wird. Jedes Auto ist anders, was die Farbgebung, das Thema und den Stil angeht, daher ist jeder Auftrag spannend», sagt Mark Court. Die perfekte Linie hängt vom jeweiligen Typ und von dessen Design ab. Wie viele Coach Lines er bisher genau lackiert habe? Er weiss es nicht mehr, er schätzt aber, an über 6000 Fahrzeugen.
Damit dieses Handwerk in die nächste Generation weitergetragen wird, lernt Mark Court junge Mitarbeiter an, Leute wie Ben Lewis. Schon seit seiner Jugend arbeitet dieser kreativ mit Pinsel und Farben. Der 34-Jährige arbeitet seit rund zehn Jahren für Rolls-Royce, seit einiger Zeit hauptberuflich als Coach-Line-Maler. Sein Weg dahin: in anderen Bereichen von Rolls-Royce malen, wie Namensschilder und ähnliche Dinge. Und dann: üben, üben und üben. «Ich habe viel Zeit in die Ausbildung investiert, um das richtige Mass an Präzision zu erreichen, die Pinselführung und die Farbabstimmung zu beherrschen», sagt Lewis.
Nur durch viel Übung erzielt er ein perfektes Ergebnis. «Unser Anspruch und der unserer Kunden ist sehr hoch, daher muss das Ergebnis am Ende perfekt sein», sagt Ben Lewis. Nur dann unterstütze die Coach Line auf besondere Weise das Design der Karosserie. Perfektion im Handwerk zu erreichen, sei ein grosses Ziel und eines, das ein ganzes Leben dauern könne.
Nur nicht an den Wert der Karosserie denken
Die grösste Herausforderung besteht für ihn darin, sich nicht von Projekten überwältigen zu lassen. «Ich muss eine gleichbleibend hohe Qualität und Präzision liefern, um der Perfektion zu entsprechen, die unsere Kunden erwarten», so Lewis. Und das gelinge nur mit hoher Konzentration und Geduld während des gesamten Prozesses. Ausserdem denke er während der Arbeit nicht an den Preis des Autos. Das würde ihn nur blockieren.
Bei seinen ersten Aufträgen an den Rolls-Royce-Modellen Wraith und Dawn habe er besonders das Design genossen, die langen, geraden Flächen. Mittlerweile verziert er gerne das elektrische Coupé Spectre mit seinen dramatischen Kurven, am liebsten mit einer vier Millimeter breiten Linie. Zudem gehört er zur Bespoke-Abteilung, die handwerkliche Vorzeigestücke für Kunstmessen herstellt.
«Jedes Fahrzeug hat ein einzigartiges Karosseriedesign, das der Kunde auswählt», erläutert Ben Lewis. «Diese Entwürfe und Ideen zu begleiten, macht die Arbeit interessant und abwechslungsreich.» Eine ruhige Hand dafür hat er bereits bewiesen.