Der Kroate Mate Rimac, seit 2021 Eigentümer von Bugatti, startet jetzt sein nächstes Abenteuer und macht fahrerlose Autos in Europa möglich.
An verrückten Ideen mangelt es dem 36-jährigen Mate Rimac nicht, das hat er mit vielen Menschen gemein. Doch während die allermeisten ihre Spinnereien irgendwann abschreiben, gehört der in Frankfurt aufgewachsene Kroate zu den wenigen, die sie auch umsetzen.
Mit dem Nevera hat Rimac (gesprochen Rimatz) den schnellsten elektrischen Sportwagen der Welt gebaut. Als europäische Antwort auf Elon Musk hat er sich zum elektrischen Entwicklungshelfer für Grosskonzerne wie VW, Hyundai oder BMW aufgeschwungen und jüngst die Spitze bei Bugatti übernommen. Doch wer glaubt, dies genüge ihm, der irrt. Ihn und seine zwei Freunde Marko Pejković und Adriano Mudri treibt seit 2019 eine weitere Idee um: das autonome Fahren. Damit machen sie jetzt Ernst.
Denn nur fünf Jahre, aber unzählige Brainstormings, Studien und Testfahrten sowie mehrere hundert Investitionsmillionen später hat Rimac in Zagreb das Projekt Verne enthüllt: eine Vision, die die Mobilität von Grund auf verändern soll. Denn Verne ist nicht nur ein neues Auto, das autonom fährt.
Verne ist eine Serviceplattform und ein Unternehmenskonzept, das die Vision vom fahrerlosen Taxi ausserhalb der USA endlich Wirklichkeit werden lassen soll. Und anders als sein Idol und Namensgeber Jules Verne denkt Rimac dabei nicht in Jahrzehnten oder Jahrhunderten, sondern ausgesprochen kurzfristig: Schon 2026 soll die Robo-Flotte in Zagreb an den Start gehen und kurz darauf in zehn anderen Städten, darunter vier in Deutschland, wie Pejković in Aussicht stellt, der die Verne-Geschäfte führt.
Zentrales Element des Projekts ist ein Auto, das deutlich gegenwärtiger aussieht als gedacht: Die Frontscheibe ist ähnlich schräg und flach wie beim Tesla Cybertruck gestaltet. Es gibt Schiebetüren, die wegen der kurzen Überhänge nach vorne öffnen. Im Dach ist ein kreisrundes Fenster eingelassen, das an die Bullaugen von Jules Vernes U-Boot «Nautilus» erinnert.
Innen ist es kein Tram, eher ein Luxusauto
Aber weder ist der Verne eine Raumkapsel auf Rädern noch ein Toaster, wie der Designer Mudri die autonomen Kleinbusse abschätzig nennt, mit denen verschiedene Hersteller auf kleiner Fläche maximalen Raum für urbane Shuttle-Fahrzeuge bieten wollen.
Das Vorbild des visionären Trios waren eher Rolls-Royce oder die Mercedes-S-Klasse. Erstens, weil Verne-Kunden stilvoll ankommen sollen, selbst wenn sie nicht mehr zahlen müssen als für ein Taxi oder eine Uber-Fahrt. Und zweitens, weil das Auto den gleichen Komfort und den gleichen Platz bieten soll wie eine Luxuslimousine.
Dafür hat sich Mudri bei der Interieurgestaltung auf zwei Sitze beschränkt, weil in 90 Prozent aller Fälle ohnehin nicht mehr Personen mitfahren wollen. Die Sessel sind dafür breit und bequem und lassen sich über den kleinen Touchscreen im Bedienfeld dazwischen auch in eine Liegeposition bringen.
Dazu gibt es ein paar wenige Ablagen, einen pfiffigen, weil universellen Cupholder, eine Ambientebeleuchtung, Haltegriffe, die ihrem Namen alle Ehre machen, und einen riesigen Bildschirm von 43 Zoll, der quer unter der mächtigen Frontscheibe montiert ist. Dazu noch eine Ablage fürs kleine Gepäck vor der Nase, eine Reling für Taschen, Jacken oder als Beinauflage und hinter den Sitzen ein Abteil für Koffer und Taschen.
Wegfall von Lenkrad und Pedalen schafft Platz
Aber so üppig die Ausstattung auch ist – es fehlt etwas ganz Entscheidendes: Der Verne hat weder Pedale noch ein Lenkrad – er fährt immer und ausschliesslich autonom. Dafür schraubt Rimac ein halbes Dutzend Lidar-Sensoren und doppelt so viele Kameras an die Karosserie und baut auf die Software der israelischen Firma Mobileye, die ihn beim Autopiloten unterstützt. «Damit haben wir schon zigtausend Kilometer durch Zagreb abgespult und müssen immer seltener eingreifen», sagt der Verne-CEO Pejković.
Aber mit dem Auto allein kann Rimac den Service nicht stemmen. Den wahren Mehrwert schafft er mit einer App, die viel mehr macht als nur die Fahrten zu buchen, die Routen zu planen und den Trip abzurechnen. Mit umfassender Vernetzung macht sie jedes Verne-Vehikel zum ganz persönlichen Auto: «Wenn sich die Schiebetüren öffnen, läuft deine Musik im Auto, es herrscht dein bevorzugtes Klima, es riecht so, wie du es willst, und niemand quatscht dich blöd von der Seite an» , skizziert Pejković die Annehmlichkeiten der Fahrt.
Zudem ist natürlich das Smartphone schon automatisch gekoppelt, die persönlichen Accounts von Netflix, Spotify und anderen Streamingdiensten bereits integriert. Wer nicht streamen will, kann auch spielen und sogar den Controller seiner Playstation mit ins Auto bringen.
Oder aber man wechselt auf dem Median als zentralem Bedienelement in der Mittelkonsole – nach dem Anschnallen und dem Start-Kommando natürlich – in den Oasis-Modus, lässt den Sessel in eine Liegeposition surren und döst mit bis zu 130 Sachen seinem Ziel entgegen. Dafür bekommt jedes Auto einen E-Motor mit 155 kW und einen kostengünstigen und langlebigen Lithium-Eisen-Phosphat-Akku, der mit 60 kWh für rund 240 Kilometer reichen soll.
Dritter Baustein der Verne-Vision ist das sogenannte «Mothership», die jeweilige Zentrale des Betriebs, die etwa eine coole In-Location im Stadtzentrum sein kann oder sich funktional in einem Industriegebiet am Stadtrand versteckt. Dort werden die Autos geladen und vor allem mindestens einmal am Tag gereinigt. Und weil der Innenraum modular aufgebaut ist, können bei jedem Umlauf wenn nötig in wenigen Minuten alle Konsolen oder Bezüge ausgetauscht werden, bevor sie abgegriffen erscheinen.
Adriano Mudri (links) ist der Verne-Designer, Marko Pejković CEO der neuen Firma.
Zeitersparnis soll der wichtigste Vorteil sein
Ein persönliches Umfeld in einem fremden Auto, absolute Privatsphäre für ungestörte Entspannung, Geschäfte oder Zweisamkeit und obendrein immer ein peinlich sauberes Fahrzeug: Wer einmal in Zagreb Taxi gefahren ist, der zweifelt nicht mehr am Erfolg von Verne. Und auch wenn Ausnahmen die Regel bestätigen, wird es im Rest der Welt kaum anders sein.
Ob Pejković, Mudri und das Mastermind Rimac damit Geld verdienen werden, wenn die einzelnen Autos einmal 600 000 Kilometer abgespult haben, muss sich erst noch zeigen. Ebenfalls, ob sie bis zum Ende der Dekade tatsächlich schon die ersten 1000 Verne-Vehikel in der neuen Fabrik bei Zagreb gebaut haben, ob die Städte davon profitieren, weil zumindest ein paar Zweit- oder Drittwagen stehen bleiben oder im besten Fall gar nicht gekauft werden.
Für die Kunden aber sei Verne ab der ersten Fahrt ein Gewinn, verspricht Pejković: «Wir wollen die Menschen nicht nur sicher und komfortabel von A nach B bringen, sondern wir wollen ihnen verlorene Zeit zurückgeben. Was bislang nutzlose Wegzeit war, wird dann wertvolle Zeit zum Ausruhen, Arbeiten oder Entspannen. Und zwar in einer ungestörten Privatsphäre.»