Mit einem Trockengewicht von nur 1277 Kilogramm und 750 PS unter der Haube setzt der Nachfolger des 720S neue Massstäbe im Supersportwagen-Segment.
Die Frage ist eigentlich ganz einfach: Was bedeutet das S nach 750 beim neuen McLaren 750S? Die Zahl drückt unmissverständlich die Pferdestärken des Motors aus – aber das S? Keiner der McLaren-Manager weiss es ganz genau. Auch nicht ihr Chef, der CEO Michael Leiters. S wie «Super»? Wie «Sport»? Oder gar wie «Secret» (Geheimnis)?
Im ersten Anlauf gibt es keine Antwort. Vielleicht ist der Name auch gar nicht so wichtig. Denn was im 750S steckt, dem Nachfolger des 720S, erinnert mehr an Renn- als an Sportwagen. Das beginnt beim Gewicht. Wenn jemand die Leichtigkeit des Seins umsetzt, dann die Briten: 1277 Kilogramm Trockengewicht beim Coupé sind superb – das ist laut McLaren 193 Kilo leichter als der nächste Konkurrent, was «ein in diesem Segment führendes Leistungsgewicht von 587 PS pro Tonne ergibt». Die offene Version Spider wiegt auch nur 1326 Kilogramm.
Da helfen zum Beispiel die (allerdings optionalen) superleichten Kohlefaser-Rennsitze mit Doppelschalentechnologie, die das Gewicht im Vergleich zu einer Sitzschale mit konventionellem Carbon-Fertigungsverfahren um 33 Prozent reduziert: Jede Schale wiegt nur 3,35 Kilogramm. Die neuen ultraleichten Zehn-Speichen-Schmiederäder sind die leichtesten, die jemals serienmässig in einem McLaren verbaut wurden, sie sparen 13,8 Kilogramm ein.
Ein neues Schraubenfeder- und Dämpferdesign des Fahrwerkes reduziert das Gewicht um 2 Kilogramm. Das neue Instrumenten-Display ist um 1,8 Kilogramm leichter. Das Glas der Windschutzscheibe spart 1,6 Kilogramm ein. Sogar der Heckflügel ist um 1,6 Kilogramm leichter als der des 720S, obwohl er um 20 Prozent grösser ist. Er kann vom Cockpit aus aktiviert werden und erhöht die möglichen Kurventempi durch mehr Anpressdruck. Ausserdem arbeitet er als Luftbremse, will man maximale Verzögerung erreichen.
Rund 30 Prozent der Komponenten des 750S sind entweder neu oder wurden im Vergleich zum 720S verändert. Der V8-Biturbo-Mittelmotor leistet nun dank Feinarbeit an Kurbelwelle in Flachbauweise, Trockensumpfschmierung und Pleueln 750 PS und bringt 800 Newtonmeter maximales Drehmoment. Damit schafft der 750S den Sprint von 0 auf 100 km/h in 2,8 Sekunden, von 0 auf 200 km/h in 7,2 Sekunden und von 0 bis 300 km/h in weniger als 20 Sekunden.
Scherentüren erleichtern den Einstieg
Wer den Antrieb beobachten will, muss einen Aufpreis zahlen: Für 6250 Euro bekommt man in seinem 750S über dem Motor eine doppelt verglaste Scheibe mit Kohlefaserrahmen in der hinteren Gepäckablage. Schaut man genau hin, ist ein Teil des Motors von aussen durch die Heckscheibe zu sehen.
Innen empfängt den 750S-Piloten Leder mit fein strukturierten Alcantara-Oberflächen. Darunter befindet sich ein steifes Kohlefaser-Monocoque. Das Einsteigen ist einfach, weil sich die Türen des 750S-Coupés nach oben öffnen und dabei einen Teil des Daches mitnehmen.
Das Cockpit ist selbsterklärend: Das Lenkrad glänzt ganz nach McLaren-Philosophie mit der Abwesenheit von Knöpfen und Schaltern. Die Änderung der Elektronischen Stabilitätskontrolle (ESC) sowie die Fahrmoduswahl sind dank geschickt platzierten Schaltern nahe dem Lenkrad trotzdem möglich, ohne die Hände vom Volant zu nehmen. Auch der Rest der Knöpfe in der Mittelkonsole (zum Beispiel D, N und R fürs Getriebe) ist klar erkennbar und leicht zu bedienen. Die Schaltwippe für die Sieben-Gang-Doppelkupplung befindet sich hinten am Lenkrad und dreht sich mit. Auf einem vertikal eingebauten Bildschirm findet man alles fürs Infotainment.
Wir lernen den Supersportler zunächst auf den verkehrsreichen Strassen am Rand der Lissaboner Agglomeration kennen. Dass es der leichteste und kraftvollste Strassen-McLaren aller Zeiten ist, kann man hier nicht wirklich spüren. Eine gewisse Alltagstauglichkeit dagegen schon: Man kann mit dem 750S gesittet, langsam und automatisch geschaltet problemlos fahren, auch mit etwas Gepäck dank einem 150-Liter-Kofferraum vorne und 210 Litern hinter den Sitzen.
Dann geht es auf die Rennstrecke – es ist die berühmte Piste im portugiesischen Estoril. Sie bietet alles: enge und weite Kurven, eine steile Kurvenpassage bergauf und eine lange Gerade. Die zur Verfügung stehenden Wagen sind mit Optionen aus dem Werkskatalog angereichert, es kann also jeder sein Exemplar damit bestücken: Rennsitze, Fünfpunktgurte, Sportreifen, Überrollbügel, Rennbremsen und eine verbesserte Bremsbelüftung.
Es gilt, sich langsam heranzuarbeiten über die Fahrmodi «Comfort» und «Sport» zu «Track», wobei hier wie üblich die Elektronik die meisten Freiheiten lässt, ohne rettende Eingriffe restlos auszuschalten. Das Fahrwerk regelt alle Parameter elektronisch. Die Modi verändern unter anderem sowohl die Dämpfereinstellungen als auch die Wanksteifigkeit.
Trotz tiefem Gewicht ist der mechanische Grip gut
Schon in «Sport» fühlt sich der Wagen sehr schnell an. Der Sprint, aus welchem Grundtempo auch immer, ist beeindruckend und drückt den Körper nachdrücklich in die Carbonschale. Die Bodenhaftung ist in den Kurven herausragend: Besonders in der sehr schnellen und langgezogenen Zielkurve fühlt der Pilot, was die Aerodynamik bewirkt, weil das Auto dort in jeder Runde etwas mehr Tempo verträgt. Irgendwann aber ist die Grenze erreicht. Fährt man dann hier etwas zu schnell, drängt der ganze Sportler nach aussen, nicht nur das Heck, weswegen er leicht wieder eingefangen werden kann.
Das Hinterteil des McLaren 750S kann man allerdings absichtlich im Modus «Track» und mit ausgeschaltetem Stabilitätsprogramm regelrecht tanzen lassen, so dass die Pirelli-Reifen qualmen. Das Sieben-Gang-Getriebe arbeitet äusserst schnell, objektiv 10 Prozent schneller als im 720S. Trotz der gewaltigen Kraft und der spürbaren Leichtigkeit des Autos hat man nie das Gefühl, überfordert zu werden. Dennoch kann auch dieser Brite die Physik nicht überlisten. Selbst nicht für die 320 000 Franken, die er mindestens kostet.
Auf der Start-Ziel-Geraden erreichen wir schnell 280 km/h, was noch rund 50 km/h von der möglichen Höchstgeschwindigkeit entfernt ist. Etwa 200 Meter vor der ersten Kurve stauchen wir das Tempo dank serienmässiger Carbon-Keramikbremsscheiben auf etwa 50 km/h zusammen, wobei man sich an das recht weiche Pedalgefühl gewöhnen muss. Laut Datenblatt steht der 750S mit Serienbremsen aus 200 km/h bereits nach 113 Metern, aus 100 km/h nach 30 Metern. Schwerere Sportwagen brauchen 5 bis 10 Meter mehr.
Aus dem Coupé zu steigen, ist nicht ganz so einfach wie das Einsteigen – das liegt an der breiten Türschwelle, die nach hinten zur B-Säule ansteigt. Sowohl Ein- als auch Ausstieg sehen beim geöffneten Spider, den wir zum Schluss auf der Strasse ausprobieren, wesentlich eleganter aus. Er besitzt ein einziehbares Hardtop (RHT), ein Überrollschutzsystem und eine massgeschneiderte obere Struktur des Monocoques aus Kohlefaser, die so stabil ist, dass keine zusätzlichen Verstärkungen erforderlich sind. Der von acht Elektromotoren angetriebene Betätigungsmechanismus arbeitet angenehm leise. Das Öffnen und Schliessen des Daches gelingt in nur 11 Sekunden und bei bis zu 50 km/h. Wegen des Daches reduziert sich das Gepäckabteil hinten jedoch auf bescheidene 58 Liter.
Das Leistungsgewicht des 750S Spider beträgt beeindruckende 566 PS pro Tonne, 1326 Kilo Trockengewicht sind ebenfalls kaum zu schlagen. So sprintet die offene 750S-Version fast so atemberaubend wie das Coupé.
Mit dem Klang des V8-Motors haben sich die Ingenieure besonders beschäftigt. Herausgekommen ist ein bassiger Ton, und bei sportlicher Fahrweise klingt es hinten heraus nach einem Blubbern. Das einmalige Knallen aus dem Auspuff beim Hochschalten unter Volllast ist auf öffentlichen Strassen nicht sozialverträglich, dafür klingt es aber auf der Rundstrecke so wie in echten Rennwagen.
Übrigens – weil die Frage nach dem S nicht unbeantwortet bleiben kann, wird von McLaren spontan beschlossen, dass es für «Sport» steht. Das Gute daran: Damit liegt man weder beim 750S noch bei anderen Modellen von McLaren falsch.
Die Testfahrten wurden von McLaren unterstützt.