Dongfeng bringt mit dem Nammi Box einen elektrischen Budget-Kleinwagen auf den Markt. Mit einer Reichweite von 420 Kilometern und einem Preis unter 20 000 Euro könnte er die E-Mobilität in Europa für viele erschwinglich machen.
Elektromobilität darf kein Luxusversprechen bleiben, soll der Durchbruch flächendeckend gelingen. Das wünschen sich auch Politiker in Europa und insbesondere Fahranfänger, die sich der Klimawende verpflichtet fühlen. Unermüdlich fordern sie von der Autoindustrie, preiswerte Stromer zu entwickeln. Gemeint sind batterieelektrische Kleinwagen unter 20 000 Euro, die Berufspendler in Agglomerationen, Kurierfahrer und Pflegedienste ansprechen. Doch wo bleiben die Antworten der Konzerne Toyota, Stellantis und VW? Bisher ist es bei Versprechen der Konzernzentralen geblieben.
Einzig Renault bietet in dieser Preisklasse mit dem 3,70 Meter kurzen Spring im Geländewagen-Outfit einen Viersitzer für seine Submarke Dacia. Der ab 16 900 Euro oder 15 800 Franken erhältliche, mager ausgestattete Fronttriebler basiert auf der elektrifizierten Plattform des für Schwellenländer gebauten Renault-Kleinwagens Kwid. Hergestellt wird der Dacia Spring vorläufig noch auf Fertigungsanlagen des chinesischen Kooperationspartners Dongfeng in Wuhan. Er gilt auch wegen seiner bescheidenen Fahrleistungen als Minimalauto.
Müssen wir also warten, bis Renault 2026 einen elektrischen Twingo und Volkswagen 2027 den geplanten ID.1 lancieren? Bu yao (chinesisch für Nein), sagen die nach Europa strebenden chinesischen Hersteller, die bereits im heimischen Markt mit zahlreichen batterieelektrischen Kleinwagen Erfolge einfahren.
Den Anfang der Europa-Offensive mit Budget-Stromern aus China macht ausgerechnet Renaults Kooperationspartner Dongfeng mit dem Nammi 01, der noch vor Ende 2024 als Nammi Box in Europa vermarktet werden soll. Er basiert auf der hauseigenen Fahrzeugarchitektur, die speziell für kompakte Elektroautos entwickelt wurde und in der Basisversion mit einer 32 kWh grossen Lithium-Eisen-Phosphat-Batterie (LFP) für 300 Kilometer Reichweite ausgestattet ist. In China kostet der Fünfsitzer umgerechnet ab 10 000 Euro.
Wir sind die für Europa vorgesehene, besser ausgestattete Topversion mit 42,3 kWh LFP-Stromspeicher und 70 kW (95 PS) starkem Elektromotor an der Vorderachse in China ausgiebig gefahren und haben die versprochene Reichweite von 420 km nur knapp verfehlt. Eines scheint klar: Auch wenn der 4,03 Meter kurze Nammi Box nicht als Schmuckkästchen glänzt, kann von einem Verzichtsauto keine Rede sein.
Design-Anleihen beim Smart sollen Imagegewinn bringen
Sicherlich nicht zufällig erinnert die Front des Nammi Box an den von China-Konkurrent Geely für seine Tochtermarke Smart gebauten #1, der auf 4,27 Meter Länge deutlich mehr Länge, Leistung und Ausstattung bietet und deshalb eine Klasse höher positioniert ist. Offensichtlich möchte Dongfeng eine Verwandtschaft zu dessen schon etabliertem Stadtauto-Image suggerieren.
Eigenständiger wirkt die Heckansicht. Sie verzichtet auf das heutzutage in Fahrzeugen aller Klassen verbaute durchgängige Leuchtenband und setzt auf ein wiedererkennbares Rücklicht-Design. Für eine optimale Innenraumausnutzung fällt das Heck steil ab. Doch leider öffnet dessen Klappe nur für Menschen bis 1,70 Meter Grösse hoch genug. Wer grösser ist, kollidiert beim Beladen mit der Klappenverkleidung.
Darüber hinaus ist die Ladekante des Kofferabteils recht hoch. Klappt man die (ungeteilte) Lehne der Fondsitze um, wächst das Ladevolumen zwar von 326 auf 945 Liter. Aber es bietet für grosses Gepäck oder sperrige Güter keinen ebenen Ladeboden, weil die umgeklappte Rücksitzlehne eine Stufe bildet und zudem nicht flach liegt.
Der erste Eindruck vom Fahrersitz aus versöhnt: Der Innenraum wirkt geräumig und verfügt über genügend Kopffreiheit. Das Armaturenbrett des Nammi Box ist funktionell, klar gegliedert und im Rauten-Steppdesign bezogen. Natürlich nicht in Leder, doch mit weich unterfüttertem, bündig verarbeitetem hellgrauem Kunststoff, der sich in allen vier Türinnenverkleidungen fortsetzt.
Passgenau sind Lüftungsöffnungen, Schalter für vier elektrische Fensterheber und in der Fahrertür die elektrische Aussenspiegelverstellung integriert. Abgesehen von den etwas wackeligen Schaltern wirkt die Verarbeitung insgesamt ordentlich.
Durch das Zweispeichen-Multifunktionslenkrad hat man das freistehende 5 Zoll grosse Cockpitdisplay gut im Blick. Es informiert beim Fahren über alle nötigen Daten und Funktionen. Über das ebenfalls freistehende 12,8-Zoll-Zentraldisplay ruft man Infotainment-, Ladefunktionen sowie die Navigation ab und reguliert die Klimatisierung. Auch spielt eine Heckkamera hier den rückwärtigen Raum beim Manövrieren ein. Zudem gibt es diverse Kommunikations-Apps und die Integration des Smartphones. Das System arbeitet wahlweise sprachgesteuert und ist updatefähig für OTA (Over The Air).
Die pfiffige Schublade auf der Beifahrerseite kann unterwegs als Picknicktablett für die Reisemahlzeit oder Mitreisenden als Snackbar und Ablage fürs Smartphone dienen. Überhaupt: Ablagen gibt es zuhauf. Auf und unter der Mittelkonsole mit zahlreichen Ladebuchsen, in den Seitentüren, unter der Mittelarmlehne.
Gute Aerodynamik und wenig Gewicht bringen Reichweite
Angenehm überrascht in dieser Preisklasse auch der elektrisch verstellbare Fahrersitz. Dem gegenüber wird die Längsverstellung des Lenkrades eingespart, es kann leider nur in der Höhe angepasst werden. Auf der Rückbank sind drei Sitze vorgesehen, von denen nur die beiden äusseren echten Sitzkomfort mit in dieser Fahrzeugklasse ausreichender Kopf- und Beinfreiheit bieten.
Auf der Fahrt, zunächst im Eco-Modus, nimmt der Nammi Box zügig Geschwindigkeit auf. Die Lastwechsel übers Fahrpedal pariert das Fahrwerk mit erträglichen Karosseriebewegungen. Die leichtgängige Lenkung bietet kaum Rückmeldung vom Strassenbelag. Auf 17 Zoll grossen Alurädern rollt der Wagen komfortabel und sehr leise ab.
Bis das System bei 100 km/h abriegelt, liegt der Durchschnittsverbrauch zwischen 12 und 14 kWh pro 100 Kilometer, was insbesondere der guten Aerodynamik seiner Karosserie und dem geringen Leergewicht von 1312 Kilogramm geschuldet ist. Im Fahrmodus Normal rekuperiert der Nammi Box geringfügig stärker, sobald man den Fuss vom Strompedal nimmt. Sonst lässt sich kein Unterschied zum Eco-Modus feststellen.
Nominell gibt Dongfeng eine Reichweite von 430 km nach chinesischem Messverfahren (CLTC) an. Im Eco-Fahrmodus fuhren wir den Stromer rund 380 Kilometer weit, was seine uneingeschränkte Praxistauglichkeit beweist. Allerdings muss man an der Ladesäule deutlich mehr Zeit verbringen, als die Herstellerangabe von 200 km Nachladen in 8 Minuten verspricht. Wir warten fast 50 Minuten, um von 20 auf 80 Prozent Batteriekapazität aufzutanken, denn die Ladeleistung von anfänglich 33 kW fällt bereits nach wenigen Minuten deutlich ab.
Wer etwas zügiger unterwegs sein möchte, wählt den Fahrmodus Sport. Jetzt lassen sich die volle Leistung von 95 PS und das maximale Drehmoment von 160 Nm abrufen. Der Viertürer reagiert auf Fahrpedalbefehle etwas spontaner, und die Höchstgeschwindigkeit endet bei 140 km/h. Lenk- und Fahrwerksabstimmung bleiben unverändert, nur Windgeräusche und die Windanfälligkeit auf der Autobahn steigen.
Auch der Stromverbrauch wächst auf 18 bis 21 kWh je 100 Kilometer, und die Hinterachse überträgt Fahrbahnunebenheiten deutlich ins Interieur. Das jetzt unruhigere Fahrverhalten verlangt häufige Lenkkorrekturen und erinnert daran, dass der Nammi Box konzeptionell als Stadtwagen ausgelegt ist. Verbesserungspotenzial birgt der Tempomat: Wird die einmal gesetzte Geschwindigkeit kurzfristig gelöscht, nimmt das System sie nicht wieder auf. Sie muss nach jedem Bremsvorgang erneut gesetzt werden.
Wenn es dem Europa-Importeur Noyo gelänge, den Nammi Box in der von uns gefahrenen Spitzenversion europäischen Kunden für unter 20 000 Euro anzubieten, könnte dieser Kleinwagen in seinem Segment zum Verkaufsschlager avancieren.