Der spanische Shooting-Star Carlos Alcaraz wird bei der Jagd auf die Weltranglisten-Spitze unverhofft gebremst. Er verliert gegen den Niederländer Botic van de Zandschulp, der unlängst am Challenger-Turnier in Zug einem unbekannten Schweizer unterlag.
Das US Open begann wie zuletzt die meisten Grand-Slam-Tennisturniere: Die Favoriten siegen, die Schweizer verlieren. Schon nach der ersten Runde war das Schweizer Trio (Stan Wawrinka, Viktorija Golubic, Dominic Stricker) ausgeschieden.
Die erste unerwartete Nachricht aus New York gab es in der Nacht auf Freitag: Carlos Alcaraz, der spanische Shootingstar, musste sich bereits nach der zweiten Runde verabschieden. Der US-Open-Sieger von 2022 unterlag dem Niederländer Botic van de Zandschulp glatt in drei Sätzen (1:6, 5:7, 4:6). Alcaraz hatte zuvor 15 Partien in Serie an Major-Turnieren gewonnen, was ihm die Titel in Roland Garros und Wimbledon einbrachte. Van de Zandschulp, in der Weltrangliste die Nummer 74, überraschte den Favoriten, indem er von Beginn weg konsequent die Offensive suchte.
Alcaraz’ Scheitern eröffnet Djokovic eine weitere Chance
Für Van de Zandschulp ist der Sieg über die Weltnummer drei der grösste Erfolg der Karriere. Im Platz-Interview nach dem Match sagte er: «Mir fehlen im Moment die Worte. Für mich war es ein unglaublicher Abend. Ich habe erstmals in einer Night-Session gespielt, und das Publikum war phantastisch.» Mit bereits 28 Jahren ist er alles andere als ein Neuling auf der Tour. Er wird von Sven Groeneveld trainiert, der zu den etabliertesten Coaches der Szene gehört und im Auftrag von Swiss Tennis einst den jungen Roger Federer für ein paar Monate auf seinem Weg in Richtung Spitze begleitet hatte.
Die Spuren, die Van de Zandschulp bisher auf der ATP-Tour hinterlassen hatte, waren überschaubar. Er war einst die Nummer 22 im Ranking, Titel aber hat er noch keinen gewonnen. Vor einigen Wochen unterlag er am Challenger-Turnier in Zug in der ersten Runde dem Schweizer Mika Brunold (ATP 453). In New York hatte Van de Zandschulp schon beim Sieg in der ersten Runde gegen Denis Shapovalov überzeugt. Dieser Erfolg habe ihm viel Selbstvertrauen gegeben, sagte der Niederländer.
Carlos Alcaraz ist erstmals seit dem Wimbledon-Turnier 2022 wieder in der zweiten Runde eines Major-Turniers gescheitert. Seither gewann er vier Grand-Slam-Titel. Am Donnerstag aber spielte er ungewohnt fehlerhaft. Ihm unterliefen 27 sogenannte unforced errors, zwölf davon mit der Vorhand, die eigentlich seine grosse Stärke ist. Im ersten Satz war ihm kein einziger Winner gelungen. Nach lediglich 2:19 Stunden war der Match verloren.
Der nächste Gegner von Van de Zandschulp ist der 22-jährige Brite Jack Draper, die Nummer 25 im Ranking. Alcaraz hingegen erleidet einen Rückschlag auf seiner angepeilten Rückkehr an die Weltranglisten-Spitze. Trotzdem ist seine Saison hervorragend. Er hat 39 von 48 Partien für sich entschieden und auch das Masters-1000-Turnier von Indian Wells gewonnen. An den Olympischen Spielen in Paris errang Alcaraz Silber, nach einer Niederlage im Final gegen Novak Djokovic.
Alcaraz› Scheitern in New York eröffnet Djokovic nun eine weitere Chance. Der Serbe, mittlerweile bereits 37 Jahre alt, ist seinem nächsten grossen Ziel, dem 25. Major-Titel und alleinigen Grand-Slam-Rekord, einen Schritt nähergekommen. Er wird seinen dritten Match in New York in der Nacht auf Samstag gegen den Australier Alexei Popyrin (ATP 28) bestreiten.
Halten Sinners Nerven?
Vieles spitzt sich am US Open auf einen Gipfel zwischen Djokovic und dem Italiener Jannik Sinner zu. Doch die Weltnummer eins aus Südtirol kämpfte bisher in New York oft mit seinen Nerven. Vor allem in der ersten Runde gegen den Amerikaner Mackenzie McDonald (ATP 140) tat sich Sinner ausgesprochen schwer. Immerhin: Im zweiten Match gegen Alex Michelsen (ATP 49) steigerte er sich und benötigte nur knapp hundert Minuten für seinen Dreisatzsieg.
Die Frage, die Sinner umweht, ist: Halten seine Nerven? Sein Dopingfall, der letzte Woche publik wurde, umtreibt ihn offensichtlich weiterhin. Sinner war im Frühjahr zweimal positiv auf das Steroid Clostebol getestet worden. Doch ein unabhängiges Gericht sprach ihn von jeder Schuld frei. Die verbotene Substanz soll über die Hände seines Physiotherapeuten in seinen Blutkreislauf gelangt sein. Der Therapeut soll die Substanz bei der Behandlung einer Schnittverletzung an einem seiner Finger aufgenommen haben.
Die Begründung war in der Tennisszene und unter Sinners Konkurrenten mit einiger Skepsis aufgenommen worden. Wird da ein Spieler geschützt, der zu wichtig ist, um sanktioniert zu werden?
Novak Djokovic wählte bei seiner Medienkonferenz vor dem Beginn des US Open erstaunlich offene Worte. Er sagte: «Ich verstehe den Ärger seiner Konkurrenten. Manch einer fragt sich, ob da bei allen dieselben Massstäbe angelegt werden. Es gibt Spieler, die in einer ähnlichen Situation stecken. Der Ausgang solcher Verfahren sollte nicht davon abhängen, ob man genug Geld hat, um sich eine gute juristische Beratung leisten zu können.»
Djokovic sprach nicht nur als Konkurrent von Sinner, sondern auch in seiner Funktion als Präsident der Professional Tennis Players Association (PTPA), einer Konkurrenz-Organisation zur ATP, welche er 2019 mit dem Kanadier Vasek Pospisil gegründet hatte. Die PTPA hat sich den Schutz von weniger privilegierten Spielern auf die Fahne geschrieben.
Der Dopingfall belastet Sinner offenbar erheblich. Vor dem Auftakt zum US Open hat er in seinem langjährigen Betreuerstab Personalwechsel vorgenommen. Die Niederlage von Alcaraz nimmt ihn nun vorübergehend aus dem Fokus. Doch die Angelegenheit dürfte für ihn nicht ausgestanden sein.