Das Burgtheater hat einige Krisen und Skandale erlebt. Seit Stefan Bachmann die Intendanz übernommen hat, macht sich Optimismus breit bei Ensemble und Publikum.
An der Wiener Ringstrasse stehen sich die monumentalen Bauwerke wie steinerne Majestäten gegenüber. Auf der einen Seite die Staatsoper, nebenan die Hofburg, die das österreichische Parlament in den Schatten zu stellen versucht durch imperiales Gehabe. Das Burgtheater wiederum, das seine neobarocken Flügel verheissungsvoll ausstreckt, bietet mit seiner Stirnseite dem Rathaus vis-à-vis Paroli, das mit falschen Kirchtürmchen blufft.
Im Spätherbst mischt sich zwischen die massiven Gebäulichkeiten überdies der Christkindlmarkt. Mit zahllosen Buden, Tannenbäumen, geschwungenen Bändern und flackernden Kerzen soll er die Wiener und ihre konsumfreudigen Gäste auf die Adventszeit einstimmen.
Der Einfluss des Kaisers
Dem Burgtheater kann die Konkurrenz egal sein. Hier herrscht Weihnachtsstimmung, seit die Leitung der sogenannten Burg im September vom Schweizer Theatermann Stefan Bachmann übernommen worden ist. Der neue Intendant sieht sich zwar nicht als Messias. Im Gespräch aber verspricht er scherzend, als Wilhelm Tell für flachere Hierarchien zu sorgen in diesem theatralen Grossunternehmen mit über 500 Angestellten.
Als symbolische Geste hat er mit einem kleineren Dienstraum vorliebgenommen, um das grossräumige Intendantenbüro dem Ensemble zu überlassen. Vom Balkon aus können Schauspielerinnen und Schauspieler nun direkt zur Hofburg hinüber winken, wo sich die Präsidentenkanzlei von Alexander Van der Bellen befindet.
Das Burgtheater verdankt seinen Namen tatsächlich der benachbarten Hofburg. Der heutige, von Gottfried Semper und Karl Freiherr von Hasenauer entworfene Bau stammt aus dem späten 19. Jahrhundert. Die ersten Theateraufführungen aber fanden im 16. Jahrhundert im Ballsaal der Hofburg statt.
Bis weit ins 20. Jahrhundert war im Theater der kaiserliche Einfluss zu spüren. 1776 etwa verlangte Kaiser Joseph II., dass die Stücke erfreulich auszugehen hätten, damit seine Gäste nicht mit trauriger Miene aus dem Theater hinaustrappten. Zahlreichen Stücken wie Shakespeares «Hamlet» oder «King Lear» musste deshalb ein Happy End angedichtet werden – ein «Wiener Schluss».
Apropos Schluss: Bis in die 1970er Jahre spendete man den Schauspielern im Burgtheater keinen Beifall. Denn lange Zeit durften sich nur Mitglieder der Kaiserfamilie beklatschen lassen. Eine Ausnahme bildeten ausgerechnet die Schauspieler-Debütanten. Sie mussten am Ende eines Stücks nochmals vor den Vorhang, und in der Lautstärke des Applauses zeigte sich die Gunst des Publikums.
Heute ist das freilich anders. Wer sich den aktuellen «Hamlet» anschaut am Burgtheater, wird zuletzt dem vereinten Team Beifall spenden müssen. Obwohl das Stück von überzeugenden Stars wie Michael Maertens oder Benny Claessens profitiert, wird vom Ensemble Gemeinschaftssinn demonstriert. Bei der «Hamlet»-Inszenierung von Karin Henkel handelt es sich um die erste Produktion unter der neuen Burg-Intendanz. Das mag das grosse Interesse des Wiener Publikums erklären. Die Aufführungen sollen regelmässig ausverkauft sein.
Sind fünf Hamlets sinnvoll?
Die Inszenierung zieht einen in ihren Bann. Gleich zu Beginn ist man überwältigt durch den Auftritt Dutzender weiss gewandeter Gespenster, die sich auf den drei schwarzen Scheiben einer reduzierten Bühnenkonstruktion sowie beidseits der Zuschauerränge verteilen. Sie künden von einer Welt, die aus den Fugen ist. Ihr Auftritt wird allerdings gleich auch parodistisch verfremdet, wenn das Hauptgespenst den Auftritt der andern oberlehrerhaft kritisiert. Für Irritation sorgt allerdings die Fünferbesetzung für die Rolle des Hamlet.
In der Pause findet man über die mit Balustraden gesäumten, mit rotem Teppich ausgelegten Marmortreppen hinauf in das barock geschwungene Foyer, das an die Wandelhalle des Schweizer Bundeshauses erinnert. Unter tief hängenden Leuchtern hat hier das bürgerliche Wiener Theaterpublikum seinen Auftritt, das zwar in unterschiedlichen Generationen vertreten ist; ab und zu hört man auch slawische Dialoge. Insgesamt aber ist von Diversity wenig zu spüren.
Während zwanzig Minuten wird nun über Sinn und Unsinn eines fünffachen Hamlet diskutiert. Es fehle ein konkreter Protagonist, mit dem man sich identifizieren könne, findet ein Kritiker. Karin Henkel mache aus Hamlet eben eine ganze Generation, die Schuld und Verdrängung anprangere, finden wir Fans.
Auch in den Medien ist das Stück insgesamt gut angekommen. Man hat der Regisseurin gratuliert, man rechnet den Erfolg gleichzeitig auch dem neuen Intendanten an. Stefan Bachmann geniesst überhaupt viel Goodwill – insbesondere im Kulturestablishment. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek zum Beispiel soll die «sublime Serenität» des Schweizers gelobt haben. Sie wird auch mit folgender Aussage über Bachmann zitiert: «Ich glaube, er kann wirklich alles!»
Dass der neue Intendant zum Hoffnungsträger geworden ist, hat allerdings viel mit den Krisen der Vorjahre zu tun. Die Misere suchte die Burg vor gut zehn Jahren schon mit einem Finanzskandal heim, der beinahe zum Konkurs des Hauses geführt hätte. Später verdarb Corona der damals neuen Leitung unter Martin Kušej den Start in Wien.
Doch auch nach der Pandemie machte sich das Publikum rar. Die Stimmung am Theater war gereizt. Kušej selber galt als gehässig. Sein Vertrag wurde nicht verlängert. Schliesslich warf Anfang letzten Jahres die Causa Teichtmeister einen Schatten auf das Haus. Der gefeierte Burgtheater-Schauspieler Florian Teichtmeister wurde wegen Besitzes von Kinderpornografie verurteilt. Die FPÖ machte der Theaterleitung den Vorwurf, die Sache zunächst vertuscht zu haben.
Stefan Bachmann ist nun zur Symbolfigur eines Aufbruchs stilisiert worden. Er selber freilich weiss, wie schnell die Stimmung kippen kann. «Wir sind ja in Wien», sagt er im Gespräch. Hier können die Emotionen weit ausschlagen – in beide Richtungen. Und je höher die Erwartungen, desto grösser das Risiko der Enttäuschung.
Nichts besser als Kontroversen
Im Akademietheater, der etwas kleineren Schwester-Institution der Burg, fand Anfang November Stefan Bachmanns Inszenierung von «Manhattan Project» statt. Bei seiner ersten eigenen Produktion als Intendant handelt es sich um ein Stück über die Entwicklung der Atombombe.
Das Bühnenbild ist grossartig – ein riesiges Hamsterrad, ein Rad der Geschichte, das durch die Bewegungen der Schauspieler angetrieben zu werden scheint: Sie spielen jüdische Physiker, die, aus Europa in die USA emigriert, den Amerikanern helfen, das militärische Potenzial ihrer Wissenschaft auszuschöpfen. Der Text des Italieners Stefano Massini ist dicht und anspruchsvoll, zuweilen auch etwas geschwätzig und intellektuell überfrachtet. Er lässt den Schauspielern wenig Raum für die plastisch-psychologische Gestaltung ihrer Rollen.
Die Kritiker sind sich denn auch nicht einig. Auf onlinemerker.com liest man anderntags einen Verriss: «Hier ist nun rein gar nichts geglückt.» Bachmann inszeniere «solide, aber mit absteigender Kraft», meint «Der Standard». Die Urteile etablierter deutschsprachiger Feuilletons hingegen tönen meist positiv. Das Stück entwickle einen «fabelhaften Sog», lobt etwa die «Süddeutsche Zeitung».
Für grenzenlose Euphorie hat Stefan Bachmann mit «Manhattan Project» nicht gesorgt. Aber das hat Vorteile. Zum einen wird sein Ehrgeiz dadurch erst recht angestachelt sein. Zum andern ist nichts besser für ein lebendiges Theater als engagierte Kontroversen.