Die russische Währung ist nach neuen Sanktionen gegen den Bankensektor unter Druck geraten. Die Probleme der auf den Krieg ausgerichteten russischen Wirtschaft nehmen zu.
Wenig ist über die vergangenen drei Jahrzehnte Marktwirtschaft in Russland so beständig gewesen wie der Stellenwert des Wechselkurses des Rubels zum Dollar und, in den vergangenen Jahren, auch zum Euro. Wirtschaft und Gesellschaft orientieren sich daran, auch nach dem Grossangriff auf die Ukraine und dem Zerwürfnis mit dem Westen. Die elektronischen Tafeln mit der roten Schrift gehören zum Strassenbild. Sie geben ganz gut Auskunft darüber, wie es um die russische Wirtschaft steht.
Stabilität und Aufschwung mit Schattenseiten
In den vergangenen Tagen war ein regelrechter Kurszerfall zu beobachten – allein am Mittwoch verlor der Rubel gegenüber dem Dollar um 8,5 Prozent. Der von der Zentralbank festgelegte Kurs betrug 108 Rubel für einen Dollar. Das ist der niedrigste Wert seit März 2022, als das russische Finanzsystem mit den westlichen Sanktionen konfrontiert wurde. Zwar war es damals gelungen, die Finanzstabilität dank drastischen Eingriffen der Zentralbank zu sichern. Aber die Stabilität und der wirtschaftliche Boom, der Russland nicht zuletzt dank enormen Investitionen in den Krieg gegen die Ukraine erfasste, stellen nur die Oberfläche dar. Darunter verbergen sich Turbulenzen.
Auslöser des rasanten Kurszerfalls war die Entscheidung der USA, auch die Gazprombank auf die Sanktionsliste zu setzen. Bis dahin war sie die grösste russische Bank gewesen, die von den amerikanischen Sanktionen unbehelligt geblieben war. Über sie wurden die Rohstoffexporte abgewickelt. Die Bank wurde zu Russlands wichtigstem Institut für den internationalen Zahlungsverkehr.
Weil Russland durch die Sanktionen nicht mehr richtig ins internationale Finanzsystem eingebunden ist, sind die Devisen entscheidend, die damit ins Land kommen. Nun ist das auch über die Gazprombank nicht mehr möglich. Als Folge sind Dollar und Euro ein noch knapperes Gut geworden. Begonnen hat der Kursrückgang bereits im Sommer, nachdem die Moskauer Börse, der wichtigste Platz für Devisengeschäfte, ebenfalls mit Sanktionen belegt worden war. Seither wird der Rubel ausserbörslich gehandelt. Die Ermittlung des Kurses ist willkürlicher geworden.
Der Staat ist zufrieden
Die Regierung scheint über die Kursentwicklung nicht unglücklich zu sein. Finanzminister Anton Siluanow sagte diese Woche, das seien gute Nachrichten für die Exportwirtschaft. Ihre Produkte verbilligen sich, und sie nehmen mehr ein. Auch die russische Staatskasse profitiert davon, weil sie für die in Dollar verkauften Rohstoffe mehr Rubel bekommt. Angesichts der rekordhohen Staatsausgaben kommt das der Regierung entgegen. Leidtragende sind aber die Importeure, die bereits unter den erschwerten Bedingungen für Logistik und Zahlungsverkehr leiden, und in der Folge auch die Konsumenten.
Die Inflation wird weiter angeheizt. Unter dieser stöhnt die Bevölkerung ohnehin schon. Geschäfte für Haushaltgeräte und Elektronik haben die Preise bereits erhöht. Im Oktober lag die Teuerung saisonbereinigt bei 8,5 Prozent. Für einzelne Güter des täglichen Bedarfs liegt sie aber weitaus höher. Schlagzeilen haben etwa die Butterpreise gemacht, die seit Jahresbeginn um mehr als 25 Prozent zugelegt haben. In einzelnen Regionen wurde in Supermärkten vermehrt Butter gestohlen. Kartoffeln, ein Grundnahrungsmittel, kosten sogar über 50 Prozent mehr seit Jahresbeginn. Da halten auch die wegen des Arbeitskräftemangels gestiegenen Löhne nicht mit.
Hohe Zinsen belasten die Unternehmen
Der Zentralbank bleiben nicht allzu viele Mittel, um einzugreifen. Am Mittwochabend kündigte sie an, bis zum Jahresende keine Devisen mehr zu kaufen. Dadurch fällt ein grosser Käufer weg. Das schien am Donnerstag bereits Wirkung zu zeigen: Der Kurs stabilisierte sich. Bei einem vergleichbaren Kurszerfall im August 2023 hatten die Währungshüter den Leitzins notfallmässig stark angehoben und die Exporteure dazu verpflichtet, einen Grossteil ihrer Deviseneinnahmen in Rubel umzutauschen.
Der Leitzins liegt derzeit bei 21 Prozent und könnte im Dezember noch einmal angehoben werden, weil die Inflation sich nicht bremsen lässt. Hypothekarzinsen liegen sogar bei 30 Prozent. Mit ihrer strikten Geldpolitik setzt sich die Zentralbank scharfer Kritik aus, vor allem aus der Unternehmenswelt. Der Unternehmerverband forderte die Beschneidung der Unabhängigkeit der Notenbank bei der Zinspolitik. Ein Unternehmer klagte jüngst, es sei lukrativer, das Geld auf die Bank zu bringen, als zu investieren. Das verbaue die Zukunft.
Die Zahlen deuten ein vorläufiges Ende des Booms und eine Abkühlung der Wirtschaft an. Ein Absturz droht damit noch nicht. Aber einige Ökonomen sehen bereits die Gefahr einer Stagflation – einer Stagnation bei gleichzeitig nicht zu bändigender hoher Teuerung. Das alles sind Folgen einer von aussen durch die Sanktionen eingeschränkten und im Innern auf Rüstungsausgaben ausgerichteten Volkswirtschaft.