30-Jahre-Jubiläum
Zum 30-jährigen Bestehen des St. Moritz Gourmet Festivals wurden nur Köche mit drei Michelin-Sternen eingeladen. Diese überraschten die Besucher mit coolen Provokationen.
Es sei eines der besten Desserts seines Lebens gewesen, verriet der allein essende Herr mit Berliner Akzent dem Kellner beim Abräumen des geleerten Tellers. Die Rede war von einer Kreation jenes Four-Hands-Menus, das der belgische Drei-Sterne-Koch Viki Geunes und der Franzose Jean-Philippe Blondet im Hotel Kronenhof in Pontresina zubereiteten.
Blondet ist im Hauptberuf Küchenchef des Restaurants Alain Ducasse im Londoner Hotel The Dorchester, und auch er kann stolz die drei Sterne des Guide Michelin herzeigen. Ebenso geht es den übrigen Köchen (Köchinnen waren leider keine präsent) der Jubiliäumsausgabe des St. Moritz Gourmet Festivals. Zum 30-jährigen Bestehen dieser Veranstaltung hatte man in die Vollen gegriffen und niemanden eingeladen, der nicht die Höchstnote des international wohl wichtigsten Restaurantführers ergattert hatte. Drei Michelin-Sterne an allen Ecken!
Wieder einmal etwas wagen
Die beiden für einen Abend gemeinsam arbeitenden Chefs im «Kronenhof» und auch ihre angereisten Kollegen in anderen Hotels zeigten beispielhaft, dass und wie man Gäste aus deren Komfortzone herausführen kann. Da war Blondets Dessert, das viel Begeisterung ausgelöst hatte, weil es Birne und Wacholder auf kraftvolle Weise verband und zudem kaum süss wirkte. Den an Zucker gewohnten Essern, die übersüsste Nachtische oft als normal empfinden (selbst in der gehobenen Gastronomie), schlägt so etwas zwar im ersten Moment auf die Geschmacksknospen, doch je mehr Löffel man nahm, desto erfrischender wurde es.
Auch Dessert Nummer zwei war nicht ohne. Viki Geunes komplexe Kakao-Interpretation, die durch unfermentierte (!) Schokolade und Sake-Schaum auffiel, beeindruckte durch ihren Style, aber noch mehr durch geschmackliche Finesse. Wer den typischen Schokoladengeschmack gewohnt ist – wer ist das nicht? –, musste sich also rasch umstellen. Yuzu, grüner Tee und Kinome, die Blätter des japanischen Pfeffers, brachen die schokoladige Würze auf. Das war ebenso verblüffend und irritierend wie aufschlussreich.
Coole Provokationen
Dass Drei-Sterne-Köche sich gar nicht um die Ansprüche der Gäste kümmern müssen, ist natürlich ein Gerücht. De facto kommen auch die meisten Stars nicht ganz um Trüffel herum, um Kaviar und um andere Zutaten, die allgemein unter Luxus verbucht werden. Juan Amador aus Wien traute sich immerhin, Gambas mit Schaum und Glace (eine neu interpretierte Vichyssoise) so anzureichern, dass man überlegte: Wurde hier der Eigengeschmack des Krustentieres schon überdeckt, oder ging das noch als geniale, bis fast zum Exzess mutige Akzentuierung durch? Ich tendiere zu Antwort Nummer zwei.
Und dann Hideaki Matsuo. Der Japaner serviert beim Gourmetbrunch im «Paradiso», das seit noch nicht allzu langer Zeit zum Imperium des «Badrutt’s Palace» zählt, als Signature Dish eine vermeintlich rustikale, aber de facto sehr tiefgründige Tonjiru Soup mit Schweinefleisch, grünen Zwiebeln, Miso und Konnyaku. Muss man sich trauen.
Die weniger prominenten Köche können sich von den ganz Grossen zumindest ein bisschen mehr Gelassenheit abschauen. Wirklich kompetente Restaurantführer und Gastrokritiker interessieren sich schliesslich nicht für Nachahmungen und Alltäglichkeiten. Sie wollen einen eigenen Stil erleben und ja, bisweilen irritiert werden.
Und auch die Gäste sollten sich einmal von Neuem überzeugen lassen. Nicht immer nur Kalb und Rindfleisch als Hauptgang, sondern bitte auch einmal wieder Lamm – vielleicht sogar Lammzunge, wie sie Jean-Philippe Blondet am Gourmetfestival-Abend im «Kronenhof» servierte. Die schmeckte zwar sehr nach Lamm, doch sie war so richtig gut.