Eine höchst unheilige Allianz hat die Abstimmungsvorlage zur beruflichen Vorsorge versenkt. Man muss dem Gesetzesprojekt keine grossen Tränen nachweinen.
Viele Hunde sind des Hasen Tod. Dieses Schicksal hat die Pensionskassenreform am Sonntag mit 67 Prozent Nein-Stimmen an der Urne erlitten. Diverse Gruppierungen hatten die Vorlage aus völlig unterschiedlichen Motiven bekämpft.
Erstens: In der beruflichen Vorsorge spart man im Prinzip für die eigene Rente. Deshalb ist die Linke grundsätzlich gegen jeden Ausbau, solange damit nicht wie in der AHV massive versteckte Subventionen von oben nach unten und von Jung zu Alt verbunden sind. Die offiziellen Kampfsprüche der Linken zur Reform wie «Mehr Beiträge für weniger Renten» oder «Renten-Bschiss» waren nur als Nebelpetarden zur Verwirrung des Publikums und zur Fütterung der empfänglichen Medien gedacht. Doch ihren Zweck haben diese Nebelpetarden glänzend erfüllt.
Zweitens: Teile des Gewerbes waren gegen die Reform, weil diese für manche Geringverdiener höhere Lohnnebenkosten gebracht hätte – als Preis für später höhere Renten. Drittens: Viele Pensionskassenexperten, gegen die Hälfte der Pensionskassenbranche und generell manche bürgerlich denkenden Urnengänger waren ebenfalls dagegen. Dies vor allem, weil die Reform mit breiten Rentenzuschlägen für 50- bis 64-Jährige die versteckte Umverteilung von Jung zu Alt zunächst sogar noch erhöht hätte – statt die Umverteilung zu senken, wie es das ursprüngliche Reformziel gewesen war. Skepsis weckten zudem handwerkliche Unebenheiten der Vorlage.
Und viertens: Die Reform hätte mehr Rentenerhöhungen als Rentensenkungen gebracht, zum Preis von höheren Lohnabzügen. Losgelöst von administrativen Kosten und Verhaltensänderungen war der Saldo aller Änderungen von Renten und Lohnabzügen null. Doch psychologisch wiegen Verluste schwerer als gleich grosse Gewinne.
Viele Befürworter waren nur lauwarm dafür. Selbst bei den Frauen löste die Vorlage keine Begeisterung aus, obwohl die Frauenorganisation Alliance F für ein Ja kämpfte. Die Reform hätte mit dem Ausbau des Versicherungsobligatoriums für Teilzeitbeschäftigte und andere Geringverdiener besonders zu höheren Frauenrenten führen sollen – zum Preis von höheren Lohnabzügen.
Die angebliche «Rentenlücke» zwischen Frauen und Männern wird zwar oft vor allem von der Linken kritisiert. Aber die lautesten Kritiker der Rentendifferenz zwischen den Geschlechtern lehnten nun am heftigsten eine Reform ab, welche die Differenz verkleinert hätte. Das bestätigt einen alten Befund: Die Linke interessiert sich nur dann für das Frauenthema, wenn sich dieses für einen ideologischen Zweck wie etwa den Ausbau der AHV einspannen lässt.
So kam es am Sonntag, wie es kommen musste. Nach 2010 und 2017 ist nun in der beruflichen Vorsorge zum dritten Mal eine Reform gescheitert, die das rechnerisch überhöhte gesetzliche Minimum der Jahresrente von 6,8 Prozent des Vorsorgekapitals hätte reduzieren sollen. Die 6,8 Prozent beruhen auf einer im Vergleich zu heute klar tieferen Lebenserwartung und auf überhöhten Erwartungen zu den Anlagerenditen. Trotz der Realitätsferne dieser Mindestvorgabe scheint das Urnenverdikt klar: Eine Senkung ist nicht mehrheitsfähig. So kann man sich eine solche Übung in Zukunft sparen.
Die vorgeschlagene Senkung von 6,8 auf 6,0 Prozent hätte auch ohne «Kompensationszuschläge» per saldo die Renten nicht gesenkt, sondern nur die versteckte Umverteilung reduziert. Die Satzreduktion hätte die Neurenten für die Älteren gesenkt, aber dafür die späteren Neurenten für die Jüngeren erhöht – da die Jüngeren die Älteren weniger stark hätten subventionieren müssen.
Doch in den Megafonen des Abstimmungskampfs dominierte die übliche Asymmetrie: das Jammern über Rentensenkungen für ältere Neurentner, kombiniert mit weitgehender Ignorierung späterer Rentenerhöhungen für die Jüngeren. Die Älteren haben als Hauptkundengruppe der politischen Parteien und der traditionellen Medien im öffentlichen Diskurs ein weit überproportionales Gewicht.
Das Volksnein ist kein grosses Unglück. Das überhöhte Rentenminimum gilt nur für das Obligatorium der beruflichen Vorsorge und damit für schätzungsweise 15 Prozent der Pensionskassen und der Versicherten. Die übrigen haben viel überobligatorisches Kapital, so dass mittels Mischrechnung schon heute mathematisch angemessene Renten möglich sind.
Für die Problemkassen ist der Status quo ein Ärgernis. Doch diese können ihr Problem selbst lösen. Entweder wie bisher durch versteckte Quersubventionierung der Rentner zulasten der Jüngeren – vor allem mit zu tiefer Verzinsung des Vorsorgekapitals der Erwerbstätigen. Oder durch den Ausbau der Vorsorgepläne mit überobligatorischen Elementen. Der Trend weg von rein obligatorischen Vorsorgeplänen hat schon vor langem angefangen und dürfte mit dem Volksentscheid vom Sonntag weitergehen.
Die gesetzliche Mindestvorgabe für die Jahresrente dürfte so weiter an Bedeutung verlieren, bis sie längerfristig völlig irrelevant wird. Der Gesetzgeber kann rechnerisch überrissene Rentengarantien befehlen. Doch die Regeln der Mathematik kann er nicht ausser Kraft setzen.