Die Abspaltung der ehemaligen ABB-Turboladersparte hat die kühnsten Erwartungen übertroffen. Die Aktionäre können mit hohen Ausschüttungen rechnen. Aktienrückkäufe werden ein Thema.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Das war mal ein erfolgreicher Spin-off: Das Anfang Oktober 2022 unter dem Namen Accelleron abgetrennte Turboladergeschäft von ABB hat sich als eigenständiges Unternehmen äusserst erfolgreich entfaltet. Dass die Trennung auch für die Muttergesellschaft Vorteile brachte, zeigen nicht zuletzt die überdurchschnittlichen Kursavancen der ABB-Valoren seit dem Spin-off.
Mutter und Tochter im Vergleich
Mit einem Marktanteil von rund 45% ist Accelleron bei Turboladern für Schiffsmotoren der dominierende Anbieter. Rund die Hälfte des Umsatzes wird im Marinebereich erwirtschaftet. Doch auch bei der Gaskompression und bei Notstromaggregaten verfügt das Unternehmen über solide Marktanteile.
Stabil und besonders lukrativ ist das Wartungsgeschäft (Umsatzanteil 75%). Je komplexer die Motoren werden und je unterschiedlicher die verwendeten Kraftstoffe – ausser Diesel und Erdgas zunehmend Methanol, Ammoniak und Wasserstoff –, desto eher wird die Wartung an Spezialisten wie Accelleron ausgelagert.
Für das Unternehmen ist es zudem ein Vorteil, wenn die strengeren Abgasvorschriften den Treibstoff verteuern. Bei Grossmotoren lohnt es sich dann erst recht, Kraftstoff effizienter zu nutzen und einen Turbolader einzubauen. Rund 40% der Betriebskosten eines Frachtschiffes entfallen auf den Treibstoff, nur 1 bis 2% auf den Turbolader. Biotreibstoffe haben zudem die Angewohnheit, mehr Rückstände zu hinterlassen, was eine regelmässigere Wartung der Motoren und Turbolader verlangt. Auch das kann Accelleron nur recht sein.
Aktien auf Allzeithoch
Nach der Bereinigung im Aktionariat kurz nach der Kotierung – einige US-Investoren verkauften die erhaltenen Aktien, weil sie keinen reinen Schweizer Titel halten wollten bzw. durften – ging es mit dem Aktienkurs fast ständig nach oben. Diesen Mittwoch stiegen die Valoren gut 7% auf ein Allzeithoch von 34.64 Fr. Mit einem Kursplus von über 22% seit Anfang Jahr gehören sie zu den Überfliegern, die mit Holcim und Swiss Re mithalten.
Der heutige Kurssprung war dem in jeder Hinsicht besser als erwarteten Jahresergebnis zu verdanken. Der Umsatz verbesserte sich um 17,2% auf 915 Mio. $. Rein organisch betrug die Zunahme gute 15,5%. In einem Markt, der jährlich um 1 bis 2% wächst, ist das eine starke Leistung.
Bemerkenswert war indes vor allem, wie gut das Unternehmen seine Rentabilität verteidigt. Die operative Gewinnmarge auf Stufe Ebita erreichte mit 24,4% fast das Niveau des Vorjahrs (24,6%). Weil das Management bisher signalisierte, 2023 werde am unteren Ende der mittelfristig angepeilten Spanne von 23 bis 26% ausfallen, lagen die Prognosen der Analysten deutlich darunter.
Auch der Reingewinn fiel mit 110 (129,8) Mio. $ rund 10% über den Prognosen aus. Der Gewinnrückgang wurde durch die Trennungskosten verursacht. Für den Aufbau neuer Strukturen, die ein unabhängiges Unternehmen braucht, waren ursprünglich etwa 100 Mio. $ budgetiert. Nun werden es eher rund 145 Mio. $ sein, erklärte Finanzchef Adrian Grossenbacher gegenüber den Medien. Der grösste Teil dieser Einmalkosten ist verbucht, im laufenden Jahr stünden noch etwa 20 Mio. $ an.
Operationell ist Accelleron schon seit vergangenem Sommer unabhängig, die Dienstleistungsverträge mit ABB seien aufgelöst.
Wettbewerb macht Druck
Im Berichtszeitraum gelang es dem Unternehmen, die höheren Material- und Lohnkosten weitgehend dem Kunden via Preiserhöhungen zu übertragen. Das wird nun nicht mehr möglich sein. Bei den Turboladern würden die Preise dieses Jahr wegen des Wettbewerbsdrucks sogar eher sinken, erklärte Konzernchef Daniel Bischofberger. Das würde jedoch über das Servicegeschäft mehr als wieder eingespielt, relativierte er.
Für das laufende Jahr rechnet das Accelleron-Management mit einem Umsatzwachstum von 4 bis 6%. Davon entfallen jedoch etwa 4 Prozentpunkte auf die akquirierte OMT. Im Juli 2023 wurde der italienische Hersteller von Einspritzsystemen für Zweitaktmotoren, OMT (Officine Meccaniche Torino) für 106,6 Mio. $ gekauft. Netto flossen 92,8 Mio. $ ab.
Mit der Neuerwerbung hat Accelleron viel vor. Weil die Kapazitäten bereits jetzt fast voll ausgelastet seien und ein Auftragsbestand von rund einem Jahr vorhanden sei, wurden rund zusätzlich 10% Mitarbeitende eingestellt, gewisse Fertigungsschritte ausgelagert und in neue Anlagen investiert. Bis Ende 2025 wird zudem ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum gebaut, das 4 Mio. bis 5 Mio. $ kosten wird.
Für künftige Nachfrage sei mehr als gesorgt, erklärte Bischofberger. Er könne sich sogar vorstellen, dass die zunehmende Umstellung auf alternative Brennstoffe (E-Fuels) zu Engpässen bei Einspritzsystemen führen wird.
Ausschau nach Akquisitionen
Der CEO schliesst denn auch weitere Akquisitionen nicht aus. Weniger im Kerngeschäft Turbolader, weil hier ein Ausbau der dominanten Marktposition kartellrechtlich nicht möglich sei, sondern eher im Bereich Brennstoffsysteme.
Die Mittel dafür sind vorhanden. Der freie Cashflow verbesserte sich im Berichtszeitraum auf 109 (i. V. 99) Mio. $, was beinahe dem Nettogewinn entspricht. Trotz der Akquisition von OMT beliefen sich die Nettoschulden Ende 2023 lediglich auf 244 Mio. $, was einer konservativen Verschuldungsquote (Nettoschulden im Verhältnis zum Ebitda) von 1,0 entspricht.
An den Mittelfristzielen hält das Unternehmen fest (Umsatzwachstum organisch 2 bis 4%; Ebita-Marge 23 bis 26%; FCF-Conversionrate 90 bis 100%; Verschuldungsgrad 0,5 bis 1,5). Hingegen hat es die Kapitalallokation leicht angepasst. Weiterhin soll dem organischen Wachstum Priorität eingeräumt werden. Künftig werden Akquisitionen jedoch einen grösseren Stellenwert bekommen.
Das hat Auswirkungen auf die Dividendenpolitik. Bisher hiess es, dass der erwirtschaftete Gewinn voll an die Aktionäre gehe, falls der Verschuldungsgrad unter 1 fällt. Nun sagt der Finanzchef, «bei 1,0 bis 1,5 fühlen wir uns wohl».
Aktienrückkäufe geplant
Falls sich keine Akquisitionsmöglichkeiten ergeben, wird der Gewinn indes nicht gehortet. In dem Fall würden die Mittel via Aktienrückkäufe an die Aktionäre zurückgeführt.
Für das abgelaufene Geschäftsjahr kommen die Aktionäre in den Genuss einer um 16% höheren Dividende von 85 (73) Rp. pro Aktie, auch dies mehr, als erwartet worden ist. Daraus rechnet sich eine Rendite von 2,5%.
Das gute Margenniveau soll gehalten werden. Für 2024 wird eine Ebita-Marge von 24,5% in Aussicht gestellt. Angesichts wegfallender Sonderaufwendungen dürfte dieser Wert erreichbar, wenn nicht übertroffen werden.
Diese zuversichtlichen Aussichten schlagen sich in der Bewertung der Accelleron-Aktien nieder. So teuer wie jetzt waren sie noch nie, auch wenn die Anpassungen der Gewinnschätzungen das Kurs-Gewinn-Verhältnis etwas dämpfen sollten.
Das solide und lukrative Geschäftsmodell in einem wachsenden Markt macht die Accelleron-Aktien attraktiv. Das Management ist bodenständig, vertrauenswürdig und kommuniziert transparent und unaufgeregt. Das sind ebenfalls Faktoren, die in die Bewertung einfliessen sollten.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Giorgio Müller