Der bevorstehende Linksrutsch in der französischen Regierung sorgt bei Unternehmern für Unbehagen. Sie fordern den Präsidenten auf, seine Reformen fortzusetzen – trotz verlorener Wahl.
Frankreich hat gewählt – und das Ergebnis ist ein anderes als das, was alle erwartet hatten. Dem Land bleibt eine nationalistische Regierung mit einem 28-jährigen, unerfahrenen Premier erspart. Stattdessen wird in den kommenden Tagen das Linksbündnis Nouveau Front populaire (NFP) seinen Kandidaten für das Premierministeramt vorstellen und im Anschluss versuchen, eine Regierung zu bilden.
Das Bündnis aus den vier grössten Parteien des linken Spektrums konnte bei der Stichwahl am vergangenen Sonntag die meisten Sitze gewinnen, das rechtsnationale Rassemblement national landete nur auf dem dritten Platz. Während in der französischen Bevölkerung, vor allem in den Städten, Erleichterung herrscht, sind die Wirtschaftsführer des Landes in Sorge. Auf sie kommen stürmische Zeiten zu. Denn die neue Volksfront ist mit zahlreichen Versprechen angetreten, die ein Ende der liberalen Wirtschaftspolitik à la Macron bedeuten.
Mehr Sozialstaat, mehr Steuern
Die Linken stellen den Franzosen ein umfassendes Sozialprogramm in Aussicht. Einer der wichtigsten Punkte darin ist die Rentenreform, die Macron vergangenes Jahr gegen grossen Widerstand in Parlament und Bevölkerung durchgeboxt hat. Durch sie stieg das Rentenalter von 62 auf 64 Jahre. Der NFP will die Reform nicht nur rückgängig machen, sondern das Rentenalter noch weiter auf 60 Jahre senken – trotz prognostizierten Milliardendefiziten in den Rentenkassen.
Weiter will das Bündnis den Mindestlohn um 200 Euro auf 1600 Euro anheben und die Preise von einigen Grundnahrungsmitteln und Treibstoffen deckeln. Zur Finanzierung dieses kostspieligen Programms sollen Steuern herhalten: So soll die von Macron abgeschaffte Vermögenssteuer wieder eingeführt werden. Auch Unternehmen, die sogenannte Superprofite erzielen, sollen zusätzliche Abgaben leisten müssen. Ausserdem will das Bündnis bei der Einkommenssteuer 14 verschiedene Steuersätze einführen. Erben soll nur noch bis zu einem Maximalbetrag möglich sein – der ausserdem auch noch höher besteuert werden soll.
Während linke Ökonomen wie Thomas Piketty und Julia Cagé das Programm als durchdacht und realistisch loben, bezweifeln andere dessen Umsetzbarkeit – zumal die Parteien darüber hinaus das Heil in mehr Abschottung suchen und Freihandelsverträge ablehnen. Mit dem früheren IWF-Chefökonomen Olivier Blanchard hat selbst ein bekennender Sozialdemokrat das Programm als «gefährlich» bezeichnet.
Der Verschuldungsgrad scheint egal zu sein
Laut Expertenmeinungen könnten Kosten von 200 Milliarden Euro auf den französischen Staatshaushalt zukommen. Dabei müsste Frankreich eigentlich sparen: Die Verschuldungsquote des Landes lag vergangenes Jahr bei 5,5 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP). Seit 50 Jahren hat Frankreich keinen ausgeglichenen Haushalt mehr ausweisen können. Selbst für die bescheidenen Sparziele der bisherigen Regierung wären dieses Jahr Einschnitte von rund 10 Milliarden Euro nötig gewesen.
Würde das linke Programm wie geplant umgesetzt, wäre das ein radikaler Bruch mit der Ära Macron. Eine der ersten Amtshandlungen des Präsidenten war es, die Abgaben für Unternehmen und den Spitzensteuersatz zu senken. Steuererhöhungen lehnt er bis heute kategorisch ab. Den Mindestlohn hat Macron einmal auf dem Höhepunkt der Gelbwesten-Bewegung um 100 Euro angehoben, will aber seitdem nichts mehr daran ändern. Der noch amtierende Wirtschaftsminister Bruno Le Maire schrieb auf X, die Volksfront würde die Ergebnisse seiner Regierung zerstören, sie betreibe ein «exorbitantes Projekt».
Les Français sont allés massivement aux urnes le 7 juillet. Ils ont dit non à l’arrivée du Rassemblement national au pouvoir. C’est une excellente nouvelle. La France reste la France, hostile à toute discrimination et à toute distinction entre les citoyens.
Je veux adresser à…
— Bruno Le Maire (@BrunoLeMaire) July 8, 2024
Für das hochverschuldete Land war Macrons Reformkurs in vielerlei Hinsicht der richtige Weg. Er sorgte dafür, dass ausländische Anleger – die rund die Hälfte aller französischen Staatsanleihen halten – bisher trotz hoher Verschuldung Vertrauen in das Land hatten. Macron machte Frankreich für Investitionen attraktiv, der Finanzplatz Paris gewann an Statur.
Reformen werden schwieriger
Der französische Arbeitgeberverband Medef hat den Präsidenten darum in einem Statement dazu aufgefordert, seine Politik trotz verlorener Wahl durchzusetzen. Er solle sich nicht für «parteipolitische Interessen» einsetzen, sondern «für das Land», so die Arbeitgeber. «Die Politik der vergangenen Jahre ist erfolgreich und muss fortgesetzt werden.» Nur diese garantiere den Wohlstand des Landes und Europas.
Angesichts der politischen Lage wird das schwierig werden. Macron wird nicht darum herumkommen, mit der linken Volksfront zu kooperieren. Nur, welche Regierung am Ende tatsächlich steht und welche Forderungen übrig bleiben, das weiss zum derzeitigen Zeitpunkt niemand.
Die Linken sind mit 180 Sitzen im Parlament weit von einer absoluten Mehrheit entfernt. Dafür wäre eine Koalition mit dem Lager des Präsidenten nötig. Die Chancen für ein solches Bündnis sind jedoch de facto gleich null, weil die radikal linke Partei La France insoumise und das Macron-Lager nicht zusammenarbeiten wollen.
Eine mögliche Alternative wäre eine Kooperation zwischen gemässigten linken Kräften, den Parteien des Macron-Lagers und den konservativen Républicains. Dafür müssten alle Seiten immense Zugeständnisse machen. Sicher ist, dass das Präsidentenlager mit einem Sitzanteil von weniger als 30 Prozent in der neuen Nationalversammlung weniger zu sagen hat als in der alten. Als Alternative für eine Koalition wird nach wie vor eine Technokratenregierung diskutiert. Auch diese müsste aber die neue linke Stärke im Parlament berücksichtigen.
So oder so: Frankreich wird unberechenbar
«Eine stabile Regierung erscheint mit diesem Ergebnis nicht möglich», bringen es Analysten der Dekabank in einem Statement auf den Punkt. Entsprechend sei davon auszugehen, dass Themen wie Haushaltskonsolidierung und Wirtschaftsreformen auf der Agenda nach hinten rutschten. «Während eine breite Koalition aus Macrons Allianz, Teilen der Linken und den Republikanern das aus Marktsicht ‹beste› Szenario wäre, wäre eine linke Minderheitsregierung das Negativszenario», so die Bank.
Nicht nur für Frankreich, auch für die EU steht nach dieser Wahl einiges auf dem Spiel. Das Erstarken der Linken in Frankreich kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Einhaltung der Maastricht-Kriterien durch das Land ohnehin in weiter Ferne liegt. Die EU-Kommission hat jüngst sogar ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet, und der Internationale Währungsfonds warnte bereits vor einer strukturellen Schwäche der öffentlichen Finanzen im Land.
Und sollte das Linksbündnis sich tatsächlich dazu entscheiden, Jean-Luc Mélenchon, den Vorsitzenden von La France insoumise, als Premierminister aufzustellen, wäre das für die EU eine Katastrophe. Der bekennende EU-Gegner würde das Regelwerk der Union wie etwa den Stabilitäts- und Wachstumspakt wohl konsequent ignorieren.
Klar ist, dass die wirtschaftspolitischen Herausforderungen in Frankreich in absehbarer Zeit nicht kleiner werden. Und egal, welche Regierung am Ende steht: Frankreich wird noch weniger berechenbar sein als ohnehin schon.