Forscher haben ein Merkmal entdeckt, durch das sich der Mensch eindeutig vom Tier unterscheidet: ein Herz, das besonders viel Blut pumpen kann. Es ist eine evolutionäre Anpassung an unser grosses Gehirn und unseren Bewegungsdrang.
Was unterscheidet den Menschen vom Schimpansen? Seine Hemmungen, meinte der Berner Chansonnier Mani Matter. Schon Aristoteles war dagegen überzeugt, es sei die Sprache. Man könnte auch noch den aufrechten Gang oder das grosse Gehirn ins Feld führen. Nun jedoch hat ein internationales Forschungsteam ein weiteres Organ ausgemacht, das unsere Spezies einzigartig machen soll: das Herz.
Bisher ging man davon aus, dass die Herzen aller Säugetiere ziemlich ähnlich sind. Laut der neuen Studie unterscheidet sich das menschliche Herz aber deutlich von dem unserer nächsten Verwandten, der Menschenaffen. Es weist strukturelle Besonderheiten in der linken Herzkammer auf, zudem zieht sich der Herzmuskel anders zusammen. Offenbar handelt es sich dabei um eine Anpassung an unser aktives Leben auf zwei Beinen und an das grosse Gehirn: Das Menschenherz kann mehr Blut pumpen, um den erhöhten Energiebedarf zu decken.
Dass Menschenaffen andere körperliche Voraussetzungen haben als wir, zeigt schon der Besuch im Zoo. «Dort sieht man, dass Schimpansen jeweils nur für kurze Zeit sprinten, dann sind sie völlig ausser Atem», erklärt Aimee Drane, Herzphysiologin an der Swansea University und Mitautorin der Studie. «Sie sind einfach nicht geschaffen fürs Rennen.» Ganz anders der Mensch. Er verfügt gleich über mehrere Eigenheiten, die ihn zu einem vorzüglichen Langstreckenläufer machen: seine langen Beine, die ausdauernden Muskeln, eine Haut voller Schweissdrüsen statt eines Fells. Das menschliche Herz sei ein weiteres Puzzlestück dieser Maschinerie, sagt Drane.
Herzultraschall bei Schimpansen
Unsere Vorfahren waren Hunderttausende Jahre lang Jäger und Sammler. Um ihre Beute zu verfolgen oder pflanzliche Nahrung zu suchen, mussten sie während Stunden aktiv sein. Damit die Muskeln stetig mit genug Energie versorgt wurden, brauchte es ein Herz, das viel Blut pumpen konnte. Die typischen körperlichen Anstrengungen eines Menschenaffen – einen Baum erklimmen, einen Artgenossen vertreiben – dauern dagegen viel weniger lang. Ihr Herz ist dabei stark belastet, aber nur für ganz kurze Zeit.
Die Forscher um Aimee Drane verglichen das menschliche Herz mit denjenigen von Menschenaffen. Sie untersuchten Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans, die in Wildtierauffangstationen in Afrika oder in Zoos in Europa leben. Mithilfe eines Herzultraschalls erstellten die Wissenschafter Bilder der linken Herzkammer, die das Blut in die Aorta und damit durch den Körper pumpt. Mit einer zusätzlichen bildgebenden Technik verfolgten sie das Muster des Herzmuskels, wenn er sich zusammenzog und entspannte.
Dabei fanden sie heraus, dass die Herzkammern der Affen viel stärker als die des Menschen von sogenannten Trabekeln durchzogen sind. Das sind Bündel von Muskeln, die wie eine Art Netz arrangiert sind. Die linke Herzkammer eines gesunden Menschen dagegen ist glatt, mit überwiegend kompakter Muskulatur. Der Unterschied ist am Apex, dem unteren Teil des Herzens, am deutlichsten. Zudem ist die menschliche Herzkammer etwas grösser.
«Wir haben die ausgeprägten Trabekeln bei allen Menschenaffen gefunden, bei jungen und bei alten», sagt Drane. Vielleicht noch wichtiger seien aber die Unterschiede bei der Herzfunktion. Das Forschungsteam hat festgestellt, dass sich das menschliche Herz, wenn es sich zusammenzieht, auch noch verdreht. «Löst sich diese Verdrehung in der Entspannungsphase, kann das Herz sehr viel Blut ansaugen, das es bei der nächsten Kontraktion weiterpumpt», erklärt Drane. Bei den Menschenaffen finde keine solche Drehbewegung statt.
Während die Herzen der Menschenaffen mit ihren Trabekeln dickwandiger und damit gut dazu geeignet sind, mit kurzzeitig hohem Blutdruck umzugehen, stellt das Menschenherz mit seiner hohen Pumpleistung die stete Energieversorgung des Körpers sicher.
Der rote Kopf nach der Joggingtour
Laut Drane kommt dem Ausdauersportler Mensch das kardiovaskuläre System noch in einer weiteren Rolle zugute. Der Blutfluss trägt neben dem Schwitzen zur Abkühlung bei: Wenn sich die Blutgefässe in der Nähe der Haut erweitern, wird Wärme an die Luft abgegeben. Daher rührt auch der rote Kopf nach einer sommerlichen Joggingtour.
Andere Tiere können nicht auf diese Kühlfunktion zurückgreifen. Bei der Hetzjagd in der afrikanischen Savanne, die nicht nur heutige Jäger und Sammler, sondern wohl auch schon unsere Vorfahren betrieben, ist dies entscheidend: Der Mensch kann Beutetiere wie etwa Gazellen so lange verfolgen, bis sie überhitzen und kollabieren.
Doch wenn das menschliche Herz so viel mehr Blut pumpt als das unserer nächsten Verwandten, braucht es dann nicht noch zusätzliche Anpassungen im Herz-Kreislauf-System? Offenbar schon, wie eine andere Forschungsgruppe kürzlich zeigen konnte. Sie hat sich jenen Körperteil genauer angeschaut, der direkt ans Herz anschliesst: die Aorta. Tatsächlich ist dieses Blutgefäss bei unserer Spezies deutlich grösser als bei den Menschenaffen. Und auch diese Forscher kommen zum Schluss, dass das grosse Gehirn und der energetisch aufwendige Lebensstil des Menschen den erhöhten Blutdurchfluss erfordern.
Affenähnliches Herz bei Sportmuffeln
Schon früher haben Aimee Drane und ihre Kollegen zudem herausgefunden, dass es auch unter den Menschen deutliche Unterschiede im Aufbau des Herzens gibt, die allerdings vom Lebensstil abhängen. Die Wissenschafter untersuchten die Herzstruktur von Ausdauerathleten sowie von Menschen, die sich kaum körperlich betätigen. Es zeigte sich, dass die Sportler längere, grössere und elastischere linke Herzkammern haben. Im Gegensatz dazu haben die untrainierten Menschen oft schon in jungen Jahren ein eher affenähnliches Herz mit dickeren und weniger flexiblen Wänden.
Das belegt eindrücklich, wie uns regelmässige Bewegung gesund hält – und dass zu wenig davon schadet: «Fliessen nicht regelmässig grosse Mengen Blut durch unser Herz und unsere Gefässe, beginnen diese zu versteifen», sagt Drane. Das führe zu einem höheren Blutdruck, was wiederum Herzrhythmusstörungen verursachen könne.
Die Erkenntnisse der Forscher deuten darauf hin, dass der Prozess der Entwicklung von Bluthochdruck bereits Jahre vor der ersten Feststellung in einer Arztpraxis in Gang gesetzt wird. Das Problem ist weit verbreitet, wie Zahlen der Weltgesundheitsorganisation zeigen. So sollen 31 Prozent der Erwachsenen weltweit nicht die empfohlenen 150 Minuten körperlicher Betätigung pro Woche mit moderater Intensität erreichen. Etwa ein Viertel von ihnen hat einen zu hohen Blutdruck.
Deshalb Dranes Appell: Auch wenn es besser sei, sich ein Leben lang zu bewegen, sei es nie zu spät, damit anzufangen. «Sport ist immer nützlich für uns Menschen», sagt sie. Schliesslich seien wir von Natur aus dafür gemacht – inklusive unseres einzigartigen Herzens.
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