Vor 70 Jahren starb der Argentinier auf der dritten Proberunde des Grossen Preises von Deutschland. Um grössere Sicherheit für die Rennfahrer kümmerte man sich danach aber lange nicht.
Es ist diese eine Grenzüberschreitung zu viel, die einen Rennfahrer den kalten Hauch des Todes spüren lässt. Nirgendwo schrammen seit bald einem Dreivierteljahrhundert die Sportler so häufig, so knapp und so spektakulär an diesem unsichtbaren Limit entlang wie in der Formel 1. Piloten, die ihr Schicksal herausfordern wie Seiltänzer ohne Netz. Es ist ein ewiges Wagnis, das die einen fasziniert und die anderen abschreckt.
In den bis heute insgesamt 1115 WM-Rennen gab es – gemessen an Tempo, Risiko und Anzahl der Teilnehmer – lediglich 25 Todesopfer zu beklagen. Aber jeder Toter ist einer zu viel. Hinzu kommen sieben Fahrer, die ihr Leben in einem nicht zur Wertung zählenden Grand Prix liessen, wie der Schweizer Jo Siffert 1971 in Brands Hatch, dazu neun Piloten bei Testfahrten.
Der erste tödliche Unfall in der Formel 1 jährte sich am 31. Juli zum 70. Mal. Die Weltmeisterschaft geht 1954 in ihre fünfte Saison, als sich im Windschatten des grossen Juan Manuel Fangio mit Onofre Marimon ein weiterer Argentinier anschickt, in die Spitzengruppe vorzustossen. Die Werksmannschaft von Maserati sieht in dem 30-Jährigen ein vielversprechendes Talent auf den Spuren seiner Landsleute Fangio und José Froilan Gonzalez. «Ich will so werden wie sie», sagt der Aufsteiger. Fangio, der spätere fünffache Champion, ist nicht nur ein Vorbild, sondern auch ein wertvoller Tippgeber.
Der Grosse Preis von Deutschland ist das Lieblingsrennen von Onofre Marimon, er mag die hügelige Eifellandschaft rund um den Nürburgring, sie erinnert ihn an seine südamerikanische Heimat. Doch am ersten Trainingstag kommt er nicht gut zurecht, er brauchte für die 23 Kilometer der Nordschleife deutlich mehr als zehn Minuten. Der Mentor Fangio schlägt vor, am Samstag als Tandem auf der Piste gemeinsam eine bessere Linie zu erarbeiten.
Der Brustkorb des Fahrers wird vom Lenkrad eingedrückt
Doch der Ehrgeiz des Jüngeren ist so gross, dass er nicht auf den Champion warten will. In der dritten Proberunde verliert er im schwer einzusehenden Streckenabschnitt Wehrseifen offenbar nach einem technischen Defekt die Kontrolle, das Auto schiesst durch eine Hecke, wird angehoben, überschlägt sich und bleibt kopfüber an einer Böschung liegen. Der Brustkorb des Fahrers wird vom Lenkrad eingedrückt; als das Wrack von Zuschauern wieder aufgerichtet werden kann, gibt es keine Hoffnung mehr für den Fahrer. Ein Pfarrer, der zufällig an der Unfallstelle weilt, gibt Marimon die letzte Ölung.
Die Grenzen der Physik, die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit als Entschuldigung zu nehmen, ist nur ein Reflex. Von nun an geht es nicht nur um Geschwindigkeit, sondern auch um Sicherheit. Fahrern und Veranstaltern allein darf das nicht überlassen bleiben, sie verfolgen ihre eigene Agenda. Bezüglich Sicherheit wird es nur zögerlich besser, erst 1963 übernimmt der Automobilweltverband FIA das Zepter und führt erste Standards ein, zunächst für die Rennstrecken.
Angesichts der Gefahren und mit dem heutigen Wissen muten die ersten Schritte immer noch vorsintflutlich an. Der Einsatz von stabileren Tanks, bruchfesten Helmen und Rennoveralls wird verfügt, Überrollbügel sind Pflicht. Auch daneben tut sich etwas: Streckenposten bekommen Signalflaggen, die Boxengasse muss durch Mauern geschützt sein, Leitplanken sind doppelt zu ziehen, die Zuschauer werden drei Meter hinter die Begrenzung gedrängt. Dennoch werden die 1970er Jahre, als mit Jochen Rindt sogar ein Weltmeister postum gekrönt werden muss, das tödlichste Jahrzehnt von allen. In das Gedächtnis gräbt sich auch Niki Laudas Feuerunfall auf dem Nürburgring ein; der Österreicher überlebte.
Damals gehört der Tod fast zum Tagesgeschäft, aber dem Image der sich weiter professionalisierenden Formel 1 ist das keinesfalls abträglich. Das ist, so zynisch das auch erscheint, der Hauptgrund, warum sich erst nach dem schwarzen Wochenende von Imola 1994 mit dem Tod von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna das Sicherheitsdenken beschleunigt – es geht auch um den Fortbestand der ganzen Sportart.
Der FIA-Präsident Max Mosley erkennt das und profiliert sich als Anwalt der Sicherheit, assistiert von Michael Schumacher als prägendem Fahrer seiner Generation. Kohlefaserchassis, Crashtests und Unfalldatenschreiber sorgen auf Fahrzeugseite für mehr Schutz. Die Erkenntnisse von der Rennstrecke werden auf die Sicherheitsforschung für den normalen Strassenverkehr übertragen.
Endlich tut sich auch Entscheidenderes für die Fahrer. Revolutionär wirkt das Hans-System, das über die Schultern gezogen wird und Hals sowie Nacken schützt; es wird aber zunächst abgelehnt. Doch im Zusammenspiel mit gepolsterten Cockpitverkleidungen lässt das Korsett 2007 den Sauber-Piloten Robert Kubica den vielleicht spektakulärsten Crash der Neuzeit unverletzt überleben.
Der letzte tödliche Unfall in der Formel 1 geschah 2014
Einen ungeahnten Schub bekommen alle Bemühungen nun mit der Gründung einer Stiftung für Sicherheit. Die 60 Millionen Dollar dafür stammen aus der Geldstrafe für McLaren-Mercedes nach einer Spionageaffäre. Die Forschung bekommt gleich einen konkreten Auftrag, als der Helm von Felipe Massa von einer Feder durchschlagen wird und die Diskussion um eine Kuppel für die Cockpits neu entbrennt. Daraus entwickelt sich der Sicherheitsbügel namens Halo, der 2018 eingeführt wird und seither Todesopfer verhindern konnte.
Den bisher letzten tödlichen Unfall hat die Formel 1 im Jahr 2014 zu beklagen, als Jules Bianchi mit seinem Marussia im Regen von Suzuka unter einen Bergungskran fährt, der Franzose stirbt nach neun Monaten im Koma. Die Rennkommissäre reagieren heute weit strikter und vorsichtiger bei Gefahrensituationen. Dennoch steht auf jeder Eintrittskarte, jedem Fahrerlager-Pass der warnende Satz: Motorsport ist gefährlich. Es ist müssig, zu diskutieren, ob Onofre Marimon in einem heutigen Rennwagen überlebt hätte. Doch jedes Leben, das verloren wurde, hilft andere zu schützen – wenn die richtigen Konsequenzen daraus gezogen werden.