Samstag, November 23

Der Theaterregisseur Stefan Bachmann hat die Intendanz des Burgtheaters übernommen. Das Wiener Publikum gefällt ihm, weil es sich begeistern und provozieren lässt. Im Unterschied zu den Zürchern.

Stefan Bachmann, Sie sind der neue Intendant des Wiener Burgtheaters – der sogenannten Burg. Haben Sie damit ein Karriereziel erreicht?

Ich mochte das Burgtheater immer ausgesprochen gerne als Arbeitsort. Aber ich habe nie an die Intendanz gedacht. So war ich überrascht, als ich einen Anruf bekam und gebeten wurde, mich um die Leitung zu bewerben. Dass die Findungskommission mich schliesslich auswählte, hat mich einerseits unfassbar gefreut. Andrerseits bin ich aber auch erschrocken. Ich weiss noch, wie ich unterwegs zur Pressekonferenz in Wien auf der Autobahn einen Stopp einlegte und mir sagte: Das ist jetzt vielleicht der grösste Fehler meines Lebens.

Was hatten Sie für Befürchtungen?

Das Burgtheater steht stets unter Druck, alle Augen sind darauf gerichtet. Es ist der Stolz des Landes Österreich. Es ist aber überhaupt die grösste und wichtigste Bühne im deutschen Sprachraum – mit einer unglaublichen Tradition. Da muss man sich schon fragen, ob man dem gewachsen ist.

Jetzt sind Sie seit Anfang September in Wien. Wie läuft es bis jetzt?

Viel besser, als ich befürchtet habe. Ich hatte ja eigentlich Schimpf und Schande erwartet. Denn immerhin sind wir ja in Wien, das bekannt ist für seinen Schmäh und seine giftigen Kritiker. Aber erst mal waren alle ganz nett zu mir.

Sie haben die grosse Tradition des Burgtheaters angesprochen. Kann die Tradition manchmal auch neuen Formen und Experimenten im Wege stehen?

Ich habe dieses Haus stets als offene Institution erlebt, offen für Experimente und offen für neuere Literatur, manchmal gegen den Widerstand der Öffentlichkeit. Dass das Burgtheater besonders konservativ sei, ist ein Klischee, das nicht zuletzt auch Thomas Bernhard bewirtschaftet hat. Er hat auch nicht ganz unrecht. Es gibt hier schon auch Verkrustungen. Das Theater stammt aus der Kaiserzeit, und das merkt man nicht nur am Stuck.

Können Sie ein Beispiel geben?

Es gibt ein ausgeprägtes hierarchisches Bewusstsein – oft zum Leidwesen der Beschäftigten. Der Strukturwandel hat zwar auch vor dem Burgtheater nicht haltgemacht. Aber es gibt Möglichkeiten, da noch weiterzugehen im Sinne flacherer Hierarchien. Als kleiner Schweizer habe ich mich in die Habsburg hineingewagt. Da bin ich nun für die Entfeudalisierung des Theaters zuständig. Das ist geradezu eine Variation der Wilhelm-Tell-Geschichte.

Haben Sie Schauspieler aus Köln mit sich nach Wien gebracht?

Das Burg-Ensemble war unter meinem Vorgänger Martin Kušej bereits stark erneuert worden. Die Findungskommission hat mir deshalb schon in den ersten Gesprächen von einem Kahlschlag abgeraten. Ich habe zehn Schauspielerinnen und Schauspieler aus Köln hier neu engagiert. Gleichzeitig wurde bei zehn ehemaligen Ensemblemitgliedern der Vertrag nicht mehr verlängert, was bei einem Ensemble von siebzig Leuten ein relativ kleiner Anteil ist.

Im Theater reagieren Ensemble und Techniker immer sensibler auf Übergriffe der Intendanz. Wie wirkt sich das auf Ihre Tätigkeit aus, setzen Sie vermehrt auf Teamarbeit?

Wenn man vom Strukturwandel im Theater spricht, so gibt es zwei Seiten. Es geht zunächst nicht um Kunst, es geht um das Betriebsklima – um eine Kultur des Miteinanders, so wie sie in andern Betrieben längst eingefordert wird: Kann ich angstfrei an meinen Arbeitsplatz kommen, gibt es festgelegte Ruhezeiten, sind Systeme der Ausbeutung entstanden – das sind die Fragen, um die es geht.

Und was wäre die andere Seite?

Bei allem Wandel sollten wir das Eigentliche nicht aus den Augen verlieren und nicht vergessen, dass wir Künstlerinnen sind. Kunst zu machen in Zeiten erhöhter Achtsamkeit, empfinde ich zumeist als förderlich für die Kunst. Denn mündige Menschen, die sich etwas zu sagen trauen, sind viel spannender als eingeschüchterte Schafe. Und ich finde es insbesondere gut, wenn Frauen selbstbewusst sein können und nicht mit dummen Sprüchen konfrontiert werden. In dieser Beziehung hat in den Theatern in den letzten Jahren fast eine Art Revolution stattgefunden – und wie bei jeder Revolution gibt es Ausschläge, die dann zu extrem sind.

Wann ist Ihnen die Achtsamkeit zu extrem?

Sie ist dann nicht gut, wenn sie in Anspruch genommen wird, um Faulheit und Talentlosigkeit zu überdecken.

Auf Ihre Ernennung zum neuen Intendanten hin wurden in den Medien auch Ihr Alter, 58, und Ihr Geschlecht thematisiert. Die einen klagten, als weisser Mann würden Sie wenig zur Diversity beitragen, die andern frohlockten.

Und das stimmt ja insofern, als ich halt wieder ein Mann bin, dazu weiss und relativ alt. Ich denke mir aber, dass einer anderen Person der Vorzug gegeben worden wäre, hätte diese über die gleichen Fähigkeiten verfügt. Wenn ich das sagen darf: Ich bin froh, dass ich bereits viel Leitungserfahrung mitbringe. Nur weil man irgendeinem Bild entspricht, heisst es nicht, dass man so einen grossen Laden wie die Burg führen kann.

Sie sind jetzt in Wien, zuvor waren Sie in Basel, in Köln. Weshalb haben Sie eigentlich nie das Schauspielhaus in Ihrer Geburtsstadt Zürich geleitet?

Das hätte ich mir durchaus vorstellen können. Aber es ist lustig, ich hatte aus Zürich nie eine Anfrage. Es ist nie jemand auf die Idee gekommen, mich anzufragen.

Was ist nun anders in der Theaterstadt Wien als in Basel oder Köln?

In Wien ist die Theaterliebe geradezu in die Gene der Menschen eingraviert. In Wien geht man ins Theater, man redet über Theater. Wenn ich spazieren gehe und Gesprächsfetzen aufschnappe, dann geht es darum, was jemand gerade im Theater gesehen hat. Wenn ich im Café sitze, wird am Nebentisch über Theater geredet. Das ist nicht gelogen. Und die Leute sind in hohem Masse vom Theater emotionalisiert – im positiven wie im negativen Sinne. Sie können sich total aufregen, sie können Aufführungen verfluchen und hassen. Sie können sie aber auch lieben und feiern. Das ist ganz anders als etwa in Zürich. «S isch no guet gsii» – das ist das grösste Lob, das man in Zürich zu hören bekommt. Für Theaterschaffende sind solch laue Urteile Gift.

Ich muss gestehen: «S isch no guet gsii» – das könnte auch ich gesagt haben. Zu meiner Verteidigung möchte ich aber sagen, dass es oft auch die Inszenierungen sind, die einen zu solchen Urteilen inspirieren.

Ja, das kann auch einmal so sein.

Spricht für die Bedeutung des Theaters in Zürich nicht der Umstand, dass das Schauspielhaus grosse Kontroversen hervorruft? Das hat exemplarisch die Aufregung um die Intendanz von Christoph Marthaler gezeigt.

Ja, die Marthaler-Zeit war sicher eine sehr spannende Zeit, die ich noch relativ nahe erlebte, weil ich gleichzeitig in Basel war. Später konnte ich weniger oft nach Zürich kommen.

Und wie fiel Ihr Vergleich zwischen den Theatern in Basel und Zürich aus?

Basel ist traditionell noch mehr eine Theaterstadt – auch dank legendären Direktoren wie Hans Hollmann, Werner Düggelin oder Frank Baumbauer. In Basel hat man immer wieder versucht, etwas Neues durchzusetzen. Basel war immer so ein bisschen Avantgarde, und Zürich war immer ein bisschen Verwaltung von Tradition.

Gibt es am Burgtheater gewisse ästhetische Werte, die quasi institutionalisiert sind, so dass auch Sie sich daran halten müssen?

Der Schauspieler steht hier im Zentrum. Das mag wie eine Binsenwahrheit tönen – ist es aber nicht. Es ist hier immer wichtiger, wer auf der Bühne spielt, als wer’s inszeniert hat. Das finde ich gut. Es gibt auch eine besondere Kultur, Literatur zu vermitteln, Literatur sprechen zu lassen, was ich auch als sehr wertvoll empfinde. Ich habe im neuen Programm selber stark auf Narration gesetzt. Es geht darum, Geschichten packend zu erzählen.

Wie sieht es aus mit Musiktheater, Tanz, Multimedia – ist das weniger wienerisch?

Es kommt immer auf das Regieteam an. Es gibt zum Beispiel Leute, die mit viel Video arbeiten wollen, und andere, die ganz darauf verzichten. Da bin ich selber aber vollkommen undogmatisch. Ich verteidige eigentlich immer die Vielfalt. Monokultur finde ich das Schlimmste, was es gibt. Ich bin für ein grosses Spektrum unterschiedlicher Theatersprachen.

Ein künstlerisches Profil zeichnet sich aber auch dadurch aus, dass man etwas bewusst weglässt. Was wäre das in Ihrem Theater?

Dogmatismus, Moralismus und Langeweile.

Sie sehen das Theater also nicht als «moralische Anstalt», wie es Friedrich Schiller formulierte?

Ich weiss nicht, ob Kunst und Moral überhaupt zusammenpassen. Man kann die Moral vielleicht ansprechen oder diskutieren in der Kunst. Aber soll das Theater eine moralische Botschaft haben? Dürfen? Ja! Müssen? Nein! Theater kann sehr unterschiedliche Wirkungen haben. Gerade in aufgeladenen, düsteren Zeiten kann sich auch ein «comic relief» – befreiende Komik – als sinnvoll und politisch erweisen.

Wie steht es um Verfahren und Mittel der Provokation, die man lange mit dem zeitgenössischen Theater assoziiert hat – etwa bei Christoph Schlingensief?

Ich finde Provokation eine gute Möglichkeit, mit dem Publikum in einen Streit, in eine Diskussion hineinzufinden. Ich bin für Provokation, wenn sie wie bei Schlingensief oder Milo Rau gut gemacht ist und die Regisseure genau wissen, weshalb sie provozieren. Aber ich mag auch anschmiegsame Publikums-«Pleaser», wenn sie nicht schmierig sind. Die Mischung macht es aus.

Der deutsche Theaterregisseur Christopher Rüping fand in einem Interview, dass Provokation zu einer Methode der Populisten verkommen sei. Ist die theatrale Provokation in die Politik übergegangen?

Nach den Präsidentschaftswahlen in den USA habe ich mir die Siegesfeier im Livestream angeschaut. Umgeben von seiner halbseidenen Entourage, schwadroniert Trump vor sich hin. Es ist surreal. Da sagte ich mir: Das ist ja unfassbar tolles Schauspiel, diese Typen stehlen uns die Show.

Empfinden Sie die Politik als grosses Theater?

In der Realpolitik wird mittlerweile so unbefangen gespielt wie gelogen. Das ist eine grosse Niederlage für die Politik und eine Herausforderung für uns: Denn auch wenn die Politik derart grotesk daherkommt, möchte ich nicht, dass das Theater zu brav wird.

Wie erleben Sie das Polittheater in Österreich? Auch hier sind die Populisten dank der FPÖ immer stärker.

Das sind eher Figürchen als Figuren, Hampelmännchen der Macht.

Hat die FPÖ keinen Einfluss auf die Kulturpolitik?

Noch nicht. Aber das ist sofort nicht mehr lustig für uns, wenn sie an die Macht kommt.

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