Lando Norris muss seinen McLaren-Teamkollegen am Grossen Preis von Ungarn vorbeilassen. Das tut er nur widerwillig. Ärger gab es auch beim Formel-1-Weltmeister Max Verstappen, der nicht aufs Podest fuhr.
Sich nach nur anderthalb Jahren in der Formel 1 den Kindheitstraum schlechthin zu erfüllen und den ersten Grand-Prix-Sieg einzufahren, das verlangt nach Euphorie. Doch Oscar Piastri, der im McLaren den Grossen Preis von Ungarn gewinnen konnte, setzte nach der Zieldurchfahrt auf dem Hungaroring nur eine höfliche Dankesbotschaft ab, die auch von der künstlichen Intelligenz für ein Servicecenter hätte generiert sein können.
Das mag auch mit den Umständen beim Start in die zweite Saisonhälfte zu tun gehabt haben. Der Australier konnte sich nur deshalb als 115. Siegfahrer in der Historie eintragen, weil ihn sein britischer Kollege Lando Norris auf Bitte des Teams vorbeigelassen hatte.
Wobei das Wort Bitte eher eine unzulässige Verharmlosung darstellt. Über zwanzig Runden lang wurde über den Funkkanal zwischen Kommandostand und Cockpits heftig diskutiert – seit ein strategischer Fehler bei der Boxenstopp-Reihenfolge den lange Führenden Piastri hinter Norris zurückgeworfen hatte. Grundsätzlich sind beide Fahrer frei, gegeneinander zu fahren. Darauf ist McLaren als Aufsteiger der Saison auch stolz. Doch das ist leicht gesagt, wenn man nicht mit zwei Autos in Führung liegt und dahinter Kaliber wie Max Verstappen und Lewis Hamilton drängen.
Die sieben verlorenen Punkte könnten entscheidend sein
Die erste Probe aufs Exempel in der Praxis wäre jedenfalls fast schiefgegangen. Lando Norris darf sich noch Chancen auf den Fahrertitel ausrechnen. Er belegt in der WM-Wertung den 2. Platz mit 76 Punkten Rückstand auf Verstappen. Da können die 7 Punkte, die er nach dem abgetretenen Sieg auf Verstappen verloren hat, am Ende entscheidend sein. Dementsprechend lange wehrte er sich gegen die aus Fairness-Gründen verhängte Stallorder.
Der Brite war in der Schlussphase nur deshalb in die Führungsposition gelangt, weil ihn das Team aus einer falschen taktischen Überlegung heraus als Ersten zum Reifenwechsel geholt hatte. Normalerweise ist dies das Privileg des besser platzierten Fahrers, in diesem Fall Piastri. Aber ist ein Rennfahrer erst einmal vorne, dann gibt er die Führung nie freiwillig wieder her. Es gibt viele ähnliche Fälle brutaler Egomanie.
Norris hatte zwischendurch sechs Sekunden Vorsprung und stellte sich auf den Standpunkt, Piastri solle vor einem Platztausch doch erst einmal auf Schlagdistanz heranfahren. Doch aus den Bitten von der Box wurde ein Betteln. Das überzeugendste Argument lautete: «Das ist nicht der richtige Weg, zu gewinnen. Weltmeister kannst du nur werden, wenn du das ganze Team hinter dir hast.»
Also auch Piastri. Zwei Runden vor Schluss beugte sich Norris, der im Mai in Miami seinen Premierensieg gefeiert hatte, der Anordnung – und liess Piastri demonstrativ auf der Geraden vor der Haupttribüne passieren. Offensichtlicher kann ein stiller Protest kaum ablaufen. Später gestand er ein: «Oscar hat den Sieg verdient.»
Denn Piastri setzte sich am Start clever an die Spitze, nachdem Norris von der Pole-Position aus einmal mehr schlecht weggekommen war. Er drängte nach innen und liess sich in ein Gerangel mit Max Verstappen verwickeln. Eiskalt leitet der erste Sieger der Formel 1, der in diesem Jahrtausend geboren ist, auch aus diesem starken Manöver seinen Anspruch auf den Sieg ab.
A man destined for the top step in @F1. 👏 @OscarPiastri
This is the start of something special. 🧡 #HungarianGP 🇭🇺 pic.twitter.com/pa6x0jaL3F
— McLaren (@McLarenF1) July 21, 2024
Das Verhalten im Rennen wird sonntagmorgens geklärt
Die Mehrzahl der Fans, die den 23-jährigen Piastri zum Fahrer des Tages wählten, waren auch dieser Ansicht. Wie sich die beiden offenbar ähnlich starken Piloten im derzeit stärksten Auto zu verhalten haben, wird stets sonntagmorgens in einem Briefing geklärt. Für den Teamchef Andrea Stella war es in Ungarn das erste Mal, dass er in diese zugespitzte hitzige Situation geriet. Er wird seine Schlüsse daraus ziehen müssen, damit es nicht wieder zu einem öffentlichen Durcheinander kommt. Der Druck steigt, McLaren ist in der lukrativen Konstrukteurs-WM mittlerweile bis auf 51 Punkte an Red Bull Racing herangekommen.
Auch bei den Titelverteidigern verraten die Protokolle der Funksprüche viel über die Stimmung im Team. Max Verstappen, der sich lange als Dritter halten konnte und noch auf den Sieg schielte, wurde ebenfalls Opfer einer falschen Boxenstopp-Strategie. Dabei eskalierten die üblichen Diskussionen. Barsch wies ihn schliesslich sein Renningenieur zurecht, dass es kindisch sei, auf diese Art öffentlich zu diskutieren.
Dass Verstappen kurz vor Schluss im Kampf um Rang drei noch mit seinem alten Rivalen Lewis Hamilton kollidierte und am Ende auf Rang fünf rutschte, heizt die Stimmung bei Red Bull sicher weiter auf. Der Niederländer ist vor allem darüber frustriert, dass sich auch das jüngste technische Upgrade nicht auf Anhieb als Game-Changer entpuppt hat.
Noch scheint sein Polster von 76 Punkten auf den Verfolger Norris bequem. Aber die Formel 1 ist in diesem Jahr eine Wundertüte. Mit Oscar Piastri hat es im 13. WM-Lauf bereits den siebten Sieger gegeben. Ein bisschen Streit scheint der Serie gutzutun.