Zwischen dem Rummel um die Präsidentschaftsdebatte und einem allgemeinen Ringen um Relevanz drohte die Modewoche in New York erneut unterzugehen. Doch europäische Gastdesigner, politische Statements und eine gesunde Prise Humor haben ihr neuen Aufschwung verliehen. Fünf Highlights.
Wen interessiert schon Kleidung, wenn in den USA in etwas mehr als 50 Tagen eine Präsidentin oder ein Präsident gewählt werden soll? Wer klickt auf Youtube schon auf den Livestream einer Modeschau, wenn daneben Kamala Harris und Donald Trump über ihre mehr oder weniger ausgereiften Zukunftspläne für das Land debattieren? Das sind Fragen, die man sich unweigerlich stellen musste, wenn man auf die gestern zu Ende gegangene New York Fashion Week blickt. Doch so einfach ist es nicht. Gerade wegen des Timings ist die Modewoche interessant. Denn wohin man diese Saison schaute, da war die Politik anwesend oder zumindest die Frage der amerikanischen Identität – oder zumindest entweder Ella Emhoff oder Jill Biden.
Die Botschaften waren lange nicht so offensichtlich wie an der New York Fashion Week im Februar 2017, nachdem Donald Trump sein Amt als Präsident aufgenommen hatte. Das Label Public School sandte damals Caps in «Maga»-Rot über den Laufsteg, auf denen «Make America New York» stand. Der Designer Prabal Gurung druckte «I Am an Immigrant» auf T-Shirts. Vielmehr wurde diese Woche die Idee der spezifisch amerikanischen Mode hinterfragt und ausgebaut. Material ist schliesslich genügend da, von der Sportswear bis zur Arbeiterkleidung.
Coach: amerikanische Klassiker für eine neue Generation
Ella Emhoff, die Mode designende, in Bushwick lebende Stieftochter der Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, ist die beste Verkörperung der verspielten Vision des Coach-Designers Stuart Vevers. Sie präsentierte diese auch gleich als Model auf dem Laufsteg auf der New Yorker High Line, einer von zahlreichen Auftritten an der Modewoche.
Ein bisschen abgewetzt und ein bisschen bekritzelt: die Kollektion von Coach.
Chinohosen mit ausgefransten Säumen, T-Shirts mit Kritzeleien, Leder im Vintage-Look, zerknitterte Satinkleider und sehr kurze Hosen prägten die Kollektion für das kommende Frühjahr. Sie schien dank ihrer Tragbarkeit auf dem Asphalt daheim, auch wenn es ein ungewöhnlich sauberes Stück New Yorker Asphalt war. Persönlichkeit sei wertvoller als traditionelle Ideen des Luxus, sagte denn auch Vevers. Er ist mit dieser Idee nicht allein. Doch er propagiert sie auf eine Art und Weise, die besonders bei der Generation Z anzukommen scheint.
Willy Chavarria: das Amerika der Arbeiter
«América» hiess die Kollektion des mexikanischstämmigen Kaliforniers Willy Chavarria. Dank seiner eigenwilligen, breitschultrigen Männermode ist er in den letzten Jahren zu einem gefragten Designer geworden. Sportswear und Arbeiterkleidung – unter anderem inspiriert von der in den sechziger Jahren gegründeten United Farm Workers, einer Gewerkschaftsunion für aus Mexiko immigrierte Landarbeiter – erhielten in seinen Händen neue Silhouetten und Kontexte. Anders gesagt: Wie oft sieht man ein Holzfällerhemd mit spitzem Kragen zu adretten Lacklederschuhen?
Willy Chavarria präsentierte an seiner Show unter anderem eine Kooperation mit der Sportbekleidungsmarke Adidas.
Das Resultat war eine kommerziellere Kollektion als gewohnt, auch dank einer neuen, erfolgversprechenden Kooperation mit Adidas. Mundtot war Chavarria deswegen aber noch lange nicht. Kopien der amerikanischen Verfassung dekorierten die Sitzplätze, eine Mariachi-Band trat auf, und der Designer sagte gegenüber der «Vogue», es gehe ihm um «power to the people», gerade jetzt: um das Land aus der Sicht der Immigranten, die es zum Funktionieren brächten.
Tory Burch: Team USA
Tory Burch ist mittlerweile fast ein Urgestein der amerikanischen Modewelt. Und ihre einst unumgänglichen Ballerinas – runder Zehenausschnitt, goldene Logo-Plakette, 2006 lanciert – sind wohl gerade kurz davor, ein Comeback zu machen. Das sieht man in den sozialen Netzwerken und an der Tatsache, dass die Schuhe gerade zum ersten Mal seit langem wieder auf ihrem Laufsteg zu sehen waren. Vielleicht sind Burchs aktuelle Kollektionen deswegen von einer gewissen Leichtigkeit geprägt.
Die Show von Tory Burch fand in einer ehemaligen Zuckerfabrik statt.
Oder vielleicht ist es der Sport, der die Designerin nach eigenen Angaben dieses Mal inspiriert hatte. Patriotisches Rot, Weiss und Blau zog sich durch die Kollektion, aufgelockert durch sanfte Braun- und Rosatöne. Dank paillettenbesetzten Maillots, Jogginghosen und technisch wirkenden Strickoberteilen sah das alles ein bisschen aus wie eine inoffizielle (und gelungene!) Bewerbung um den Design-Job für die künftigen Uniformen von Team USA. Die Olympischen Spiele in Los Angeles sind noch vier Jahre entfernt. Aber es übt sich ja bekanntlich früh.
Alaïa: amerikanische Ikonen
Mit Alaïa gastierte diese Saison ein Modehaus in New York City, das dank dem belgischen Designer Pieter Mulier neues Leben und eine neue Wichtigkeit erhalten hat. Ein seltsames Gefühl der Unendlichkeit konnte man nicht abschütteln, als man den Models zusah, wie sie die glänzende Spirale des Guggenheim-Museums hinabgingen: Röcke legten sich in üppige Falten, Kleider wanden sich mühe- und schwerelos um den Körper, und zwei aufgeplusterte Daunenkleider waren unmissverständlich Neuinterpretationen der ikonischen Daunenjacke von Charles James.
Der britische Couturier, der lange in den USA lebte, entwarf sie in den dreissiger Jahren für eine seiner wohlhabenden amerikanischen Kundinnen. Basis war ein Daunenduvet. Bis heute ist sie prägend, mit ihrer Mischung aus Komfort und skulpturaler Silhouette, Bett und Schneiderkunst. Pieter Mulier sagte in einer Pressemitteilung, er zelebriere mit seiner Kollektion «eine amerikanische Ideologie der Kleidung» und damit «den Körper in Bewegung, befreit». Es war eine Version der Sportswear, auf die das Adjektiv sportlich – und das ist gut so – nicht weniger zutreffen könnte.
Luar: American Express
Dröhnende Musik aus aufgemotzten Lautsprechern läutete den Beginn der Show von Raul Lopez ein. Mit seinem Label Luar lockt der Designer seit einigen Saisons grosse Namen nach New York. Im Februar sass Beyoncé in seiner Front Row. Dieses Mal waren es Madonna und Ice Spice, die das Spektakel zu sehen bekamen: mit Knöpfen zusammengeflickte Leggings, Logo-Prints wie optische Illusionen, gigantische Trenchcoats, halbtransparente Strickkleider. Viel Düsteres, viel Punk.
Laut und herrlich verschroben war die Show von Luar.
Damit spielte Lopez auf seine Jugend in den neunziger Jahren an, als er zwischen seinen Freunden in der Lower East Side und seiner dominikanischen Familie in Brooklyn hin und her sprang, zwischen zwei verschiedenen Welten also, und sich entsprechend dissonant kleidete. Er beherrscht das Spiel mit Übertreibung und Ironie nach wie vor gut: Während sich andere Designer nach dem Exzess der Trump-Ästhetik in die «Quiet Luxury» und ihre Auswüchse flüchteten, tat er das Gegenteil. Dass an der Show auch gleich eine Zusammenarbeit mit dem Finanzdienstleistungs-Anbieter American Express verkündet wurde – drei Handtaschen in den Farben von Kreditkarten –, leuchtete da irgendwie ein. Genauso deren für ein Designerlabel bescheidener Preis von unter 300 Franken.