Als Reporter und Schriftsteller führt Arthur Koestler ein rastloses Leben. Kurz bevor er in den Spanischen Bürgerkrieg zieht, verschlägt es ihn nach Zürich. Die Biederkeit gefällt ihm – aber nicht immer.
Die Truppen der Wehrmacht sind nur noch wenige Kilometer von Paris entfernt. Arthur Koestler und seine Freundin Daphne Hardy verlassen die Stadt fluchtartig Richtung Süden, schlagen sich ins noch unbesetzte Limoges durch. Dort lässt sich Koestler einen Walrossschnurrbart wachsen und nimmt eine neue Identität an: Albert Dubert, Taxichauffeur aus Bern, geboren am 6. März 1907, Anwärter für die französische Fremdenlegion.
Es ist Juni 1940, Hitler und Stalin haben sich verbündet, die deutsche Armee bringt Terror und Verfolgung nach Frankreich. Arthur Koestler ist ehemaliger Aktivist der Kommunistischen Partei, bekannter Nazi-Gegner und Jude. Falls ihn die Deutschen verhaften, muss er mit dem Schlimmsten rechnen.
Fast jede Nacht hört er Schüsse des Exekutionskommandos
Kurz vor seiner Verwandlung zum Schweizer Taxichauffeur Dubert hat er einem englischen Verleger eine Übersetzung seines Manuskripts geschickt. Noch weiss er nicht, dass es unter dem Titel «Sonnenfinsternis» ein Welterfolg werden wird. Das Werk hat er im März 1940 beendet, als potenziell feindlicher Ausländer schon damals beobachtet und gegängelt von den französischen Behörden, «in dauernder Angst vor neuer Verhaftung und Konfiskation des Manuskripts», wie er später schreibt.
Als Frankreich fällt, ist Arthur Koestler erst 34 Jahre alt, aber bereits eine Art Romanfigur. 1937 sass er drei Monate in einer Todeszelle in Franco-Spanien. Fast jede Nacht hörte er die Schüsse der Exekutionskommandos. Er war Reporter auf einer Nordpolmission, sah den Hunger in der Sowjetunion und das Elend in Palästina, wo ihn die «verschlagenen Ghetto-Juden» ähnlich anwiderten wie die «fanatischen» Araber.
Arthur Koestlers Schicksal ragt selbst unter den meist abenteuerlichen Geschichten von Emigranten und Exilschriftstellern heraus. Er war ein Produkt des von totalitären Ideologien geprägten «Zeitalters der Extreme». Und er führte, wie sein Biograf Christian Buckard 2004 festhält, «ein extremes Leben». In diesem Leben ist «Exil» ein Dauerzustand, die Verschleierung der Identität überlebenswichtig.
Greueltaten an jüdischen Siedlern in Palästina
Fast ständig unterwegs, besitzt Koestler mehrere Pässe, er schreibt auf Ungarisch und Deutsch, später auch auf Französisch und zuletzt nur noch auf Englisch. Dass er 194o ausgerechnet eine Schweizer Identität annimmt, ist wohl Zufall. Aber mit seiner Uniform und seinem Schnurrbart sieht er offenbar derart echt aus, dass ihm die Maskerade «Albert Dubert» vermutlich das Leben rettet.
Geboren wird Koestler 1905 in Budapest, seine Mutter ist Wienerin, der Vater aus Miskolc, ein jüdischer Geschäftsmann, der in waghalsige Unternehmungen investiert, bis er ruiniert wird. 1919 zieht die Familie nach Wien.
In seiner literarischen Autobiografie beschreibt sich Koestler als unsicheren jungen Mann, der sich «die Haare mit Pomade an den Kopf dätscht» und zeitlebens unter seiner geringen Körpergrösse leidet. «Wir haben alle Minderwertigkeitskomplexe verschiedenen Umfangs, aber der deinige ist kein Komplex», soll ihm 1952 sein kommunistischer Genosse Otto Katz einmal gesagt haben, «er ist eine Kathedrale.»
Seine Unsicherheit versucht Koestler mit maskenhaftem Grinsen und einem arroganten und rechthaberischen Gebaren zu überspielen. Sein Verhalten gegenüber Frauen finden schon Zeitgenossinnen grenzwertig. Dazu ist er vom Wunsch beseelt, die Geheimnisse des Universums zu entschlüsseln und sich einer Sache zu verschreiben. 1924 wird er gemäss eigener Darstellung Zionist, weil er auf einer Parkbank eine Broschüre liest über Greueltaten von Arabern an jüdischen Siedlern und Kindern.
«Als ich jene Broschüre zu Ende gelesen und mich ein wenig beruhigt hatte, verfiel ich einem meiner üblichen Tagträume, in dem ich mein Leben der Sache der Verfolgten widmete und Bücher schrieb, die das Gewissen der Welt aufrüttelten.»
Kampf gegen Hitler in Berlin
Wieweit das den Tatsachen entspricht, bleibt offen. Sicher ist, dass Koestler 1926 ins britische Protektorat Palästina auswandert. Er versucht sich mit mässigem Erfolg als Arbeiter in einem Kibbuz, schliesst sich einer zionistischen Bewegung an. Dazu schreibt er erste Reportagen.
Der liberale Berliner Ullstein-Verlag entdeckt und fördert das «Wunderkind von der Klagemauer». Koestler steigt zum Korrespondenten in Paris auf, 1930 wird er nach Berlin beordert. Die NSDAP ist gerade zur zweitstärksten Partei aufgestiegen, mit 107 Sitzen im Reichstag; die SA terrorisiert ihre Gegner und schiesst, wie Koestler selber miterlebt, gerne aus langsam vorbeifahrenden Autos auf linke Vereinslokale.
1931 tritt er der Kommunistischen Partei Deutschlands bei. Wie viele andere ist Koestler enttäuscht über die sozialdemokratischen und liberalen Eliten. Er hasst sie, weil sie die Revolution nach dem ersten Weltkrieg nicht vollendet haben. Die Kommunisten, so glaubt er, sind das einzige Bollwerk gegen Hitler. Und Stalins Sowjetunion, die phantastische Wachstumsraten verkündet, während in Deutschland Millionen arbeitslos sind, erscheint ihm als Modell der Zukunft.
Seine KPD-Mitgliedschaft hält er vor seinem Arbeitgeber geheim, das Parteibuch ist auf den Namen Ivan Steinberg ausgestellt. Denn die Partei funktioniert schon vor Hitlers Machtübernahme wie ein Geheimbund, mit eigenem Geheimdienst, Spitzeln und Codes, gelenkt von einer als unfehlbar geltenden Machtzentrale in Moskau.
Hier lernt Koestler die Prinzipien des kommunistischen Glaubens, die er später in seinem Roman «Sonnenfinsternis» analysiert. Zum Beispiel: Objektive Wahrheit ist ein bürgerlicher Mythos. Wahr ist, was der Revolution dient. Oder: Du und ich, wir können uns irren, die Partei nicht. Wer irrt, auch im guten Glauben, muss bezahlen. Und vor allem: Der Zweck heiligt die Mittel.
Verhungernde Kinder in der Ukraine
Die Folgen dieser Politik sieht Koestler 1932/33, auf einer Reportagereise durch die Sowjetunion. Das kommunistische Amerika, das er erwartet hat, entpuppt sich als rückständiges, von Hungersnöten erschüttertes Land. Er sieht altmodische Strassenbahnen und ukrainische Kinder mit «Armen wie Stecken, aufgedunsenen Bäuchen, grossen Köpfen, an dünnen Hälsen hängend». Zudem wird er Zeuge eines Schauprozesses in der zentralasiatischen Provinz. Koestler zählt 29 Angeklagte und einen einzigen Verteidiger, der während der Verhandlung kein Wort sagt.
Die Eindrücke versucht er wie ein guter Gläubiger zu verarbeiten, als Reste der Vergangenheit oder Übergangserscheinungen. Seine Zweifel verfliegen, als Adolf Hitler 1933 die Macht übernimmt. Denn unter dem Eindruck dieser Katastrophe verblassen die Abgründe des vermeintlichen Sowjetparadieses. Die Kommunisten ändern ihre Strategie, vermarkten sich als gute Demokraten und Antifaschisten.
Sie gründen Komitees und Hilfsvereine, die formell neutral, aber kommunistisch dominiert sind. Koestler emigriert nach Paris, wo er für den Geheimapparat der Komintern und den «roten Pressezaren» Willi Münzenberg arbeitet. Er ist Mitverfasser der Broschüre «Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror» – einer Kampfschrift, die laut Koestler auf «Deduktion, Intuition und Poker-Bluff» beruht, aber erstmals die Greueltaten der Nazis in Gefängnissen und Konzentrationslagern enthüllt.
Das Buch erregt international Aufsehen, auch in der Schweiz. Hierher verschlägt es Arthur Koestler 1935, eher zufällig. Seine damalige Geliebte Dörte Ascher hat einen Bruder, Ernie, der in der Siedlung Neubühl in Wollishofen lebt. Als Arzt und überzeugter Kommunist hat dieser eine Stelle in der wolgadeutschen Sowjetrepublik erhalten und wandert mit Frau und Tochter aus. Sein Mietvertrag läuft noch sechs Monate, die Wohnung ist modern und hat – zu jener Zeit nicht selbstverständlich – ein Badezimmer.
Arm sein in Zürich? «Entwürdigend»
Derlei Luxus sind Koestler und seine Gefährtin nicht gewohnt. Im Pariser Exil werden sie von Geldsorgen geplagt. Sie leben in schäbigen Hotels, mehrmals muss er Werke über Sexualkunde schreiben, um Honorare hereinzuholen. «Ich glaube, das Badezimmer war es, das uns zu dem Entschluss brachte», schreibt Koestler in seiner Biografie.
In Zürich geniesst das Paar «die Sauberkeit der Schweizer, ihren gemütlichen Dialekt und ihre biederen und derben Umgangsformen». Arm zu sein, sei in dieser von Wohlhabenheit und Tugend gesättigten Stadt jedoch schwierig, geradezu «entwürdigend» gewesen, anders als in Paris. «Am Montparnasse konnte man Armut als Witz betrachten, als Extravaganz von Bohémiens. Zürich aber hatte weder einen Montparnasse noch billige Bistros noch jene Art von Humor.»
Zudem bekommen die beiden Ärger mit der Fremdenpolizei, die Dörte verdächtigt, eine Prostituierte zu sein. Dazu Koestler: «In der Schweiz ist jeder Ausländer, der nicht zur privilegierten Kategorie der Touristen gehört, regelmässigen Polizeikontrollen ausgesetzt. Seine Geldverhältnisse, seine Moral und seine politischen Ansichten sind legitime Objekte der Überwachung.»
Die Polizei lässt sich jedoch mit Verweis auf Ernies Beruf und dessen Schweizer Frau abwimmeln. So hat Koestler genug Ruhe, um sich seinem Roman «Die Gladiatoren» zu widmen. Er findet Zugang zu einem intellektuellen Zirkel um den Schriftsteller Rudolf Jakob Humm, mit dem er später eine jahrelange Brieffreundschaft pflegt. Humm hat am Hechtplatz eine Art WG für Emigranten eingerichtet, in der antifaschistische Schriftsteller wie Ignazio Silone regelmässig zu Gast sind.
Auf Kontakte mit der Schweizer KP verzichtet Koestler, da dies die Aufmerksamkeit der Behörden geweckt hätte. Dörte und er heiraten im Juni 1935, um sich besser abzusichern.
Der Tod des Schwagers
Erst später erfährt das Paar, dass Dörtes Bruder Ernie nie mehr in seine Wohnung in Wollishofen zurückkehren wird. Er ist 1936 in der Sowjetunion verhaftet und erschossen worden. Seine Frau kommt für Jahre ins Gefängnis, ihre Tochter sieht sie nie wieder. In jenem Jahr beginnt die Zeit des grossen Terrors und der Schauprozesse gegen ehemalige Parteigrössen in der Sowjetunion. Millionen verschwinden in Kerkern, Hunderttausende werden ermordet. Unter ihnen sind viele Bekannte Koestlers, etwa Karl Radek oder Eva Striker, von der er viel über die Methoden der Geheimpolizei erfuhr.
Koestlers Aufenthalt in Zürich endet, als er wegen eines Sexualkundebuches nach Ungarn reisen muss und kurz darauf der Spanische Bürgerkrieg ausbricht. Getarnt als Journalist von liberalen und konservativen Zeitungen reist er 1936 und 1937 ins Kriegsgebiet, interviewt hohe Militärs der Franquisten und findet Beweise, dass Nazi-Deutschland entgegen offiziellen Behauptungen die Faschisten aktiv unterstützt. Gleichzeitig sieht er, wie die moskautreuen Kommunisten mit «Erpressungen, Intrigen und Terror» die Macht im republikanischen Lager an sich reissen.
Wie sein späterer Freund George Orwell verliert Koestler im Spanischen Bürgerkrieg endgültig seinen Glauben an den Kommunismus. Seine Erfahrungen beschreibt er im Buch «Ein spanisches Testament», das sein erster Bestseller wird. Thomas Mann ist begeistert. «Vortrefflich geschrieben», notiert er sich. Ein Treffen der beiden im Tessin verläuft 1937 allerdings enttäuschend: Koestler ist nach eigenen Worten zu nervös, Mann will nur seine «gewichtigen Aussagen» platzieren, etwa dass er Herrn Stalin dem Herrn Hitler vorziehe, als kleineres Übel.
In jener Zeit ist Koestler zunehmend irritiert über die Doppelmoral der demokratischen Öffentlichkeit im Umgang mit totalitären Diktaturen. Denn die Tausende, die in der Sowjetunion verschwinden, sorgen im Gegensatz zu Opfern des Faschismus kaum je für internationale Appelle und diplomatische Interventionen. In den USA bekunden Schriftsteller und Künstler wie Dashiell Hammett sogar öffentlich ihre Unterstützung für die Moskauer Schauprozesse.
Rubaschow und der letzte Dienst für die Partei
Von dieser Doppelmoral profitiert Koestler selber. 1937 verhaften ihn die Falangisten 1937 in Málaga, Franco lässt ihn zum Tode verurteilen. Während er in seiner Zelle jeden Tag damit rechnen muss, zur Erschiessung abgeholt zu werden, organisiert seine Frau Dörte Ascher eine internationale Solidaritätskampagne, an der sich viele Liberale und Konservative beteiligen. Der Druck wirkt, die Faschisten lassen ihn frei.
«Menschen guten Willens kämpften damals klaren Blicks und mit vollem Einsatz gegen eine Sorte totalitärer Bedrohung der Zivilisation und blieben blind oder gleichgültig gegenüber der andern», so drückt es Koestler später aus. Das «unbesungene Ende» seiner Freunde in der Sowjetunion habe nach seiner Freilassung aus dem Kerker derart an seinem Gewissen genagt, dass er Sühne leisten wollte. Der Roman «Sonnenfinsternis» sei die «erste Rate der Abzahlung» gewesen.
Mit dem Roman beginnt Koestler 1938, im gleichen Jahr tritt er aus der KPD aus. So verliert er auch seine geistige Heimat in einer internationalen Bruderschaft – ein Schritt, vor dem viele Kommunisten zurückschrecken. Im Zentrum des Berichts steht der alte Revolutionär Rubaschow, der mit Stalin hadert und als Verräter verhaftet wird. In der Haft wird Rubaschow bewusst, dass die Partei in ihrem angeblichen Kampf für die Menschheit den Menschen selbst verraten hat. Dennoch bringt ihn sein Vernehmer Gletkin ohne harte Folter dazu, die absurdesten Geständnisse zu unterschreiben – um der Partei, die am Ende doch immer recht hat, einen letzten Dienst zu erweisen.
Aus Angst vor Krieg und Repressalien schreibt Koestler den Roman in einem Wettlauf gegen die Zeit. Die deutsche Originalfassung, so behauptet er in seinen Memoiren, sei in den Wirren vor seiner Flucht aus Paris verlorengegangen. 2016 ist sie jedoch in der Zentralbibliothek Zürich entdeckt worden. Das Manuskript ist dort einsehbar, 326 maschinengeschriebene Seiten mit handschriftlichen Korrekturen, jede Seite von der französischen Zensurbehörde abgestempelt. «Rubaschow» lautet der Originaltitel.
Suizidversuch mit Morphiumtabletten
Wie das Manuskript nach Zürich gelangt ist, bleibt unklar, adressiert ist es an den Verleger Emil Oprecht, der viele Werke von Emigranten verlegt. Im Juni 1940 ist Arthur Koestler jedenfalls bereits in die Rolle des Berner Fremdenlegionärs Albert Dubert geschlüpft. In Marseille gelingt es ihm, Kontakte zu englischen Offizieren zu knüpfen und schliesslich über Casablanca nach Lissabon zu flüchten.
Dort unternimmt er einen Suizidversuch, nachdem ihm die britischen Behörden ein Visum verweigert haben. Er schluckt Morphiumtabletten, die ihm sein alter Freund Walter Benjamin in Marseille überlassen hat. Benjamin nimmt sich am 26. September 1940 an der spanischen Grenze mit den gleichen Pillen das Leben. «Er hatte offenbar einen besseren Magen», schreibt Koestler, «ich erbrach das Zeug.»
Mithilfe eines Konsuls und eines «Times»-Journalisten gelangt Koestler schliesslich doch nach England: per Flugzeug und ohne Visum, so dass man ihn gleich einsperrt. Dass er nun in einer Demokratie und nicht in einer Diktatur lebt, wird ihm bewusst, als im Gefängnis ein deutscher Spion hingerichtet wird. «An jenem Vormittag gingen die Wärter auf Zehenspitzen, und es lag ein gedämpftes Schweigen über dem ganzen Gebäude. Es war angenehm zu wissen, dass man sich an einem Platz befand, wo das Umbringen eines Menschen noch als feierliches und besonderes Ereignis galt. Das machte den ganzen Unterschied aus – tatsächlich war es das, worum der Krieg ging.»
Während des Krieges verliert Koestler einen grossen Teil seiner Verwandten. 1943 beschreibt er in seinem Roman «Ein Mann springt in die Tiefe» als einer der ersten namhaften Autoren den Massenmord an den Juden in Osteuropa. Eine Reaktion der Politik bleibt aus.
«Sonnenfinsternis» wird erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein Erfolg, besonders in Frankreich, wo die Kommunisten kurz vor einer Machtübernahme stehen. Sie beschimpfen Koestler als Verräter, der faschistische Totschläger ausbilde, kaufen ganze Lagerbestände des Buches auf, damit es niemand liest. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen werden 400 000 Exemplare verkauft.
Mit Sartre verkracht er sich
Das Buch ändert nichts daran, dass sich viele Intellektuelle ihre Illusion von der eigentlich guten, aber noch nicht perfekten Sowjetunion nicht nehmen lassen wollen. Etwa Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, mit denen sich Koestler 1950 verkracht. Im Kalten Krieg gehört er zu den bekanntesten und meistgehassten Antikommunisten, an Kongressen muss er von Leibwächtern geschützt werden. Stalin lässt nach dem Krieg weiter morden, 1952 stirbt Koestlers Genosse Otto Katz nach einem antisemitischen Schauprozess in Prag am Galgen.
Koestlers Analysen der naiven liberalen Öffentlichkeit, die lange weder Hitler noch Stalin erkennen wollte und stattdessen lieber deren Kritiker der Hetze und Kriegstreiberei bezichtigte, sind heute wieder aktuell. Gleiches gilt für Koestlers Warnungen vor dem radikalen Islam oder seine Beschreibungen des Nahostkonflikts, den er schon in den 1940er Jahren für beinahe unlösbar hielt.
Als er 1983 zusammen mit seiner dritten Frau Cynthia Jefferies den Freitod wählt, hat er über ein Dutzend Bücher geschrieben. Das Gefühl des ewigen Exils wurde er nie los. Selbst in seiner Wahlheimat Grossbritannien fühlte er sich «ein wenig wie ein Exilant», wie er in seinem letzten Interview bemerkte.
In den letzten Jahren ist Koestlers Name von Vergewaltigungsvorwürfen überschattet worden, die mehrere Frauen nach seinem Tod erhoben. Biografen streiten sich bis heute, ob das bösartige Gerüchte oder plausible Anklagen sind. Wer der Mann mit den vielen Masken und Identitäten war, bleibt bis heute ein Rätsel.
Künstler im Schweizer Exil
rbl. · In Kriegs- und Krisenzeiten werden Millionen von Menschen in die Flucht getrieben. Unter ihnen befinden sich auch Maler, Autoren, Musiker. Stellvertretend erzählen wir hier in den kommenden Wochen die Exilgeschichten von Künstlern, die in früheren Zeiten vor Krieg und Verfolgung in die Schweiz geflohen sind. Nächste Woche erzählen wir an dieser Stelle die Geschichte von Charlie Chaplin. Er wurde am 16. April 1889 geboren, vier Tage vor Adolf Hitler. Fünfzig Jahre später schuf er mit der Hitler-Satire «The Great Dictator» einen Meilenstein der Filmgeschichte. Nach dem Krieg wurde er in Amerika als Kommunist diffamiert und liess sich in Corsier-sur-Vevey am Genfersee nieder.