Sonntag, September 29

Die kleine Kammer kritisiert das SEM und gönnt Asylminister Jans eine Atempause.

Der Ständerat will die Praxis bei Asylanträgen afghanischer Frauen nicht verschärfen. Eine Mehrheit, bestehend aus Mitte und Linken, hat am Mittwoch entsprechende Vorstösse der FDP abgelehnt. Diese wollte, gemeinsam mit der SVP, das zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) im Grundsatz dazu verpflichten, auf Frauen aus Afghanistan denselben Flüchtlingsbegriff anzuwenden wie auf die anderen Asylbewerber.

Gemäss diesem hat Anrecht auf Asyl, wer in seinem Staat verfolgt und an Leib und Leben bedroht ist. Das SEM hatte hier im Juli 2023 in Eigenregie eine Praxisänderung eingeführt, die das Migrationsthema vor den Wahlen weiter verstärkt haben dürfte und bis heute eine Kontroverse geblieben ist. FDP und SVP wollten die umstrittene Praxisänderung nun wieder rückgängig machen – vergeblich. Die Mehrheit im Ständerat ist der Meinung, dass das SEM die beanstandeten Unklarheiten aus dem Weg geräumt habe und die Forderungen der Motionen somit bereits erfüllt seien.

Kausal, nicht automatisch

Im Zentrum steht die Frage, ob das SEM im Juli 2023 einen Automatismus eingeführt hat, wonach Afghaninnen ein Recht auf Asyl haben, nur weil sie Afghaninnen sind. In diesem Sinn wurde die neue Praxis vom Bundesverwaltungsgericht zuerst bestätigt, später dann in einem weiteren Urteil korrigiert. Allein die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht reiche auch für Frauen aus Afghanistan nicht aus, um in der Schweiz Asyl zu erhalten, besagte das zweite Urteil. Die Verfolgung müsse einen gewissen Grad an Intensität aufweisen. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn eine Frau mit einer Zwangsheirat rechnen müsse oder von Ehrenmord bedroht sei und nicht denselben staatlichen Schutz erhalte wie ein Mann.

In der ganzen Debatte – auch in jener des Ständerats – ist es unbestritten, dass die Zustände, in denen die Frauen in Afghanistan leben müssen, schlecht sind. Die Lage hat sich seit dem Abzug der Amerikaner sowie ihrer Verbündeten und der erneuten Machtübernahme der Taliban namentlich für Frauen in urbanen Zentren wie Kabul verschlechtert. Wenn aber die Frauendiskriminierung in patriarchalischen Gesellschaften einen automatischen Asylgrund darstellt, wären Frauen aus sehr vielen Ländern asylberechtigt in der Schweiz.

Das SEM liess sich schliesslich von der zuständigen Staatspolitischen Kommission des Ständerats belehren. Auf deren Bestreben hin – Kommissionspräsident Daniel Fässler sprach von «starkem Insistieren» – hat das SEM ein entsprechendes Faktenblatt zu den Afghaninnen aktualisiert. Darin wird nun betont, dass jedes Gesuch auch von Frauen aus Afghanistan einzeln geprüft werde. Damit hat sich das Reizthema vorerst erledigt.

In der Debatte im Ständerat kam ein tiefes Misstrauen gegenüber dem SEM zum Ausdruck. Selbst aus der Mitte-links-Mehrheit heraus wurde die Kommunikation des Staatssekretariats kritisiert. Bei den Motionären in der FDP scheint das SEM derweil jegliche Glaubwürdigkeit eingebüsst zu haben.

Die FDP-Ständerätin Petra Gössi berichtete von einem kantonalen Migrationsamt, das sich nach wie vor an der ursprünglichen Praxisänderung des SEM orientiere. Für sie sei immer noch unklar, wieso das SEM die Asylpraxis überspanne, so Gössi. Der Parteikollege Damian Müller machte deutlich, dass die Art und Weise des damaligen Entscheids zu einem Vertrauensverlust geführt habe. Die FDP hatte die «still und heimlich» beschlossene Praxisänderung unmittelbar nach deren Bekanntwerden kritisiert.

Mit seinem Entscheid folgte der Ständerat zwar der Empfehlung des Bundesrats. Gleichwohl schaffte es Asylminister Beat Jans nicht, die Zweifel an einem seiner wichtigsten Ämter zu zerstreuen. Den materiellen Widerspruch vermochte auch er nicht aufzuheben – im Gegenteil. So erklärte Jans, dass es angesichts des Taliban-Regimes für Frauen und Mädchen in Afghanistan nicht möglich sei, ein menschenwürdiges Leben zu führen, «weshalb sie in der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt werden». Gleichzeitig ist diese Kausalität laut Jans aber kein Automatismus. «Ich kann Ihnen versichern, dass das Staatssekretariat für Migration nach wie vor jedes Asylgesuch von Frauen und Mädchen aus Afghanistan einzeln prüft.» Dabei lehne das SEM Asylgesuche von Afghaninnen ab, die über sichere Drittstaaten in die Schweiz eingereist seien.

Asyl-Session abgesagt

Der Ständerat gönnte Jans gleichwohl eine kleine Verschnaufpause. Auf einen Antrag des grünen Ständerats Mathias Zopfi wurde die anberaumte ausserordentliche Asyl-Session kurzerhand abgesagt. Die Motionen sollen zuerst in der zuständigen Kommission beraten werden. Ihre Urheber, allesamt Ständeräte der SVP, stimmten zu. Damit verpassten sie die Chance, das Ausländer- und Integrationsgesetz zu verschärfen.

Die Motion der SVP-Ständerätin Esther Friedli sieht vor, abgewiesenen Asylsuchenden den Familiennachzug zu untersagen. Der Nationalrat hatte am Vortag eine gleichlautende Motion angenommen. Friedlis Vorstoss wäre im Ständerat ohne weiteres durchgekommen. Jans hätte sich unmittelbar an die schwierige Arbeit machen müssen. Für den Bundesrat ist der Vorstoss nicht vereinbar mit der Bundesverfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Der Ständerat – so schien es – hatte plötzlich Angst vor dem eigenen Mut. Gleichzeitig dürfte Ständerat Zopfi recht behalten, wenn er sagt, dass das Asylthema bis zur Wintersession nichts von seiner Brisanz einbüssen dürfe.

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