Der Schweizer Versicherer enttäuscht mit dem Jahresergebnis – und er lehnt die Aufhebung der Stimmrechtsbeschränkung ab. Beides hilft der Aktie nicht.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Dass das Jahresergebnis von Baloise 2023 schlecht ausfallen wird, war klar. Das Management um CEO Michael Müller hatte bereits gewarnt, dass Hohe Elementar- und Grossschadenereignisse in der zweiten Jahreshälfte den Gewinn vor Steuern mit gut 200 Mio. Fr. belasten werden.
Dennoch hat der Jahresgewinn von knapp 240 Mio. Fr. die Erwartungen noch unterboten, und zwar obwohl der Aufbau von Reserven 2022 zu einer ausserordentlichen Belastung von 120 Mio. Fr. geführt hatte – und 2023 fast 80 Mio. Fr. davon wieder aufgelöst wurden. Enttäuscht hat vor allem das Lebengeschäft, dessen Betriebsgewinn 19% unter Erwartung ausfiel.
Dividende steigt
Was bei Baloise planmässig verläuft ist die Generierung von Cash: 2023 stieg das an die Holding transferierte Bargeld um 5% auf fast 500 Mio. Fr., sodass der Versicherer zur Mitte der Strategieperiode mit einer Barmittelgenerierung von knapp 1 Mrd. Fr. fast die Hälfte des Ziels von 2 Mrd. Fr. erreicht hat, die er bis 2025 lösen will.
Aus diesem Pool alimentiert Baloise die um 30 Rappen auf 7.70 Fr. je Aktie erhöhte Dividende. Das entspricht einer attraktiven Dividendenrendite von mehr als 5%. Die Ausschüttungsquote im Verhältnis zum Cash ist mit 72% zudem gut tragbar. Im Vergleich zum auf 5.29 Fr. je Aktie gesunkenen Gewinn macht sich jedoch Verbesserungsdruck bemerkbar.
Wie von diversen Aktionären gefordert und von CEO Müller im Herbst in Aussicht gestellt, werden Neuinvestitionen in den Innovationsbereich nun gestoppt. Dabei geht es um digitale Plattformen im Bereich Mobility, Home und der Online-Versicherung Friday. In diese Bereiche hat Baloise seit 2017 im Schnitt jährlich 50 Mio. Fr. investiert – und 2023 damit gerade mal 116 Mio. Fr. Umsatz erzielt.
Das Ziel, damit einen Wert von 1 Mrd. Fr. zu schaffen, erwies sich als illusorisch und Neuinvestitionen sollen nun auf das Kerngeschäft gelenkt fokussiert werden. An einem Investorentag im September will das Management die neue Strategiephase im Detail vorstellen und neue Ziele ausgeben.
Stimmrechtsbeschränkung bleibt
Unter Druck steht Baloise aber nicht nur beim Wachstum und der Effizienz, sondern auch bezüglich Corporate Governance.
Anfang Jahr hat der Zuger Vermögensverwalter und langjährige Baloise-Aktionär zCapital für die kommende Generalversammlung (GV) den Antrag gestellt, die geltende Stimmrechtsbeschränkung auf 2% aus den Statuten zu löschen.
Mit der heute verschickten Einladung zur GV nimmt der Verwaltungsrat erstmalig dazu Stellung – und er lehnt die Anträge von zCapital komplett ab. Die Begründung:
«Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkungen vermindern das Risiko, dass einige wenige Aktionäre die Generalversammlung mit kurzfristig orientierten Eigeninteressen dominieren und die langfristigen Wertschöpfungs- und Unternehmensinteressen verdrängen.» Gerade in der Versicherungsbranche, die Verantwortung über Generationen hinweg wahrnehme sei das entscheidend.
Die Konklusion des Verwaltungsrates lautet deshalb: «Die von zCapital vorgeschlagene vollständige und ersatzlose Aufhebung der Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkung ist nicht im langfristigen Interesse von Baloise und der Mehrheit unserer Aktionäre.»
Aufgrund von Rückmeldungen anderer Aktionäre stellt der Verwaltungsrat jedoch in Aussicht, «an der nächstjährigen Generalversammlung vom 25. April 2025 den Aktionären einen für die Baloise geeigneten Vorschlag zur Anpassung der Eintragungs- und Stimmrechtsbeschränkung zu unterbreiten.»
Kommt Bewegung in das Unternehmen?
Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang, dass sich der Verwaltungsrat gegen einen weiteren Antrag von zCapital stellt, der erst heute mit der Einladung zu GV publik wurde: So beantragt der Aktionär auch, die Zustimmungsquote für GV-Beschlüsse, die ein qualifiziertes Mehr erfordern, von bisher drei Viertel der an der GV vertretenen Stimmen auf neu zwei Drittel zu senken.
Die Hürde von drei Viertel ist enorm hoch und fast einmalig in der Schweizer Börsenlandschaft.
Dass der Verwaltungsrat nicht einmal diesen Antrag bereits an der am 26. April anstehenden GV gutheissen will, lässt Zweifel aufkommen, wie ernst er es mit der Anpassung der Stimmrechtsbeschränkung im nächsten Jahr meint.
Denn Beschlüsse einer Generalversammlung werden erst mit Wirkung auf die nächste Aktionärsversammlung gültig – und 2025, wenn der Verwaltungsrat angeblich seinen eigenen Vorschlag zur Statutenänderung vorschlagen will, muss dieser immer noch von drei Vierteln der vertretenen Stimmen gutgeheissen werden.
Würde der Verwaltungsrat zielstrebig auf Veränderungen hinarbeiten, hätte er über die Senkung dieser Schwelle auch bereits in diesem Jahr abstimmen lassen können.
Eine Beschleunigung von strategischen Weichenstellungen wäre genau das Ziel der Löschung der Stimmrechtsbeschränkung: «Die Aufhebung der Vinkulierung ist ein Schritt zu einer ausgewogeneren Machtverteilung, die sicherstellt, dass strategische Fehlentwicklungen schneller korrigiert werden können», argumentierte zCapital als der Vermögensverwalter seinen Vorstoss im Januar einreichte.
Hinter die Konkurrenz zurückgefallen
Die heute publizierten Jahreszahlen zeigen, dass bei Baloise Handlungsbedarf besteht – und dass CEO Müller mit dem Einfrieren der Investitionen in digitale Projekte und dem Fokus auf das Kerngeschäft zwar erste Schritte macht.
Doch der Kursvergleich der Aktien von Baloise mit der Konkurrenz zeigt auch: Es braucht mehr als das.
Statt, dass sich die Führung weiterhin dem Druck der Aktionäre entzieht, sollte sie ihnen ein Mitspracherecht gewähren, indem sich die Investoren mit voller Stimmkraft einbringen können.
Ich bin überzeugt, das würde den Strategiediskurs auf allen Seiten dynamischer machen: Das Management würde verstärkt dem Wettbewerb ausgesetzt – und auch die Aktionäre würden, statt durch die Stimmrechtsbeschränkung entmündigt zu werden, stärker in der Verantwortung stehen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass das bei Baloise noch kommen wird. Klar ist seit der heutigen Antwort des Verwaltungsrates aber: Allfällige Änderungen bei der Stimmrechtsbeschränkung werden nun frühestens mit Blick auf die GV von 2026 Wirkung entfalten können.
Mit einer Empfehlung, zumindest die Annahmeschwelle für Statutenänderungen bereits auf dieser GV zu senken, hätte der Verwaltungsrat aber zeigen können, dass es auch ihm mit dieser für die Investoren positiven Perspektive ernst ist. Das hat er unterlassen. Schade.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Ruedi Keller