Die jüngsten Misserfolge haben Spuren hinterlassen. Wer Tuchels Nachfolge übernimmt, ist noch unklar – doch immer wieder fällt der Name eines alten Bekannten.
Nach Tagen der Spekulationen ist es nun offiziell: Der FC Bayern München und Thomas Tuchel werden zum Saisonende getrennte Wege gegen. So kommt ein kurzes Intermezzo zu seinem Ende, das im März vergangenen Jahres begonnen hatte, als Tuchel die Nachfolge von Julian Nagelsmann als Coach der Bayern angetreten hatte.
Was damals nach der bestmöglichen Lösung für die Bayern aussah – ein international erfolgreicher Spitzentrainer, noch dazu ein Deutscher – entpuppte sich zusehends als eine von Schwierigkeiten geprägte Zusammenarbeit. Zwar konnte Tuchel die Meisterschaft gewinnen, doch den entscheidenden Drall vermochte er dem Team nicht zu geben. Die jüngste Serie von drei verlorenen Spielen bestätigte einmal mehr, dass ein Bayern-Trainer sich allerhand Dinge leisten kann, bloss keine Niederlagen. Dabei war vor allem die Art und Weise überraschend, in der dem Team die Spiele entglitten, überraschend. Die Ideenlosigkeit angesichts von solch hochklassigen Spielern irritierte.
Bleibt Tuchel wirklich bis zum Saisonende?
Nun strebt der Klub eine Neuausrichtung an. Offiziell sprechen die Bayern von einer einvernehmlichen Trennung, Tuchel lässt sich mit den Worten zitieren, er würde alles geben, um mit dem Team bis zum Saisonende erfolgreich zu sein. Nur: Dass er seinen Posten vorher räumt, und ein Interimscoach die Geschäfte bis zum letzten Spieltag führt, ist ebenfalls nicht ausgeschlossen. Ohne den Namen Hansi Flick, einst als deutscher Nationaltrainer ohne Erfolg, doch als Bayern-Trainer Gewinner des Triples, kommt aktuell keine Diskussion aus.
War das Engagement von Thomas Tuchel also jenes Missverständnis, als dass es von Kritikern hingestellt wurde? Die Misere allein auf den Trainer zu schieben, greift zu kurz, in manchen Analysen findet der Anteil der Spieler an ihr kaum Berücksichtigung. Zwar kann man tatsächlich die Frage stellen, ob Tuchel, ein asketischer Charakter, ins hedonistische München passt. Oder ob er nicht doch besser in einem Fussball-Laboratorium der Premier League aufgehoben ist, wo er, abgeschottet von der Aussenwelt, taktische Varianten wie chemische Reaktionen erproben kann. Dass er gerade solche meisterhaft beherrscht, hat er im FC Chelsea, dem Prototypen eines von seiner Geschichte entkernten Fussball-Konzerns bewiesen, mit dem er 2021 die Champions League gewann.
The Tuchel lederhosen pics are here and they’re beautiful! pic.twitter.com/c9kgHuFRJP
— Tuchel Cam (@TuchelCam) August 23, 2023
Tatsächlich haben die Fotos von Tuchel in traditioneller bayrischer Garderobe und mit einem Weizenbier in der Hand einen unfreiwillig komischen Charakter. Doch solche Kriterien entpuppten sich schnell als Folklore. Auch der Westfale Karl-Heinz Rummenigge, lange Zeit höchst erfolgreicher Vorstandsvorsitzender der Bayern, dem die Berliner «taz» ehedem den Ehrentitel «Loden-Kalle» verlieh, ist nicht in Lederhose zur Welt gekommen. Zumal Tuchel es anfangs keineswegs an der nötigen Sensibilität dafür vermissen liess, wohin es ihn verschlagen hatte. Er berichtete von einem Gespräch mit dem noch immer einflussreichen früheren Präsidenten Uli Hoeness, in dem er diesem versichert habe, dass er alles tun werde, um den Klub auf Kurs zu bringen.
Auch der Vorstand wurde bereits ausgetauscht
Hoeness dürfte dies gern gehört haben. Doch er trug öffentlich keinesfalls zur Stärkung Tuchels bei, als er in einer Talkshow des «Bayerischen Rundfunks» erklärte, die Entlassung von Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann sei offenkundig ein Fehler gewesen.
Dabei waren es gerade die Altvorderen Hoeness und Rummenigge, die eingegriffen hatten, als die Ereignisse im vergangenen Jahr aus dem Ruder gelaufen waren. Nagelsmann hatte die nötige Ernsthaftigkeit vermissen lassen, als er sich unmittelbar nach einer Niederlage in Leverkusen in den Skiurlaub verabschiedete. Zum Saisonende trennten sich die Bayern zudem vom Vorstandschef Oliver Kahn und vom Sportdirektor Hasan Salihamidžic. Tuchel zeigte sich seinerzeit in einer ersten Reaktion irritiert über die Trennung vom Führungsduo. Er sollte sich nicht zum ersten Mal gewundert haben.
Jedenfalls erweckte Tuchel den Eindruck, als verweigere der Klub dem Trainer die von ihm so dringend geforderte Verstärkung im defensiven Mittelfeld. Als man sich dann dazu durchringen konnte, den Portugiesen João Palhinha vom FC Fulham aus der Premier League zu verpflichten, scheiterte der Wechsel doch noch am Veto des alten Arbeitgebers. Tuchel musste auf dieser Schlüsselposition daher improvisieren.
Joshua Kimmich, der diese Rolle gern einnimmt, wird ihr auf hohem Niveau nur selten gerecht, ähnliches gilt für Leon Goretzka. Dass Tuchel in einen Konflikt mit Kimmich geriet, kann daher kaum verwundern; die Spannungen wurden am Wochenende bei der 2:3-Niederlage in Bochum offenkundig, als Kimmich krakeelend das Spielfeld verliess und mit Tuchels Assistenten Zsolt Löw aneinander geriet.
Tuchel weigerte sich also, den Bestandsschutz des Duos zu verlängern. Völlig anders verhielt es sich indes bei der Rückkehr des Torhüters Manuel Neuer, dem Tuchel stets den Rücken stärkte. Er tat dies aus gutem Grund: Auch mit viel Geld wäre international kein Nachfolger von ähnlicher Klasse zu bekommen gewesen, wie das zuvor gescheiterte Experiment mit dem Schweizer Nationalgoalie Yann Sommer zeigte, der den Münchner Ansprüchen nicht gewachsen war. Dass Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann nun in seinem neuen Job als deutscher Nationaltrainer auf einen wiedererstarkten Neuer zählen kann (sofern er es denn will), entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Nagelsmann hatte alles Erdenkliche getan, um die Position des damals verletzten Neuer zu schwächen.
Tuchel kommuniziert auf eigenwillige Art
Nur hat Tuchel eine spezielle Art, seinen Unmut zu kommunizieren, und dies kann durchaus irritieren. In Dortmund bediente er sich Massnahmen aus dem Repertoire der schwarzen Pädagogik, als er den verdienten Mittelfeldspieler Nuri Sahin im DFB-Cup-Final von 2016 auf der Tribüne Platz nehmen liess.
Beim 0:3 in Leverkusen vertraute er unlängst dem erst 19 Jahre alten Aleksandar Pavlovic die Schlüsselposition im defensive Mittelfeld an und beorderte Joshua Kimmich auf die Bank. Zwar macht der junge Mann keine gravierenden Fehler, doch es hätte gerade in einem solchen Spiel einen Profi mit Erfahrung und Ausstrahlung gebraucht. Auf diese Weise zeigte Tuchel der Führungsetage, was er von deren Personalpolitik hält, auch wenn er zuletzt sagte, dass er angesichts der guten Entwicklung von Pavlovic zurzeit keine Notlage erkenne.
Nun sind seine Tage gezählt. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er seinen Platz schon früher räumt. Bloss werden die Probleme, die den FC Bayern plagen, auch unter einen Nachfolger nicht von heute auf morgen verschwinden.