Die afroamerikanische Pop-Diva hat zwei Countrysongs veröffentlicht. Mit den scheinbar weissen Klängen erinnert sie an ihre Kindheit in Houston, Texas.
Beyoncé Knowles ist eines der grossen Talente der Pop-Musik. Was sie auch tut, es gelingt ihr fast alles. Mit afroamerikanischen Traditionen wie R’n’B oder Hip-Hop ist sie besonders intim verbunden. Aber ihre künstlerische Freiheit und ihr musikalischer Horizont reichen weit über die Grenzen einzelner Genres hinaus.
Das Album «Renaissance» hat sie vor zwei Jahren Disco und House gewidmet. Nun arbeitet sie aber an einem Country-Repertoire, die ersten Kostproben hat sie eben erst veröffentlicht: Der Song «Texas Hold ʼEm», der sich aus einem Banjo-Lick entwickelt und in seinem schlanken Arrangement viel Raum lässt für Beyoncés Gesang, hat bereits die Spitze der Country-Charts erklommen. «16 Carriages», eine dichte, melancholische Ballade, ist immerhin in den Top Ten.
Angst vor Appropriation
Beyoncé sei die erste afroamerikanische Musikerin an der Spitze der Country-Hitparade, berichtet das Magazin «Rolling Stone». Insofern ist das Raunen und Staunen verständlich, das jetzt allenthalben durch die Medien geht. Die schwarze Beyoncé habe gezeigt, dass sie auch die Sprache des weissen Country beherrsche, so loben die einen.
Aber es gibt auch naserümpfende andere, denen der stilistische Seitensprung der Pop-Diva verdächtig ist. Namentlich in den konservativen Kreisen der Musikszene empfindet man Beyoncés Vorstoss geradezu als Akt musikalischer Aneignung.
Beyoncés neuste Songs haben tatsächlich politische Implikationen. Country wird oft als Tradition jener ländlichen, weissen Bevölkerung missverstanden, die in ihrer Mehrheit Donald Trump unterstützt. In diesem Milieu schwärmte man für die brave Taylor Swift, bevor sie sich in Richtung Demokratie und Diversity verabschiedete. Nun wird die Country-Idylle auch noch durch die Obama-Freundin Beyoncé gestört.
Diese linken Pop-Stars seien wie Hunde, liess sich der Countrysänger John Schneider auf dem TV-Sender «One American News Network» verlauten, überall müssten sie ihre Markierung hinterlassen. Schneider mag insofern recht haben, als Pop-Idole oft versuchen, durch die Ausweitung ihres Repertoires neue Hörersegmente zu erreichen.
Falsch ist allerdings die Annahme, Country gehöre den weissen Amerikanern. Diese Tradition wurzelt vielmehr tief im Blues. Weisse und schwarze Musiker haben sich gegenseitig inspiriert. Ihre Lieder gehorchten nie fixen ethnischen Kriterien. Erst die Musikindustrie, die den Schallplatten ab den 1920er Jahren die Labels «Country» oder «Race» (gemeint: «schwarz») aufklebte, schuf stilistische Rassenschranken.
Erinnerungen an die Kindheit
Beyoncés derzeitiger Erfolg scheint einzigartig. Die Liste afroamerikanischer Musiker aber, die sich in dem Genre versuchten, ist lang. Aretha Franklin interpretierte Country-Titel. Der Funk-Erfinder James Brown hat ein ganzes Album produziert. Prince konzipierte seinen Hit «Purple Rain» ursprünglich als Country-Hymne. Und 2018 sorgte der Rapper Lil Nas X mit Country für Furore. Sein Sommerhit «Old Town Road» wurde allerdings – angeblich wegen zu vieler Fremdklänge – nicht zu den entsprechenden Charts zugelassen.
Auch Beyoncé hat schon früher auf Country gesetzt. Der Song «Daddy Lessons» (2014), in dem sie die Beziehung zu ihrem Vater thematisiert, beginnt mit einem Jazz-Intro, aus dem sich allmählich Country-Klänge herausschälen. Man spürt, dass die Sängerin hier musikalische Eindrücke aus ihrer Kindheit verarbeitet hat. Und das Gleiche gilt nun für die neuen Lieder. Sie handeln abermals von der Kindheit, von den Eltern und von Texas: In Houston wurde Beyoncé geboren, also wuchs sie inmitten der Country-Szene auf.