Samstag, November 23

Ein E-Bike mit vollautomatischer Antriebseinheit, ganz ohne Schaltung: vielversprechend, aber auch teuer. Tatsächlich wird die Kombination vom Discounter Decathlon zum Kampfpreis angeboten. Funktioniert das? Ein Selbstfahrversuch gibt Aufschluss.

Dieses Citybike schreibt Geschichte – denn es ist das erste Serien-Pedelec mit einer am Tretlager in den E-Motor integrierten, stufenlosen Vollautomatik. Dass das B’Twin LD 920E nicht von einem Hochpreisanbieter, sondern exklusiv vom weltweit grössten Sportausstatter Decathlon angeboten wird, erstaunt: Produkte des französischen Konzerns sind besonders günstig eingepreist, aber nicht immer für ihre Verarbeitungsqualität oder Langlebigkeit bekannt. Der Verdacht, dass dies auch auf dieses Modell zutrifft, ist daher naheliegend.

Ausstattung

Angeboten werden zwei Rahmenformen: «Diamant» in den Grössen M, L (unser Testvelo) und XL, alle grüngrau lackiert, oder «Trapez» (S, M, L, jeweils in anthrazit-braun). Abgesehen vom fehlenden Rückspiegel ist das E-Bike mit elektrischer Hupe und einer mechanischen Klingel, mehreren Reflektoren und Beleuchtung vorne/hinten ausgerüstet. Zur reichhaltigen Ausstattung gehören ein zentrales Farbdisplay mit Bluetooth-fähigem Bordcomputer, USB-C-Ladebuchse und GPS-Modul, Kettenschutz, Kotflügel, Kurzfedergabel, hydraulische Scheibenbremsen und ein Seitenständer.

Zwischen Rahmen und Hinterrad gibt es ein fest verbautes Ringschloss, dessen Schlüssel sich – als eine Art präventive Massnahme – nur nach dem Verschliessen entfernen lässt. Vor dem Wegtragen schützt die altertümliche Vorrichtung aber weniger als das hohe Eigengewicht dieses Pedelec (27,6 Kilogramm). Dafür verträgt der Gepäckträger bis zu 27 Kilogramm Zuladung, ein guter Wert.

Mit Routenprotokoll und Standort-Ortung sowie Daten zu Kalorienverbrauch oder eingesparten CO2-Emissionen gibt es zudem eine recht umfassende App, für die lediglich zwei QR-Codes gescannt werden wollen.

Einen Schnellspanner für die Sattelstütze gibt es dagegen nicht und die Kraftübertragung erfolgt per Kette statt Carbon-Riemen.

Dank der Automatik gibt es weder Schalthebel noch eine Kassette, sondern nur ein einsames Ritzel an der Hinterradnabe. Die mit 4,6 Kilogramm recht schlanke, angeblich wartungsfreie Antriebseinheit unterstützt bis maximal 375 Prozent und besteht aus zwei Bürstenmotoren mit je einem synchron gesteuerten Riemen, die im Verbund wie ein Differenzial operieren.

Dazu kommen das stufenlose Planetengetriebe sowie eine elektronische Steuerung mit acht Sensoren, welche die Motoren bis zu 20 000 Mal pro Sekunde regulieren. Das gesamte System wurde gemeinsam mit dem belgischen Startup E2 Drives zur Serienreife gebracht. Zudem legt Decathlon Wert auf die Feststellung, dass 95 Prozent der Motorteile in Europa hergestellt und zusammengebaut werden.

Verarbeitung

Ergo-Griffe, Gel-Sattel, Plastikpedale oder die Hohlkammerfelgen sind zwar Günstig-Komponenten aus dem Decathlon-Teileregal, machen aber einen ordentlichen Eindruck. Manche Kunststoffe und Passungen sind dagegen nicht sehr präzis gefertigt, das vordere Alu-Schutzblech vibriert, der Controller-Joystick ist ein wenig gefühllos. Im Grossen und Ganzen ist das technisch spektakuläre, aber optisch unauffällige Velo ordentlich verarbeitet.

Zudem überzeugen Details wie das in Lenkermitte positionierte Display, das einen guten, weil verstellbaren Kontrast bietet und sich aufs Wesentliche konzentriert. Nach einem ersten Kennenlernen wirkt dieses E-Bike ansprechend, und das wird sich für die Dauer des Tests nicht wesentlich ändern. Decathlon gewährt zwei Jahre Garantie.

Fahreindruck

Aufsteigen, einschalten, fahren: Der Reiz dieses B’Twin besteht in seiner Simplizität. Man muss nie über das Schalten nachdenken, sondern nur die gewünschte Unterstützungsstufe (Eco, Tour, Turbo) und Trittfrequenz eingeben (anwählbar in Fünfer-Schritten zwischen 40 und 90 Umdrehungen pro Minute). Das ist genial und funktioniert einfach, denn die Menuführung ist kinderleicht. Alles andere erledigt das E-Bike automatisch – kontinuierlich-flüssig, ruckfrei ohne Schaltunterbrechungen und insgesamt unauffällig, weil auch relativ leise.

Die Fortbewegung ist angenehm. Decathlon verspricht «müheloses Anfahren, selbst bergauf» – und das stimmt, egal in welcher Voreinstellung. Allerdings sollte der Hang dann nicht allzu steil sein. Wer einmal nebenher läuft, freut sich über die Schiebehilfe bis 4 km/h. Allgemein gilt: Bei etwas über 25 km/h wird sanft, aber spürbar abgeregelt. Talwärts geht es natürlich schneller und freilich kann man auch ganz ohne Unterstützung fahren, aber dann wird es mühselig.

Die hohe Rahmengeometrie und der relativ schmale Lenker sorgen im Schritttempo für etwas Unruhe in der Balance, doch das ist Gewöhnungssache. Pluspunkte gibt es für eine entspannt-aufrechte Fahrposition. Die rudimentäre Gabelfederung vorne dämpft nur wenige Zentimeter und hält damit leichte Schläge fern. Zur Komfortsteigerung empfiehlt sich eine für 35 Franken nachrüstbare Sattelstützenfederung.

Das Display bietet Basisinformationen wie Geschwindigkeit, Tageskilometer, Akkuladestand und die verbleibende Reichweite. Letztere sinkt nur langsam; Decathlon verspricht 150 Kilometer im Eco-Modus. Ganz so weit kommt man in der Praxis allerdings nicht, gerade einmal 90 Kilometer liegen drin. Mühsam ist zudem, dass der Akku zum Laden immer ausgebaut werden muss, denn es gibt keinen externen Stecker.

Fazit

In der Summe seiner Eigenschaften ist das zukunftsweisende LD 920E ein faires Angebot und sein Geld wert. Dabei sollte man jedoch allfällige Reparaturen einkalkulieren. Auch wird es nicht mehr lange einzigartig bleiben: Pedelec-Antriebs-Spezialist Pinion hat für den Sommer ebenfalls eine in den Motor integrierte Vollautomatik angekündigt, die allerdings wesentlich teurer ausfallen dürfte. Für Decathlon selbst ist das 920er derweil ein Anfang, dem weitere, ähnlich geartete Pedelec-Modelle folgen sollen.

Velo à la carte: In der Schweiz wurden 2023 über 170 000 E-Bikes verkauft – und ständig kommen neue Modelle dazu. Die wichtigsten, innovativsten und spektakulärsten testen wir hier in loser Reihenfolge. Die Produkte werden uns von den Herstellern/Importeuren für die Zeit der Tests zur Verfügung gestellt.

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