Samstag, November 30

Vorläufig Aufgenommene dürfen ihre Familie nicht mehr nachziehen, das hat der Nationalrat im September entschieden. Im Ständerat könnte es knapp werden.

Im September sah es so aus, als gäbe es im Parlament eine neue bürgerliche Allianz für Verschärfungen im Asylbereich. So hat der Nationalrat in der Herbstsession mehrere Vorstösse der SVP überwiesen. Doch in einem Fall könnte es nun bereits wieder vorbei sein mit der bürgerlichen Mehrheit. Und zwar beim Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene.

Die SVP will, dass Personen mit Ausweis F ihre Familien nicht mehr nachziehen dürfen. Es handle sich um abgewiesene Asylsuchende, die nur vorübergehend in der Schweiz blieben. Daher ergebe der Familiennachzug keinen Sinn, argumentiert die SVP. Sie befürchtet, dass der Status der vorläufigen Aufnahme von Wirtschaftsmigranten missbraucht werde, und reichte zwei identische Vorstösse im Ständerat und im Nationalrat ein.

Im September überwies die bürgerliche Mehrheit das Begehren in der grossen Kammer gegen den Willen des Bundesrats. Von der Mitte war die Mehrheit dafür, und der Freisinn stimmte fast geschlossen ab.

108 bewilligte Familiennachzüge pro Jahr

Doch nun ist im Dezember der Ständerat an der Reihe. Damit die Vorstösse eine Chance haben, zählt jede Stimme. Nur wenn SVP und FDP geschlossen zustimmen und sich der Allianz mindestens fünf Mitte-Politiker anschliessen, kommt das Anliegen durch. Der FDP-Ständerat Damian Müller ist zuversichtlich, dass beim Freisinn höchstens Vereinzelte ausscheren.

Doch in der kleinen Kammer könnte die Mehrheit aufgrund der Mitte kippen. Einen Vorgeschmack darauf gab die Debatte in der Staatspolitischen Kommission. Die Mehrheit der Ständeräte in der Kommission will den Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene beibehalten. Sie lehnte die beiden Vorstösse Anfang November mit einem knappen Verhältnis von 6 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung beziehungsweise 6 zu 4 Stimmen bei 1 Enthaltung ab.

Während der Herbstsession argumentierten die Gegner der SVP-Vorstösse vor allem mit der Verfassung und der Menschenrechtskonvention, welche das Recht auf Familie garantieren. Entscheidend in der Kommission war dem Vernehmen nach aber auch die Zahl 108. So viele Familiennachzüge für vorläufig Aufgenommene werden pro Jahr im Durchschnitt bewilligt, gleichzeitig werden 102 Anträge im Schnitt abgelehnt. Die Zahlen stammen vom Staatssekretariat für Migration und gelten für den Zeitraum 2020 bis 2023. Es sei fraglich, ob es Sinn ergebe, wegen 108 bewilligter Gesuche im Jahr das Gesetz zu ändern, fand die Mehrheit der Kommissionsmitglieder laut Informationen der NZZ.

Insgesamt befanden sich Ende Oktober laut Bund 43 054 vorläufig Aufgenommene und 65 892 anerkannte Flüchtlinge in der Schweiz. Vorläufig Aufgenommene gelten nicht als anerkannte Flüchtlinge gemäss Genfer Flüchtlingskonvention. Häufig, weil sie nicht aufgrund einer persönlichen Eigenschaft wie «Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung» individuell verfolgt werden.

Dennoch dürfen sie vorerst in der Schweiz bleiben, weil eine Wegweisung als unzulässig, unzumutbar oder unmöglich gilt. Beispielsweise, weil im Herkunftsland Bürgerkrieg herrscht, die Menschenrechtslage prekär ist oder die Regierung die Rücknahme ihrer Bürger verweigert, wie im Fall von Eritrea. Das Land gehört mit 7588 Personen zu den am stärksten vertretenen Nationen unter den vorläufig Aufgenommenen – neben Afghanistan (13 763 Personen) und Syrien (6074).

Freisinn hat den Stichentscheid

Laut Staatspolitischer Kommission sind die Bedingungen für den Familiennachzug restriktiv. Eine vorläufig aufgenommene Person kann in der Praxis nach zwei Jahren einen Antrag stellen. Ehepartner und Kinder dürfen aber nur in die Schweiz kommen, wenn der vorläufig Aufgenommene keine Sozialhilfe bezieht, eine geeignete Wohnung hat und die Landessprache des Wohnorts spricht. Es handelt sich daher tendenziell um gut integrierte Ausländer.

Ein Teil der Mitte liess sich von diesen Argumenten überzeugen. Damian Müller lässt sich dagegen nicht davon beeindrucken. «Immer, wenn wir Ideen für die Eindämmung der illegalen Migration bringen, kommen reflexartig Gründe, warum das nicht gehen soll.» Damit bekräftigt Müller erneut den Willen zu einem härteren Asylkurs, den Thierry Burkart im Sommer angekündigt hatte: «Der Missbrauch unseres Asylsystems nimmt extreme Züge an», sagte der FDP-Präsident der NZZ. Die Mehrheit der FDP-Delegierten verabschiedete Mitte Oktober ein entsprechendes Asylpapier, in dem auch der Familiennachzug ein Thema war.

Doch ohne Mitte geht – wie so oft – nichts. Und ihre Exponenten sind sich einmal mehr nicht einig. Sollte es beim Familiennachzug allerdings zu einer Pattsituation kommen, hätte der Freisinn das letzte Wort in Form des Stichentscheids: Andrea Caroni wird am 2. Dezember voraussichtlich zum Ständeratspräsidenten gewählt.

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