Noriaki Kasai gelingt in seinem Heimatland eine erstaunliche Rückkehr in den Weltcup. Mit Simon Ammann teilt der Japaner mehr als nur den letzten Sieg.
Noriaki Kasai musste grinsen, als ihm diese Frage gestellt wurde, die sich aufgedrängt hatte, aber trotzdem unverschämt klang. Ob dies jetzt sein letztes Mal gewesen sei, wollte der Reporter des österreichischen Senders ORF von Kasai wissen. Der Skispringer winkte ab: «Ich schätze, ich werde noch bis 65 springen.» Was der schmale Mann da gesagt hatte – und wie er es gesagt hatte –, wirkte wie ein Scherz. Doch schon einen Moment später ahnte man: Er könnte es ernst meinen.
Die Olympischen Spiele 2026 sind Kasais Ziel
Schon heute ist Noriaki Kasai eine grosse Unwahrscheinlichkeit des Sports. Der Japaner hat das im Profigeschäft fast schon biblische Alter von 51 Jahren erreicht. Am Wochenende feierte er beim Weltcup-Springen im japanischen Sapporo nach fünf Jahren sein Comeback und errang erstmals wieder einen Punkt. Und Kasai hat auch schon zu verstehen gegeben, dass es ihm nicht nur um diesen einen Weltcup-Punkt gegangen sei: Sein Ziel ist die Qualifikation für die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina. Er wäre dann 55. Und bis 65 wären es dann auch nur noch zehn weitere Jahre.
Neben ihm wirkt der andere jung gebliebene Skispringer, der in Sapporo ebenfalls Aufsehen erregte, fast jugendlich: Der Schweizer Simon Ammann, dessen vier olympische Goldmedaillen bereits 14 bis 22 Jahre zurückliegen, ist auch schon 42 Jahre alt. Bei den Springen in Sapporo schaffte es allerdings nur Kasai einmal in die Weltcup-Punkte. Gefeiert wurden die beiden aber ohnehin nicht wegen ihrer Chancen auf einen Sieg. Den sicherte sich am Sonntag der Slowene Domen Prevc vor dem Japaner Ryoyu Kobayashi, der als Favorit gegolten hatte.
Aber Simon Ammann und vor allem Noriaki Kasai wirkten bei diesem Anlass eben doch spektakulärer. Was ihr Geheimnis für die schier ewige Jugendlichkeit sei, wollte der ORF-Journalist vor Ort wissen. Kasai zuckte mit den Schultern, nach dem Motto: «Ach, so jung seh ich nun auch nicht mehr aus!» Sein Wegbegleiter Ammann erklärte: «Wir müssen auf unsere Ernährung achten, aber das ist natürlich kein Geheimnis. Ausserdem die frische Luft und viel Aufregung im Sport.» Von Letztgenanntem hatten die beiden viel in ihrer Karriere.
Vor zehn Jahren standen der Schweizer und der Japaner gemeinsam auf dem Siegerpodest, bis heute haben sie beide mehr als 500 Weltcup-Springen absolviert. Darauf fokussierte sich auch die Berichterstattung in Japan. «Das Netz feiert ihn als Legende», titelte die Zeitung «Chuunichi Shimbun» Anfang der Woche über Kasai. In der «Nikkan Sports» stand: «Japans erster Springer jenseits der 50 schaut immer nur auf den nächsten Sprung.» Und die führende Nachrichtenagentur Kyodo erwähnte den zweiten Platz von Kobayashi kaum so prominent wie die Teilnahme Kasais, der mit seinem 570. Start längst Rekordhalter ist: «Es war riesig, dass ich einen Punkt gewinnen konnte», wurde Kasai zitiert. Und: «Der letzte war eine Weile her.»
Tatsächlich hatten ihn in Japan viele bereits abgeschrieben. Als «Flugsaurier» wird Kasai schon länger bezeichnet. Denn seine Karriere begann im Jahr 1988, als Berlin noch durch eine Mauer geteilt war und die meisten seiner heutigen Konkurrenten noch nicht auf der Welt waren. 1992 wurde Kasai Weltmeister im Skiflug, seine erste Silbermedaille an Olympischen Spielen, 1994 in Lillehammer, resultierte zwei Jahre vor der Geburt von Japans heutigem Skisprungstar Ryoyu Kobayashi. Der frühere deutsche Bundestrainer Werner Schuster charakterisierte das Wirken Kasais auch schon als «generationenübergreifend». Immerhin sprang er selbst einst gegen Kasai, der 2023 dann gegen Schusters Sohn Jonas antrat.
Zuletzt schien Kasais historisch lange Karriere aber unvermeidbar auszuklingen. Nachdem er 2018 einen weiteren Rekord aufgestellt hatte, als er zum ersten Wintersportler mit acht Teilnahmen an Olympischen Spielen wurde, verpasste er die Qualifikation für Peking 2022. Kasai sagte damals wohl halb scherzend, halb trotzend: «Dann eben vier Jahre später.»
Dieser Mann, der in Japan eher als ewiger Skisprungverrückter bekannt ist denn als grossartiger Sportler mit vielen Titeln, gab tatsächlich nicht auf: 2023 absolvierte er Springen im zweitklassigen Continental Cup, zunächst ohne Erfolg. Ein Jahr später schaffte er dann doch wieder den Sprung in den Weltcup.
Doch Kasai muss seinen Status des sehr alten Altstars immer wieder neu behaupten. Denn in der japanischen Sportwelt ist Kasai längst nicht der einzige Oldie, der einfach nicht aufzuhören scheint. Wohl noch etwas bekannter als der Skispringer ist der Fussballer Kazuyoshi Miura, der Ende dieses Monats 56 wird. Vor einigen Jahren hatte Miura, der als Vorlage für das weltweit bekannte Fussball-Manga «Captain Tsubasa» (auf Deutsch: «Die tollen Fussballstars») gilt, seine Profikarriere scheinbar beendet, als er in eine untere japanische Klasse wechselte. Doch wenig später überraschte der einstige Nationalspieler sein Land und die Welt erneut und unterschrieb einen Vertrag in der zweiten portugiesischen Liga.
Makoto Hasebe hat ein Buch über gesundes Altern geschrieben
Daneben erscheint Makoto Hasebe fast schon als blutjung. Er führte einst ebenfalls Japans Fussballnationalmannschaft an. Mit 40 Jahren ist Hasebe der älteste aktive Spieler der deutschen Bundesliga, wobei der Verteidiger der Frankfurter Eintracht nur noch sporadisch eingesetzt wird. Hasebe hat für die Karriere nach dem Profifussball bereits vorgesorgt: Er hat ein Buch über gesundes Altern geschrieben. In Japan mit seiner rapide alternden Gesellschaft wurde es ein Bestseller.
Noriaki Kasai fehlt diese über den Sport hinausgehende Dimension bis anhin noch. Er ist vor allem dafür bekannt, dass er immer weiterspringen, den Fakt des Alterns widerlegen will. Das birgt besonders im Skispringen Risiken. Zumal bekannt ist, dass Kasai in der Anlaufspur schon länger die Knie schmerzen, so dass er nur noch zähneknirschend in die Hocke geht.
Selbst wenn Noriaki Kasai noch bis ins Seniorenalter von 65 weitermachen sollte, dürfte ihm ein Rekord verwehrt bleiben: Gegen seinen Enkel wird er kaum noch in Konkurrenz treten können. Kasai wurde erst spät Vater, was für Japaner heutzutage nicht untypisch ist. Als sein Sohn zur Welt kam, war er schon 47.