Der ehemalige Staatssekretär im damaligen Bundesamt für Aussenwirtschaft und Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz hat es sich in seinem Leben nie leichtgemacht. Jean-Daniel Gerber, ehemaliger Staatssekretär des Seco, erinnert sich seiner.
«Was wird von mir bleiben, wenn ich nicht mehr bin?», fragte mich Cornelio Sommaruga wenige Monate vor seinem Tod. Er, der auf eine äusserst reiche Karriere zurückblicken konnte: Staatssekretär im damaligen Bundesamt für Aussenwirtschaft, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Präsident des Genfer Zentrums für humanitäre Minenräumung, Präsident und Mitglied zahlreicher Stiftungen und Vereinigungen. Die Frage von Cornelio Sommaruga war nicht Ausdruck von Selbstzweifeln. Er hätte noch viel mehr erreichen wollen, wenn das Alter ihn nicht daran gehindert hätte. Am vergangenen Sonntag ist er mit 91 Jahren eines erfüllten Lebens gestorben.
Hier sollen nicht die vielen Stationen seines Lebens, seine Erfolge und Misserfolge nachgezeichnet, sondern die Persönlichkeit Sommarugas beschrieben werden. Schwierigkeiten ist er nicht ausgewichen. Er ging sie frontal an und machte sich damit bei den einen beliebt, bei den anderen weniger. So auch in seiner eigenen Organisation, dem IKRK, das er mit Reformen durchschüttelte. «Mein Komitee hatte mich beauftragt, das Haus in Ordnung zu bringen», was zu einer Kampagne gegen den angeblich autoritären Präsidenten führte. So hierzulande: «Der Weg der Schweiz kann nicht an der Integration in Europa vorbeiführen.»
So in der Rotkreuzbewegung: Diese «vergeudet ihre Energien in internen Kämpfen, die nationalen Gesellschaften untereinander, die nationalen Gesellschaften gegen ihre Regierungen, gegen die Liga und das IKRK und alle gemeinsam gegen das IKRK». So auch in Israel: «Was gesagt werden muss, muss gesagt werden.» Dort wurde er wegen seiner bewusst verzerrt wiedergegebenen Aussagen sogar als Antisemit beschimpft, was ihn zutiefst verletzte. Dies sind nur einige Beispiele.
Nach drei Amtsperioden konnte Sommaruga die Früchte seiner Arbeit ernten: Wahl und zweimalige Wiederwahl zum IKRK-Präsidenten und Ernennung zum Ehrenmitglied, Dankesschreiben von 10 000 IKRK-Mitarbeitenden, äusserst lobende Worte des Uno-Generalsekretärs Kofi Annan, Presidential Award der Universität Tel Aviv und unzählige weitere Ehrungen und Doktorwürden.
Sommaruga schätzte die Lage meist richtig ein, was ihn befähigte, geeignete Lösungen und Kompromisse in Konfliktsituationen vorzuschlagen. Er hat im Laufe seiner Karriere sein Handeln den Herausforderungen angepasst. Als Staatssekretär, der keiner Partei angehörte, politisierte er bürgerlich, was ich als sein damaliger Assistent bezeugen kann. Aber als Präsident des IKRK schimmerte seine Vision einer gerechten Welt immer mehr durch. Sommaruga betonte zwar die Wichtigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen wirtschaftlichen Interessen einerseits und humanitären und sozialen Anliegen andererseits. Sein Engagement für die Konzernverantwortungsinitiative ist Ausdruck einer Verschiebung zu den Letzteren.
Woher nahm dieser Mann die Kraft für seine unzähligen Aktivitäten? Zunächst sein lateinisches Temperament: charmant, offen, empathisch und humorvoll. All dies machte ihn zu einer charismatischen Persönlichkeit, die die Debatten unwillkürlich dominierte, was ihm erlaubte, seine Meinung auch zu vertreten, wenn es ungemütlich wurde. Dann seine Religiosität. Sommaruga war überzeugter und praktizierender Katholik. Auf seinen Reisen fand er immer wieder Gelegenheit, eine Messe zu besuchen. Und schliesslich gab ihm seine Familie, insbesondere seine Frau, seine sechs Kinder und seine Enkelkinder, den nötigen Rückhalt, um sein Leben nach seinen Überzeugungen zu gestalten.
Jean-Daniel Gerber ist ehemaliger Staatssekretär des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). (Alle Zitate aus «Jürg Bischoff im Gespräch mit Cornelio Sommaruga», NZZ-Verlag.)