Mit neuen Straftatbeständen sollen boomende Delikte besser bekämpft werden können. Doch juristisch gesehen sind solche Taten Straftaten schwerer fassbar, als es auf den ersten Blick erscheint.
Abgesehen von Wirtschaftskriminalität hat das Internet für keine andere Deliktsgruppe eine derart grosse Bedeutung wie für Mobbing- und Sexualstraftaten. Perfiderweise sind Kinder und Jugendliche durch diese Entwicklung ganz besonders bedroht, wie Zahlen des Bundes aus dem letzten Jahr zeigen.
So sind fast drei Viertel der Opfer von Cybersexualdelikten unter 18 Jahre alt – in den meisten Fällen sind es minderjährige Mädchen. Bei den Tätern handelt es sich besonders oft um erwachsene Männer, die im Netz als vermeintlich Gleichaltrige unterwegs sind.
Auch andere Zahlen zeigen, wie sehr das Smartphone als Tatort Zentrum rückt. So hat das Bundesamt für Polizei (Fedpol) gemäss eigenen Angaben 2022 doppelt so viele Pädophilen-Verdachtsfälle an die Kantone weitergeleitet wie im Jahr zuvor, oft basierend auf Internet-Hinweisen aus den USA.
«Verkanntes Online-Risiko»
Gemäss einer neueren Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ist in der Schweiz fast jede zweite jugendliche Person zwischen 12 und 19 auf dem Smartphone mit sexuellen Absichten kontaktiert worden. Und fast jede dritte erlebte laut derselben Studie Cybermobbing. Die Stiftung Kinderschutz Schweiz spricht deshalb unumwunden von einem «verkannten Online-Risiko».
Für die Strafverfolgungsbehörden stellt die Verfolgung solcher Delikte eine gigantische Herausforderung dar. Zum einen operieren Täter oft anonym und nutzen verschlüsselte Kommunikationsmittel, was ihre Identifizierung erschwert. Zum anderen sind die strafrechtlichen Zuständigkeiten und technischen Fähigkeiten oft unzureichend, um schnelle und effektive Massnahmen zu ergreifen.
Technologie und Trends entwickeln sich zudem rasant, so dass die Strafverfolgungsbehörden oft hinterherhinken. In manchen Fällen kommt zudem das Strafrecht an seine Grenzen: Oft ist nicht eindeutig, ob die bestehenden, auf Straftaten in analogen Raum ausgerichteten Vorschriften wirklich greifen.
Derzeit prüft das Parlament deshalb gleich in mehreren Bereichen, wie mögliche strafrechtliche Lücken geschlossen werden können. So diskutiert die Rechtskommission des Nationalrates demnächst darüber, ob das gezielte Anbahnen von sexuellen Kontakten mit Kindern explizit unter Strafe gestellt werden soll.
Eine Forderung von Viola Amherd
Noch als Nationalrätin hatte die heutige Bundesrätin Viola Amherd gefordert, dieses als Cybergrooming bezeichnete Verhaltensweise als zusätzliches Offizialdelikt ins Strafgesetzbuch aufzunehmen. Doch obwohl beide Kammern grundsätzlich ihre Zustimmung signalisiert haben, sind die Arbeiten bisher nicht weitergekommen.
Im Gegenteil: Bei der Behandlung des soeben in Kraft getretenen Sexualstrafrechts hat das Parlament im vergangenen Jahr einen Rückzieher gemacht. Cybergrooming sei schon heute strafbar. Es werde im Gesetz zwar nicht ausdrücklich aufgeführt. Aber in gewissen Fällen werde es als sexuelle Belästigung, Pornografie oder als versuchter sexueller Missbrauch erfasst. Nun muss die Rechtskommission prüfen, wie gross die verbleibenden Lücken sind.
Handlungen, bei denen nicht zum Vornherein klar und ersichtlich ist, ob sie strafbar sind – dieses Muster zeigt sich bei Cyberkriminalität auf verschiedenen Feldern. So ist es kein Zufall, dass die Rechtskommission des Nationalrates im Sommer zum wiederholten Mal auch die Forderung nach einer besseren Handhabe gegen Cybermobbing behandelt. Auch hier fällt es der Politik schwer, den Handlungsbedarf präzise zu definieren.
Bei der Reform des Sexualstrafrechtes hielt es das Parlament zwar für notwendig, eine besondere Form des Mobbings – das Versenden sogenannter Rachepornos – explizit unter Strafe zu stellen: Neu wird das Weiterleiten von nicht öffentlichen sexuellen Inhalten ohne Zustimmung explizit sanktioniert. Dies, nachdem Staatsanwälte, und Gerichte eine Häufung solcher Fälle verzeichneten.
Cyberstrafnorm bleibt umstritten
Trotz der Revenge-Porn-Bestimmung bleibt aber weiterhin unklar, ob eine es generellen Cybermobbing-Strafnorm braucht. Die beiden Räte haben einer entsprechenden parlamentarischen Initiative von SP-Nationalrätin Gabriela Suter inzwischen zwar zugestimmt. Der Bundesrat hat aber bereits in zwei Berichten zum Ausdruck gebracht, dass er eine neue Bestimmung als unnötig erachtet.
Das geltende Recht genüge, argumentiert er. Tatsächlich kann Mobbing schon heute als üble Nachrede, Verleumdung oder Drohungen verfolgt werden. Verwiesen wurde in der bisherigen Debatte aber auch auf die bereits laufende auf Arbeiten für eine neue Stalking-Vorlage. Man müsse die beide Vorhaben aufeinander abstimmen.
Bezeichnenderweise tat sich die Politik allerdings auch mit dem Stalking-Tatbestand ebenfalls lange äusserst schwer. Bereits mehrfach wurde das Thema in den letzten Jahren in den eidgenössischen Räten gewälzt. Auch hier trat der Bundesrat auf die Bremse. Vor den Sommerferien hat der Nationalrat jedoch beschlossen, einen eigenen Straftatbestand gegen Stalking zu schaffen. Bis diese definitiv ausformuliert und in Kraft ist, werden aber noch Monate vergehen.
Strafnormen müssen sich auch durchsetzen lassen
Mit schärferen Vorschriften alleine ist es jedoch nicht getan. Oft sind zu wenig griffige Gesetze sogar das kleinste Problem. Die meisten Übergriffe sind tatsächlich schon heute unabhängig davon strafbar, ob sie in der realen oder in der virtuellen Welt begangen werden. Neue Straftatbestände setzen zudem die ohnehin schon überlasteten Strafverfolgungsbehörden unter zusätzlichen Druck.
In einem Bericht warnte der Bundesrat gar vor der Schaffung von Papiertigern: Es dürfe nicht vergessen werden, dass neue Straftatbestände keine Wirkung entfalten können, wenn sich das Recht nicht durchsetzen lasse. So seien beispielsweise oder die Täteridentifikation sowie die Beweissicherung aufwendig bis unmöglich, wenn Daten im Ausland gespeichert würden.
Mitunter behindert auch ein falsches Verständnis von Datenschutz den Informationsfluss. Gleichzeitig fehlt es vielerorts an Wissen und an Sensibilität für Phänomene, die für eine ohne Smartphone aufgewachsene Generation schwer fassbar sind. Das macht die präventive Kriminalitätsbekämpfung schwierig. Denn eines ist in den letzten Jahren deutlich geworden: Der Kampf gegen Cyber-Delinquenz beginnt nicht erst vor Gericht, sondern lange davor.