Sonntag, September 29

Im Spätherbst ist das Café im ersten Stock wieder offen. Die Patina verschwindet, aber der Charme soll bleiben.

Es ist ein gutaussehender Mann, der im Sprüngli-Café am Paradeplatz auf einen freien Tisch wartet. Smarte Gesichtszüge, verschmitztes Lachen, die Haare grau meliert. Zusammen mit einer älteren Dame steht er in einer Schlange, im Café herrscht Hochbetrieb.

Julijana Gucec braucht einen Moment, bis sie den Mann erkennt. Dann merkt sie: Es ist der James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan. Eilig räumt die Servicemitarbeiterin einen Tisch frei, bringt Brosnan und die Dame – es ist seine Mutter – zu ihrem Platz. Die beiden bestellen Cappuccino und Crèmeschnitte, unterhalten sich unbehelligt. Als Brosnan bezahlt, hinterlässt er ein Autogramm auf der Rechnung.

Zehn Jahre ist das her. Gucec hat die Rechnung bis heute aufbewahrt.

Wenn es ein Café gibt, dem Prominente bei einem Aufenthalt in Zürich einen Besuch abstatten, dann ist es dasjenige im Sprüngli-Haus am Paradeplatz. Es hat auch über hundert Jahre nach seiner Eröffnung im ersten Stock nichts von seiner Bekanntheit eingebüsst und ist das eleganteste Café der Stadt.

An der Bahnhofstrasse gibt es nur wenige Boulevardcafés, entsprechend gross ist der Andrang. Selbst unter der Woche stehen die Leute an, um einen Tisch zu bekommen, am Wochenende geht die Schlange manchmal bis um die Hausecke herum. Bei Sprüngli verkehren Stammgäste genauso wie Touristinnen und Touristen, die verzückt Fotos vom Cappuccino mit dem Sprüngli-Schriftzug in den sozialen Netzwerken posten. Im Geschäft machen Kundinnen Selfies mit der Luxemburgerli-Auslage im Hintergrund.

Das Birchermüesli, der Truffes-Cake und das Club-Sandwich sind legendär, genauso die Einrichtung im ersten Stock mit den Bistrotischen, der Vitrine für die Patisserie und den schweren Holzmöbeln im Kassenbereich.

Die Stammgäste, die morgens einkehren, sitzen immer am gleichen Platz. Bestellen müssen sie nicht. Julijana Gucec und ihre Kolleginnen im Service kennen die Namen und Wünsche der Stammgäste – und bringen den Kaffee genau so, wie sie ihn möchten.

Seit April allerdings müssen sich die Gäste mit dem Café im Erdgeschoss begnügen. Das Sprüngli-Haus ist eine Baustelle, nur bekommt das die Kundschaft kaum mit. Der erste Stock wird saniert und die Infrastruktur komplett erneuert, zum ersten Mal seit 1961, als die Produktion nach Dietikon ausgelagert wurde. Seither wurden nur Pinselrenovationen vorgenommen. Das ist der Einrichtung auch anzumerken: Alles wirkt etwas in die Jahre gekommen.

Julijana Gucec arbeitet seit 1993 für die Confiserie. Eigentlich ist sie pensioniert. Aber ein Leben ohne Sprüngli kann sie sich nicht vorstellen. Sie schwärmt von der familiären Atmosphäre, dem Kontakt mit den Gästen, den Produkten («Der Avocado-Toast sieht aus wie ein Gemälde»). Deshalb hat sie sich gegen den Ruhestand entschieden.

Gucec hat angefangen, als im Sprüngli nur Espresso und Café crème serviert wurden. Heute werden die Mitarbeitenden hinter der Bar im Erdgeschoss Baristas genannt und ziehen mit dem Milchschaum kunstvolle Muster in den Cappuccino.

Im Café arbeiten viele langjährige Angestellte. Agota Kocsis etwa hat 2008 angefangen. Die gebürtige Kroatin zog 1991 in die Schweiz. Sie habe es geliebt, mit ihrem Mann bei Sprüngli Kaffee trinken zu gehen, sagt sie. «Immer war alles perfekt. Darum war es mein Traum, einmal hier zu arbeiten.»

Auch heute noch kehrt sie am liebsten hier ein. Trinkt sie ihren Kaffee woanders, macht sie für sich einen Test: Ist der Service freundlich? Wird auf meine Wünsche eingegangen? «Wenn etwas nicht stimmt, bin ich enttäuscht.»

Heisse Schokolade für die feine Gesellschaft

Als die Confiserie Sprüngli im Jahr 1859 am Paradeplatz eröffnet wird, ist Zürich eine andere Welt als heute. Anstelle der Bahnhofstrasse zieht sich ein Wassergraben durch die Stadt, statt Autos verkehren Kutschen, der Paradeplatz ist noch wenig frequentiert.

Doch als wenige Jahre später eine rege Bautätigkeit einsetzt, wird die Confiserie mit ihrem «Erfrischungsraum» im Erdgeschoss zu einem beliebten Treffpunkt – auch für Touristen aus dem gegenüberliegenden Hotel Baur en Ville, dem heutigen Fünf-Sterne-Haus Mandarin Oriental Savoy.

Zürich hat Mitte des 19. Jahrhunderts entweder Spelunken oder gehobene Gaststätten zu bieten. Die Confiserie Sprüngli gehört zur zweiten Gattung. Schokolade und Kaffee sind Luxusgüter, die sich nur die Oberschicht leisten kann.

Zur illustren Gesellschaft, die hier verkehrt, gehören die Schriftstellerin Johanna Spyri, die Schriftsteller Conrad Ferdinand Meyer und Gottfried Keller sowie der Industriemagnat Alfred Escher und seine Tochter Lydia. Sprüngli ist zu dieser Zeit einer der wenigen Orte in der Schweiz, an dem sich die feinen Damen ohne Herrenbegleitung treffen dürfen.

Ob daher die Löffellegende rührt, die sich um das Café dreht? Sie besagt, dass betuchte Damen, die den Kaffeelöffel umgekehrt auf den Unterteller legten, damit ihr Interesse für Männerkontakte signalisierten. Milan und Tomas Prenosil lachen, als sie darauf angesprochen werden. Dann sagt Milan Prenosil: «Unser Personal hat noch nie ein solches Anbandeln beobachtet.»

Die Neffen von Richard Sprüngli leiten das Unternehmen seit 1994 in sechster Generation. Ihre Mutter war die Schwester von Richard Sprünglis Ehefrau. Das Café sei ein Teil der Identität von Sprüngli, sagt Tomas Prenosil. «Es war immer im Mittelpunkt unseres Familienlebens.»

Als Buben hätten sie sich bei Besuchen am Paradeplatz über eine Wendeltreppe, die alle Stockwerke verbindet, in die Küche geschlichen, um heisse Schokolade zu kosten. Als Teenager durften sie jeweils einmal pro Monat mit Freunden im Café zu Mittag essen. «Für uns war alles ein Abenteuer.»

Heute haben die beiden ihre Büros in der Liegenschaft, und wenn sie am Morgen ihren Kaffee an der Bar im Erdgeschoss trinken, ist das gleichzeitig ein Test: Ist die Kaffeemaschine richtig eingestellt?

Wie jedes Unternehmen mit einer langen Geschichte steht Sprüngli vor einer entscheidenden Frage: Wie kann man das Vermächtnis der Marke weiterführen, ohne verstaubt zu wirken? Tomas Prenosil sagt, in der Familie lege man seit je Wert auf Innovation. «Sonst wären wir nicht weitergekommen.»

Dazu gehört auch, dass die Klassiker auf der Café-Karte laufend ergänzt werden. Weil während des Umbaus die Küche geschlossen ist, muss sich das Personal mit einer minimalen Infrastruktur begnügen. Aufwendige Gerichte können nicht zubereitet werden.

Deshalb stehen nun auf der Sommerkarte neben Avocado-Toast, Beef-Tatar und Caesar-Salad auch zwei Hotdog-Variationen: einmal mit Rindfleischwürstli, einmal vegetarisch mit einem sous-vide gegarten Rüebli.

Natürlich soll hier kein profaner Hotdog mit Ketchup und Senf serviert werden, sondern eine Edelvariante: Wurst und Rüebli werden in eine Brioche gelegt und mit Coleslaw, Apfel-Sellerie-Salat, Röstzwiebeln und einer eigens dafür kreierten Sauce verfeinert. Die Idee dazu hatte der Küchenchef Patrick Senn. Die Hotdogs kämen gut an, sagt er. Manche Gäste bestellten sie als verspätetes Frühstück.

Und der Testesser von Gault-Millau schrieb über das temporäre Angebot: «Denk ich diesen Sommer an Sprüngli, kommt mir zuerst das Pop-up mit seinen fröhlichen Speisen in den Sinn. Dann erst die Süssigkeiten.»

Die Hotdogs bleiben eine Spielerei für die Sommermonate. Doch der Küchenchef Patrick Senn hat in den eineinhalb Jahren, die er bei Sprüngli arbeitet, festgestellt: Die Nachfrage nach vegetarischen und veganen Speisen wächst. Dies will er auf der neuen Speisekarte berücksichtigen, in der insbesondere das Mittagsangebot ausgebaut wird. «Klassiker wie das Club-Sandwich bleiben natürlich erhalten.»

Sprüngli bleibt am Paradeplatz

Die Sprüngli-Erben Tomas und Milan Prenosil wissen: Veränderungen müssen behutsam geschehen. Als am Paradeplatz vor zehn Jahren der Verkaufsraum umfassend saniert wurde, liess man das Café im Erdgeschoss bewusst unangetastet.

Nun aber führt kein Weg mehr an einer umfassenden Renovation im ersten Stock vorbei, allein wegen der Brandschutzauflagen und der Klimaanlage. Wie genau sich das Café in Zukunft präsentieren wird, bleibt bis zur Eröffnung geheim. Auch, wie hoch die Kosten für die Investitionen sind. Klar ist aber: Es wird eine grosse Veränderung geben.

Das Café sei charmant gewesen, mit liebgewonnenem Design, aber ohne erhaltenswerte historische Elemente, sagt Tomas Prenosil. «Deshalb haben wir uns von der Patina verabschiedet.» Geplant ist, dass das Café künftig auch für Anlässe – Jubiläen, Geburtstage, Hochzeiten – gebucht werden kann.

Bis heute ist das Sprüngli-Haus eines der wenigen am Paradeplatz, die in Familienbesitz geblieben sind. Und so solle es auch bleiben, beteuern Milan und Tomas Prenosil. Obwohl sie schon unzählige Male die Gelegenheit gehabt hätten, das Gebäude zu verkaufen oder extern zu vermieten.

Das kommt nicht infrage. Milan Prenosil sagt: «Wir sind eine Confiserie mit Liegenschaft, nicht eine Liegenschaft mit Confiserie. Das ist ein entscheidender Unterschied.» Das Café laufe sehr gut, aber Renditegedanken stünden nicht im Vordergrund. Mit einem eingemieteten Luxuslabel würde man mehr verdienen.

Im Café im Erdgeschoss werden Julijana Gucec und Agota Kocsis jeden Tag von den Stammgästen gefragt, wann der erste Stock wieder zugänglich sei. Und vor allem: Werden sie «ihr» Café wiedererkennen? «Natürlich», antwortet Gucec jeweils: Zwar werde vieles neu sein. Aber: «Es bleibt Sprüngli.»

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