Ein neuer Dokumentarfilm erzählt die Geschichte von Eileen Grays Villa E. 1027 aus der Perspektive der irischen Architektin und Designerin.
Aufwachen im lichtdurchfluteten Zimmer, Blick auf türkisblaue Wellen, die gegen Felsen peitschen. Nur eine hauchdünne Glasscheibe trennt innen und aussen. Dann barfuss auf die Veranda und hinunter zum Meer, der Weg gerahmt von Zypressen und Pinien. Ein Sehnsuchtsort. Die irische Architektin Eileen Gray hat sich diesen Traum gebaut: Villa
E. 1027 in Roquebrune an der Côte d’Azur.
Doch Krieg und Streit machten auch vor diesem Paradies keinen Halt. In der Zeit nach ihrem Bau 1929 war die Villa erst Liebesnest, Arbeitsort und Treffpunkt von Protagonisten des Modernismus. Auch der Schweizer Architekt Le Corbusier ging ein und aus. Er nutzte die Villa als eine Art Tobsuchtstätte und versah deren weisse Wände ungefragt mit bunten «Fresken». Später schrieb man ihm die Autorenschaft des Baus zu, eine Falschbehauptung, die er nie richtigstellte. Und im Zweiten Weltkrieg wurde die Villa von deutschen Soldaten besetzt, die aus Langeweile Wände zerschossen und Bäume fällten. Heute ist sie ein Museum.
Nach all diesen Aneignungsversuchen erzählt nun ein Film die Geschichte aus der Perspektive von Eileen Gray.
Ein Haus am Meer
«E. 1027 – Eileen Gray and the House by the Sea» von den Schweizer Regisseuren Beatrice Minger und Christoph Schaub ist ein Hybride aus Dokumentar- und Spielfilm. Er gibt Einblick in die chaotische Geschichte der Villa und das Leben einer der grössten Architektinnen der Moderne.
Eileen Gray wächst in Irland in einer wohlhabenden Familie auf, um Finanzielles muss sie sich nicht sorgen. Als eine der ersten Frauen studiert sie an der Kunstschule Stade School of Art in London. Später zieht sie nach Paris, arbeitet als Innenarchitektin und entwirft Möbel, zu ihren Kunden gehören James Joyce und Ezra Pound.
Im Film erscheint Gray, gespielt von Natalie Radmall-Quirke, als arbeitsbesessene, zurückgezogene und unantastbare Frau. In einer Archivaufnahme, die von Minger und Schaub gezeigt wird, ist Gray im hohen Alter zu sehen. Hier wirkt sie eher weich und gelassen. Altersmilde? Oder war Gray vielleicht einfach nicht so schroff und verschlossen, wie man sich das Stereotyp der modernen Frau mit ihren kantigen Kurzhaarfrisuren gern vorstellt?
1921 lernt Gray den Architekten und Journalisten Jean Badovici (Axel Moustache) kennen, einen Franzosen mit rumänischen Wurzeln. Sie verlieben sich. Badovici bringt ihr die Architektur näher, sie beginnen gemeinsam zu entwerfen. Und schliesslich beschliesst das Paar, einen Rückzugsort zu bauen, weit weg vom lärmigen Paris.
Eileen Gray kauft ein Grundstück an der Côte d’Azur, direkt am Meer. Da Ausländer in Frankreich keinen Grund erwerben können, machen die beiden offiziell Badovici zum Eigentümer. Dort bauen sie die Villa
E. 1027, ein kryptischer Liebesschwur auf ihre Namen. E für Eileen, 10 für Jean, dessen Anfangsbuchstabe an zehnter Stelle des Alphabets steht, 2 für das B in Badovici und 7 für das G in Gray. Ein weisser Betonbau zwischen den Felsen, lichtdurchströmt, grazil und voller spielerischer Details.
Le Corbusier, der Eindringling
«Ich wollte einen Raum für eine Frau schaffen, die Platz für sich selbst braucht», sagt Gray im Film. Doch schon bald flüchtet sie aus ihrer eigenen Villa. Badovici, 15 Jahre jünger als Gray, ist ein Lebemann, ständig lädt er Besucher ein. Gray fühlt sich gestört, ihre Liebe verblasst. Eileen überlässt ihm das Haus und geht.
Inzwischen wird ihr gemeinsames Werk gefeiert. «Seine Schönheit schmerzt mich», sagt Le Corbusier (Charles Morillon) im Film. Und: «Es ist, als ob es mit mir spricht. Im nächsten Moment stösst es mich wieder weg. Wie einen Eindringling.» Und zum Eindringling sollte Le Corbusier denn auch werden.
Nachdem Gray die Villa verlassen hat, verbringt Le Corbusier, ein Freund Badovicis, mehr Zeit auf dem Grundstück. Er bemalt die Wände mit bunten Malereien, die er fotografiert und veröffentlicht. Ein Foto zeigt ihn völlig nackt vor Grays Wänden, eine Zigarre im Mundwinkel und ein Pinsel in der Hand. Nun glaubt die Öffentlichkeit, dass die Villa aus seiner Feder stamme. Corbusier lässt das so stehen.
Als Gray ihn auffordert, die Malereien zu entfernen, weigert sich Le Corbusier. Für sie sind seine «Fresken» Vandalismus, er wiederum behauptet, mit seiner Aktion der Villa «eine Seele eingehaucht» zu haben. Doch Le Corbusiers Spielchen gehen weiter.
Nach Badovicis Tod 1956 sorgt Le Corbusier dafür, dass die Villa von Marie-Louise Schelbert gekauft wird, einer grossen Bewunderin seines Werks. Sie kauft das Haus in dem Glauben, dass es sich um einen Entwurf Corbusiers handele. Schliesslich baut Le Corbusier auch noch eine Holzhütte, genannt Cabanon, auf Grays Grundstück, direkt über der Villa. Jahre später ertrinkt er in den Wellen vor Grays Haus, vermutlich erlitt er beim Baden einen Herzinfarkt.
«Was ist ein Haus? Was? Seine Essenz?»
All das erzählt der Film anschaulich nach. Doch da sind ein paar Störfaktoren: Die gespielten Szenen hinken den dokumentarischen Aufnahmen hinterher. Und immer wieder wirken die Charaktere gewollt modernistisch-kantig und kommen dabei holzschnittartig rüber.
Die theatralischen Dialoge kann man dem Film vermutlich nur teilweise zum Vorwurf machen. «Was ist ein Haus? Was? Seine Essenz?» wird da beispielsweise von Gray gefragt. Worauf Le Corbusier roboterhaft antwortet: «Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen.» Möglich, dass die «modernen Meister» tatsächlich so grossspurig und hülsenhaft gesprochen haben. Wer einmal einen Blick in Le Corbusiers Schriften geworfen hat, weiss Bescheid.
Die nachgestellten Szenen sind teilweise als Theaterszenen inszeniert, in denen die Protagonisten unter hartem Licht und mit karger Requisite auf einer schwarzen Bühne erscheinen. Eine dramaturgische Entscheidung, die konzeptuell und verkopft wirkt – vermutlich eine Anspielung darauf, dass die Geschichte des Hauses wie ein Drama wirkt, eine Bühne der modernen Architektur, auf der sich die Männer das Werk der Frauen aneignen. Doch im Film bleiben diese Szenen Fremdkörper.
Dafür sind die Innen- und die Aussenräume der Villa so stark, dass allein die stillen Aufnahmen ohne jedes Schauspiel Appetit auf Raum, Licht, Material und Farben machen. Sie geben eine Idee davon, mit wie viel Sensibilität und Menschlichkeit Gray die technoiden Patentrezepte der modernen Architekten anreicherte.