Während Tagen steigern sich die Spannungen zwischen den Anhängern der beiden Zürcher Fussballklubs. Es geht um die Vorherrschaft in der Stadt.
Das Geschehen auf dem Platz beginnt fulminant: Schon nach wenigen Sekunden gelingt dem FC Zürich im Spiel gegen die Grasshoppers am Samstag der Führungstreffer. Es ist ein turbulenter Start in ein mit Spannung erwartetes Spiel.
Doch sobald der erste Jubel ausgeklungen ist, wird es sehr, sehr still im Stadion. Die Stimmung in jener Novembernacht ist sprichwörtlich unterkühlt.
Der Grund dafür ist simpel: Der Letzigrund bleibt am Samstag zu einem Drittel leer. Die Stadtpolizei stoppte den Umzug der GC-Fankurve vom Kreis 5 schon auf der Duttweilerbrücke, um Personenkontrollen durchzuführen. Knapp 600 Personen kesselt die Polizei ein und kontrolliert sie. Als sich die Nachricht davon im Letzigrund verbreitet, schweigt auch die FCZ-Südkurve – aus Solidarität mit jenen GC-Fans, die die erste Hälfte des Spiels wegen der polizeilichen Intervention verpassen.
Auch die FCZ-Fans marschierten zuvor. Mehrere hundert Personen zogen vom Klingenpark über die Langstrasse bis zum Stadion Letzigrund. Auch hier seien «pyrotechnische Gegenstände» gezündet worden, teilt die Polizei mit. Doch im Unterschied zu den GC-Fans gab es keine Kontrollen. Die Polizei hat den Umzug lediglich «eng begleitet».
Die vermeintliche Ungleichbehandlung stiess vielen Grasshoppers-Unterstützern sauer auf. Der GC-Captain Amir Abrashi sprach in einem Fernsehinterview von einem «Skandal». Die Klubführung bedauert in einer Stellungnahme, dass ihre Fankurve das Derby aufgrund der vierstündigen Einkesselung verpasst habe. Gleichzeitig betont sie, dass sie das Zünden von Knallpetarden ablehne. Man habe das Strafmass bei Fassung der Täterschaft erst kürzlich auf fünf Jahre Stadionverbot erhöht.
200 Ultras bei einem Juniorenspiel
Eine grosse Rivalität, Spannung im Vorfeld, Gewalt und Überfälle in den Quartieren – und dann ein Gefühl der Ernüchterung im Stadion. Mit dieser Bilanz passt die vergangene Woche zu einer neuen Ordnung in der Zürcher Fussballwelt.
Der erste Schreck erfasste Zürich am Mittwochabend. Im Kreis 12 treten die U-17-Junioren von FCZ und GC gegeneinander an. Derlei Affichen machen in der Regel kaum von sich reden. Doch diesmal war es anders: Unter den Zuschauern auf der Sportanlage Heerenschürli weilte eine Meute von über 200 FCZ-Ultras.
Augenzeugen sagten zur NZZ, dass sich die Gruppe sofort daran gemacht habe, die minderjährigen Spieler der Grasshoppers zu beleidigen. Offenbar war die Pöbel-Aktion gut vorbereitet: Die FCZ-Anhänger kannten die Namen einzelner Junioren und sprachen diese persönlich an – wobei sie nicht mit Beleidigungen sparten. Doch es blieb nicht bei verbalen Angriffen.
Mindestens ein GC-Fan ist an dem Abend auch körperlich attackiert worden. Der junge Mann betreibt nebenbei einen Podcast, in dem er für gewöhnlich über seine Liebe zum Fussball und andere harmlose Themen spricht. Doch in der neusten Ausgabe des Podcasts schildert der Mann auch den Angriff. Voneinander unabhängige Augenzeugen bestätigen die Darstellungen gegenüber der NZZ.
Demnach lösten sich einzelne FCZ-Ultras aus der Gruppe, gingen auf den GC-Fan los, um ihn zu bedrohen. Unvermittelt sei das Opfer von einem der Männer ins Gesicht geschlagen worden. Man habe ihn sodann aufgefordert, auf der Stelle zu verschwinden. Dem eingeschüchterten GC-Fan blieb keine andere Wahl, als den Heimweg anzutreten.
Daraufhin waren die Sicherheitskräfte in der Stadt Zürich in Alarmbereitschaft versetzt. Die Stadtpolizei warnte vor einem «enormen Sicherheitsrisiko». Es galt, eine Eskalation während des Derbys vom Samstag zu verhindern.
Der Kampf um die Vorherrschaft in der Stadt
Doch die Anhänger der Klubs waren nicht auf Konsens aus. Im Gegenteil: FCZ-Anhänger kündeten an, dass sie sich auf der Josefwiese versammeln wollten. Das war der zweite Schreck der letzten Woche.
Traditionellerweise ist die Josefwiese im Kreis 5 nämlich das Gebiet der GC-Fans. Vor Derbys marschieren sie jeweils über die Duttweilerbrücke, die das Gleisfeld überspannt, bis zum Letzigrundstadion auf die andere Seite der Gleise. Die FCZ-Fans pflegen sich derweil auf der Fritschiwiese oder bei der Bäckeranlage im Kreis 4 südlich der Gleise zu verabreden.
Ein Teil der FCZ-Anhänger beansprucht aber schon seit längerem territoriale Hoheit über die ganze Stadt. Einige versuchen diese regelmässig auch mit den Fäusten durchzusetzen. «Züri isch ois», skandieren die Fans immer wieder. Der besorgte Zürcher Stadtrat Daniel Leupi schrieb kürzlich in einer Kolumne von einem «totalitären Unterton» und mahnte zur Mässigung. Zuvor hatte die GC-Führung bekanntgegeben, ihren Geschäftssitz von Niederhasli in die Zürcher Altstadt zu verlegen.
Die Stadtpolizei hatte bereits vor den Ereignissen rund um das Juniorenspiel vom Mittwoch mitgeteilt, dass sie eine Auseinandersetzung auf der Josefwiese aufgrund der explosiven Ausgangslage nicht tolerieren werde. Es wurde ein Versammlungsverbot über der Josefwiese verhängt.
Die Südkurve reagierte darauf mit einer Mitteilung auf ihrer Website. Darin geben sich die Fans unschuldig: Es handle sich um einen normalen «Treffpunkt mitten in unserer Stadt». Wegen des Versammlungsverbots auf der Josefwiese gaben sie bekannt, sich stattdessen im Klingenpark zu versammeln – also weiterhin im Kreis 5. Die GC-Kurve wiederum traf sich neu auf dem Turbinenplatz.
Pfefferspray, Schlagstöcke und Messer
Die Vorstellung von Ultras, die gegnerischen Fans auflauern, um ihr Revier zu markieren, weckte ungute Erinnerungen.
Im Oktober machten rund 25 FCZ-Schläger an der Chilbi in Wiesendangen regelrecht Jagd auf GC-Fans. Augenzeugen berichteten von schwarzgekleideten Männern mit weissen Masken, die in militärischer Formation marschierten und GC-Anhänger, aber auch Unbeteiligte verprügelten. Nachdem sie mehrere Männer niedergeschlagen hätten, so hiess es, seien die Schläger in Autos geflüchtet.
Nur wenige Tage später überfielen in Rickenbach, einem Dorf mit 800 Einwohnern, 40 bis 60 FCZ-Ultras eine Gruppe von Supportern ihres Rivalen. Die Angreifer sollen mit Pfefferspray, Schlagstöcken und Messern bewaffnet gewesen sein.
Die militanten FCZ-Fans erbeuteten dabei ein Transparent der Gegner. Dieses wurde am Derby in der eigenen Fankurve präsentiert. Die Aktion sollte die GC-Fans demütigen. Am gleichen Tag, dem 19. Oktober, kam es schliesslich zu einem Pfefferspray-Vorfall in einer Zürcher S-Bahn. Diesmal stammten die mutmasslichen Täter aus dem Umfeld der Grasshoppers. Ausserdem zündeten die GC-Anhänger bei einem Umzug rund 100 Böller.
Am vergangenen Samstag wurde im GC-Umfeld nun spekuliert, dass die Personenkontrolle auf der Duttweilerbrücke eine Art Vorsichtsmassnahme wegen dieser Böller vom 19. Oktober gewesen sei.
Die Stadtpolizei bestätigt diese Theorie. In einer Stellungnahme schreibt sie: Da beim letzten Derby die GC-Fans über hundert Böller, die ein grosses Gesundheitsrisiko darstellten, gezündet hätten, habe man davon ausgehen müssen, dass es zu weiteren Zündungen kommen könnte. Nachdem «gegen ein Dutzend Knallpetarden» losgingen, habe man den Fanmarsch diesmal auf der Duttweilerbrücke gestoppt.
Drei Personen wurden für weitere Abklärungen auf eine Polizeiwache gebracht. Die Polizei teilt weiter mit, dass «umfangreiches Vermummungs- und pyrotechnisches Material» sichergestellt worden sei. Die Stadtpolizei wurde beim ganzen Einsatz von der Kantonspolizei unterstützt.
FCZ-Sicherheitschef mit zweifelhaften Aussagen
All diesen Szenen ist eines gemein: Die Gewalt militanter Ultras konzentriert sich längst nicht mehr auf die Stadien. Dort hat die Zahl der Vorfälle sogar leicht abgenommen. Geprügelt, eingeschüchtert und gedroht wird nun in allen Stadtteilen, in der Agglomeration und selbst in ländlichen Gebieten.
Rücksicht auf Unbeteiligte nehmen die Ultras dabei kaum noch. Es häufen sich die Meldungen von gewöhnlichen GC-Fans, die drangsaliert werden. Es sind Familienväter, die ihre Kinder nicht mehr zum Spiel mitnehmen, oder Schüler, die sich nicht mehr getrauten, ihre Fan-Shirts anzuziehen.
Und die Dominanz der Südkurve nimmt weiter zu. Mittlerweile schätzt die Stadtpolizei Zürich 400 Personen aus dem FCZ-Umfeld als gewaltbereit ein.
Der FCZ hat am Anfang der Woche in einer breit angelegten Medienoffensive zur wiederkehrenden Gewalt aus seinen Reihen Stellung bezogen. So sagte der Sicherheitsverantwortliche Luca Maggi im NZZ-Interview: «Niemand soll jemanden verfolgen. Egal, welches Leibchen jemand trägt». Und es dürfe nicht sein, dass sich ein Fan nicht ins Stadion getraue.
Dass dies trotzdem immer wieder passiere, ist aus Sicht des Sicherheitschefs des FCZ auch die Schuld der Polizei – eine zweifelhafte Aussage. So verortet Maggi die Verantwortung oft bei den Sicherheitsbehörden und verlangt von der Gesellschaft, dass sie Grenzüberschreitungen von Fans akzeptieren müsse: «Wenn es die Behörden schaffen, dass sie derart zum Feindbild werden, dass sie in fast jedem Fall das grössere Übel sind als die Leute aus der eigenen Szene – dann haben wir ein Problem.»
Der Wasserwerfer war umsonst gekommen
In der Bienenstrasse, die beim Letzigrund die Grenze zwischen Süd- und Nordkurve und damit zwischen FCZ und GC markiert, hatte sich am Samstag ein Wasserwerfer in Position gebracht. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot präsent. Dank dessen blieb es wenigstens rund um das Stadion relativ ruhig.
Doch nach dem Schlusspfiff donnerten in den Quartieren schon bald wieder die Böller. Bereits am Dienstag kommt es zum nächsten Aufeinandertreffen der beiden Klubs und Fanlager – im Achtelfinale des Schweizer Cups.