Bei einer Referendumsabstimmung über das geplante Sparpaket für die Bundeskasse könnte das Volk nur Ja oder Nein zum Gesamtpaket sagen. Der Fall liegt indes anders als der umstrittene Kuhhandel zum Paket Firmensteuern/AHV.
Man stelle sich folgendes Traktandum an einer Generalversammlung von Firmenaktionären vor: «Wahl von Fritzli Meier in den Verwaltungsrat und Erhöhung der Dividende von 10 auf 20 Franken.» Die Aktionäre wären über diese Verknüpfung kaum erfreut: Sie hätten zwar gerne die höhere Dividende, doch sie bekämen diese nur, wenn sie den eher unbeliebten Fritzli Meier in den Verwaltungsrat wählen.
Laut Gesetz wäre eine solche Verknüpfung verboten, weil sie die freie Willensäusserung der Aktionäre untergräbt. Das Parlament hat dieses Verbot per Anfang 2023 sogar ausdrücklich ins Obligationenrecht geschrieben. «Der Verwaltungsrat stellt sicher, dass die Verhandlungsgegenstände die Einheit der Materie wahren», heisst es im massgebenden Artikel (OR 700).
In eigener Sache sieht es das Parlament zuweilen lockerer. Ein Lehrbuchbeispiel lieferte die Abstimmungsvorlage von 2019 mit der Verknüpfung einer Reform der Firmensteuern mit Zusatzmilliarden für die AHV. Das Volk nahm das Gesamtpaket an, konnte sich aber nicht zu den beiden Themen einzeln äussern. Es braucht viel Phantasie, um einen sachlichen Zusammenhang zwischen den beiden Themen zu sehen.
Dickes Bündel
Die Architekten des Deals hatten zu Beginn klar gemacht, dass die Verknüpfung rein politisch begründet war; erst später folgten abenteuerliche Rechtfertigungsversuche. Ein Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz äusserte sich damals kritisch zur Verknüpfung, doch am Ende scheinen politische Erwägungen die juristischen Einwände übersteuert zu haben. In den Schlussfolgerungen sprach das Papier von einem «Grenzfall» und bezeichnete die Vorlage als «vertretbar». Das Bundesgericht hatte 2011 eine ähnliche Verknüpfung im Kanton Neuenburg (Reform der Firmensteuern mit Ausbau der Kindertagesstätten) «mangels eines sachlichen inhaltlichen Zusammenhangs» als unzulässig erachtet.
Die Kontroverse zur Sanierung der Bundeskasse wirft nun wieder die Frage auf, ob die Volksrechte gefährdet sind. Das vom Bundesrat vorgeschlagene Paket würde für rund 40 Massnahmen Gesetzesänderungen bedingen. AHV, Krankenkassenprämien, Landwirtschaft, Hochschulen, Asylbewerber und viele andere Themen kommen vor. Bei einer Referendumsabstimmung über den geplanten Sammelerlass könnte das Volk nur Ja oder Nein zum Ganzen sagen.
Die Bundesverfassung verlangt ausdrücklich die Einheit der Materie bei Teilrevisionen der Verfassung. Zu Gesetzen äussert sich die Verfassung nicht direkt. Doch sie garantiert in einem weiteren Artikel die unverfälschte Stimmabgabe der Bürger. Das Bundesgericht und ein grosser Teil der Lehre leiten daraus das Gebot der Einheit der Materie auch für Gesetze ab. Die Spielräume könnten für Gesetze indes grösser sein als für Verfassungsänderungen. Das Bundesgericht kann mangels Verfassungsgerichtsbarkeit keine Bundesgesetze aufheben. Trotzdem ist das Parlament an die Verfassung gebunden.
Wie fast alles im Leben ist auch die Einheit der Materie eine Frage des Masses. Kaum jemand käme auf die Idee, jedes Gesetz mit mehr als einem Artikel schon als unzulässig zu betrachten, nur weil die Stimmbürger zu unterschiedlichen Artikeln unterschiedliche Meinungen haben könnten. Entscheidend ist im Prinzip laut dem Bundesgericht und der Lehre, ob die einzelnen Teile einer Gesetzesrevision einen genügenden inneren Zusammenhang haben.
Eine Materie pro Gesetz
«Ein Erlass soll nur eine Materie regeln», sagt der Gesetzgebungsleitfaden des Bundes. Und: «Die Stimmberechtigten dürfen (im Fall eines fakultativen Referendums) nicht gezwungen werden, mit einer einzigen Frage zu verschiedenen Regelungen Stellung zu nehmen, die sachlich nicht voneinander abhängig sind.»
«Der sachliche Zusammenhang darf nicht bloss künstlich, subjektiv oder rein politisch sein», betonte 2013 der emeritierte Staatsrechtsprofessor Georg Müller in einem Aufsatz. Wo die Grenze liegt, lässt sich nicht genau sagen. Es gibt Beurteilungsspielräume. Die vom Volk am Sonntag abgelehnte Pensionskassenreform enthielt viele einzelne Bestimmungen, doch das gemeinsame Oberthema «Berufliche Vorsorge» genügte wohl als gemeinsames Dach für die Wahrung der Einheit der Materie. Das gilt auch für viele andere Gesetzesprojekte des Parlaments.
Gilt das auch bei Sammelerlassen für Sparpakete des Bundes? Zumindest ist es gängige Praxis. Ein früherer Bundesjurist betont, dass es schon in den 1990er- und 2000er-Jahren Sammelerlasse zu Sparpaketen gegeben habe, und man damals wegen des gemeinsamen Oberziels «Sanierung der Bundesfinanzen» die Einheit der Materie jeweils als gewahrt betrachtet habe.
Ein jüngeres Beispiel ist der vom Parlament 2015 beschlossene Sammelerlass zur Sanierung des Bundeshaushalts, der die Änderung von sechs Bundesgesetzen umfasste. Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft zum Paket die Frage der Einheit der Materie salopp in einem Satz abgehandelt: «Dieses Vorgehen ist aufgrund des einheitlichen Zwecks der verschiedenen Massnahmen (Aufgabenüberprüfung und Entlastung des Haushalts) gerechtfertigt.»
Nicht alle waren damals so sicher. Es falle schwer zu beurteilen, ob der Sammelerlass zum Sparpaket den Grundsatz der Einheit der Materie erfülle, schrieb der Staatsrechtler Georg Müller. Der Bundesrat hätte sich laut Müllers damaliger Analyse mit weit mehr als nur einem Satz über dieses Thema auslassen sollen. Doch später hat die Regierung auch beim Stabilisierungsprogramm 2017-2019 einen Sammelerlass in ähnlicher Kürze rechtfertigt.
«Sparprogramme sind der klassische Fall, in dem wegen des gemeinsamen Oberziels die Einheit der Materie gemeinhin akzeptiert wird», sagt auf Anfrage der Staatsrechtsprofessor Felix Uhlmann von der Universität Zürich. Die Grenzen sind indes fliessend. «Das Bundesgericht hält Sammelvorlagen für zulässig, wenn die mit den einzelnen Vorlagen verfolgten Zwecke im Verhältnis zum Zweck der Sammelvorlage von untergeordneter Bedeutung sind», erklärte Rechtsprofessor Paul Richli 2023 in einem Gutachten.
Bedeutung der Einzelstücke
Das von der Regierung nun angestrebte Paket wäre gemessen an der Zahl der Gesetzesänderungen besonders umfangreich. Würde der Sammelerlass im Namen der Haushaltssanierung zum Beispiel einen fundamentalen Umbau der Landwirtschaftspolitik oder der Klimapolitik enthalten, wäre dafür eine separate Vorlage geboten, sagt ein befragter Jurist. Die Grundfrage hier: Gibt es Elemente des Pakets, die für sich selber so bedeutend sind, dass ein separates Meinungsäusserungsrecht der Bürger angebracht wäre? Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet.
Fragen zur Einheit der Materie wirft auch die im Ständerat steckende Motion für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV und der Armee auf. Hier kann man kaum von der Steuererhöhung als gemeinsamem Oberzweck sprechen. Ein genügender sachlicher Zusammenhang zwischen AHV und Armee ist nicht ersichtlich. Eine Verknüpfung wäre deshalb laut dem Staatsrechtler Felix Uhlmann problematisch.
Immerhin: Der Vorstoss verlangt ausdrücklich, dass man die gewünschten Steuererhöhungen für die beiden Zwecke nicht miteinander verknüpft. Doch vergangene Woche kam im Ständerat auch die Idee auf, die beiden sachfremden Zwecke miteinander zu verbinden um die Chancen zu erhöhen – nach dem Muster der Vorlage Firmensteuern/AHV. Der Ständerat schickte die Motion zur genaueren Prüfung in seine Finanzkommission. Fortsetzung folgt.