Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs geht Washington mit aller Härte gegen mutmassliche Helfer des russischen Regimes vor. Kritiker sehen die Souveränität der Schweiz gefährdet.
Im Rückblick scheint es, als hätten die beiden Amerikaner das alles so geplant, als sie am frühen Abend des 30. Oktobers in Zürich vor einen Saal voller Bankjuristen treten.
Die Referenten sind auf Einladung des Europainstituts der Universität Zürich aus Washington angereist: Michael Lieberman, stellvertretender Direktor beim Office of Foreign Assets Control (Ofac), und der Rechtsanwalt Jason Prince, vormaliger Chefjurist dieses Office.
Ofac, das ist die mächtigste Sanktionsbehörde der Welt.
Die beiden halten im Restaurant Metropol in der Nähe des Paradeplatzes einen Vortrag zum Thema «Sekundärsanktionen und ihre Auswirkungen auf Nicht-US-Unternehmen», als auf den Smartphones vieler Zuhörer Push-Meldungen erscheinen. «Swiss Lawyers Hit by US Sanctions for Hiding Dirty Russian Money», titelt die Nachrichtenagentur Bloomberg. Schweizer Anwälte hätten schmutziges russisches Geld versteckt. Und jetzt stehen sie auf der Sanktionsliste der Ofac.
Das Timing ist Zufall, aber perfekt. Der Schock sitzt. Jeder der Anwesenden weiss: Für Zürcher Anwälte bedeutet das nichts Gutes. Wer als Unternehmen oder Einzelperson auf der Sanktionsliste des amerikanischen Finanzministeriums landet, steht vor dem finanziellen Ruin.
Ein Druckmittel, gegen das niemand ankommt
Seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 geht die US-Regierung mit aller Härte gegen alle Akteure vor, die aus ihrer Sicht das russische Regime unterstützen. Dazu gehören auch Schweizer Banken und Anwälte.
Um die Finanzwelt auf ihre Linie zu bringen, setzen die Amerikaner eine Waffe ein, gegen die niemand ankommt: den Dollar. Wenn eine Bank, ein Anwalt oder eine Person sich in den Augen der USA nicht an die Sanktionen hält, können sie die Fehlbaren kurzerhand vom Dollar-Geschäft ausschliessen.
Faktisch wird man damit vom globalen Zahlungsverkehr abgeschnitten, denn ohne Dollar läuft in der Weltwirtschaft nichts. Für mit Sanktionen belegte Unternehmen bedeutet die Massnahme meist den Konkurs und für Privatpersonen die Bedrohung ihrer Existenz.
Um nicht selbst ins Visier der Amerikaner zu geraten, setzen Schweizer Banken darum die Sanktionen der Vereinigten Staaten jeweils in Windeseile um. Sie sperren Bankkonti und kündigen Kreditkarten der mit Sanktionen belegten Kunden – auch wenn diese in der Schweiz auf keiner offiziellen Sanktionsliste stehen.
Die betroffenen Kunden können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, werden betrieben und wirtschaftlich isoliert. Experten sprechen von einer «finanziellen Todesstrafe». Selbst die staatliche Postfinance, die in der Schweiz eigentlich einen Grundversorgungsauftrag hat, bemüht sich darum, solche Kunden loszuwerden.
Kritiker sehen vor diesem Hintergrund die Souveränität der Schweiz gefährdet: Die USA zwängten der Schweiz und ihrem Finanzplatz ihr Recht auf. Mit ihrer Drohkulisse unterwanderten die Amerikaner den Rechtsstaat von befreundeten Ländern, die im Ukraine-Krieg eigentlich auf derselben Seite stünden. Und die Schweizer Behörden liessen die Amerikaner gewähren.
Das Gegenargument lautet: Der Souveränitätsverlust ist im Vergleich mit dem Leid der ukrainischen Bevölkerung ein kleines Opfer. Zudem ist die Schweiz keine Insel.
Zwei Anwälte stehen vor den Trümmern ihrer Karriere
Was es bedeutet, als Einzelperson vom Bannstrahl der USA getroffen zu werden, erleben die Anwälte Andres Baumgartner und Fabio Delcò derzeit am eigenen Leib. Es sind ihre Namen, die seit dem 30. Oktober auf der Sanktionsliste der USA stehen.
Sie betreuen in ihrer Anwaltskanzlei im Zürcher Kreis 1 seit Jahrzehnten vornehmlich Russisch sprechende Kunden. Erstmals weltweite Bekanntheit erlangten sie im Rahmen der Affäre um die Panama-Papers im Jahr 2016. Der «Guardian» behauptete damals, ihre Kanzlei habe einem russischen Cellisten beim Verstecken von Wladimir Putins Millionen in Offshore-Konstrukten geholfen.
Andres Baumgartner und Fabio Delcò bestreiten dies genauso wie den Vorwurf der Ofac, sie hätten mit Sanktionen belegte Russen bei der Umgehung der amerikanischen Sanktionen unterstützt. «Wir werden bestraft, weil wir russische Kunden betreut haben», sagt Baumgartner. «Es gab gegen uns nie ein Straf- oder Disziplinarverfahren, geschweige denn eine Verurteilung. Weder in der Schweiz noch in den Vereinigten Staaten.»
Das Schicksal ihrer Anwaltskanzlei mit einem Personalbestand von achtzehn Personen scheint dennoch besiegelt. Die Banken haben ihre Konten mit Sperrungen belegt. Blockiert sind auch Dutzende Konten von Kunden, bei denen die beiden Anwälte über Vollmachten oder Unterschriftsberechtigungen verfügen. «Wir sind daran, unsere Tätigkeiten geordnet herunterzufahren», sagt Baumgartner. Das Ziel sei jetzt, alles abzuwickeln, Löhne, Miete und andere Rechnungen zu bezahlen. Sie seien vom Goodwill der involvierten Banken abhängig, denn eine Zivilklage gegen die Finanzinstitute würde Jahre dauern.
Der Ärger der Anwälte ist gross. Baumgartner sagt, es gehe den Amerikanern schon lange nicht mehr nur um die Durchsetzung der Sanktionen, sondern darum, die Macht des eigenen Finanzplatzes zu zementieren und den Schweizer Finanzplatz zu schwächen. Die hiesigen Banken fungierten als Vollstrecker der Amerikaner. Das Resultat sei, dass das Vertrauen in den Schweizer Finanzplatz und in das Rechtssystem zunehmend erodiere.
Wirtschaftspolitischer Machtkampf
Dass die mit Sanktionen belegten Anwälte das sagen, ist keine Überraschung. Sie sind aber nicht allein mit ihrer Ansicht. Auch der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli sagt, es gehe ein wirtschaftspolitischer Machtkampf von Washington aus. Früher hätten die USA ihre weltweiten Interventionen mit dem Kampf gegen Drogenhandel und Korruption begründet, heute mit Sanktionen gegen Russland. «Letztlich geht es ihnen darum, die globalen Finanzmärkte unter ihre Kontrolle zu bringen.»
Dabei stünden besonders kleinere Staaten wie die Schweiz unter Druck, ihre Autonomie aufzugeben. «Aus einer Risikoperspektive ist das Vorgehen der Banken daher verständlich, aus einer rechtsstaatlichen Perspektive ist es aber katastrophal», sagt Niggli.
Peter V. Kunz, Rechtsprofessor an der Universität Bern, spricht ebenfalls von einem Souveränitätsproblem. Er halte die extraterritoriale Wirkung der amerikanischen Sanktionen für heikel aus Sicht des Schweizer Rechtsstaates. Gleichzeitig sei er ein Realist: «Eine Grossmacht wie die USA kann machen, was sie will.»
Mit dieser Realität hat sich auch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) arrangiert. Die Behörde hält die Banken seit Jahren an, die amerikanischen Sanktionen zu befolgen, selbst wenn diese von der Schweiz nicht übernommen worden sind.
Als Grund nennt die Finma jeweils die grossen Rechts- und Reputationsrisiken, die es sich mit sich bringt, wenn ein Schweizer Finanzinstitut den Willen Washingtons missachtet. Vor wenigen Tagen warnte die Aufsichtsbehörde in ihrem Risikomonitor: Je länger [der Krieg und] die Sanktionsregime anhielten, desto grösser sei die Wahrscheinlichkeit, dass mit Sanktionen belegte Personen und Unternehmen die Sanktionsbestimmungen umgingen. «Vor diesem Hintergrund steigen die damit einhergehenden Risiken für Finanzintermediäre.»
Die Europäische Union hat in der Vergangenheit aus Souveränitätsüberlegungen versucht, EU-Unternehmen unter Bussenandrohung von der Einhaltung von amerikanischen Sanktionen abzuhalten. Ohne Erfolg. Zu gross sei die Drohkulisse aus Washington, sagt Sascha Lohmann, Politikwissenschafter und USA-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Wenn man sich jetzt die letzten zehn, zwanzig Jahre anschaue, zeige sich, dass die Amerikaner den Dollar als Instrument zur Durchsetzung von Finanzsanktionen immer häufiger einsetzten, sagt Lohmann. «Das erwarte ich auch unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump.» Es sei zwar ein Szenario denkbar, in dem die Sanktionen gegen Russland gelockert und jene gegen China verschärft würden. «Doch dann wären Schweizer und europäische Unternehmen sehr schnell wieder in derselben Zwickmühle.»
Keine Strafe – nur eine Anregung zur Verhaltensänderung
Als die Ofac-Vertreter Michael Lieberman und der Anwalt Jason Prince ihren Vortrag am 30. Oktober beendet haben, beginnt die Fragerunde im Saal des Restaurants Metropol. Sie steht im Zeichen der Sanktionen gegen die Anwälte Andres Baumgartner und Fabio Delcò.
Ein Zürcher Rechtsanwalt im Publikum meldet sich und will wissen, ob die finanzielle Ächtung von mit Sanktionen belegten Personen Teil der Strategie der Behörde sei. Er erhält eine ausweichende Antwort. Das sei aber keine Überraschung, sagt er nach dem Anlass: Die Ambiguität sei Teil der Strategie der Sanktionsbehörde. Auf der Website der Ofac heisst es passend dazu: «Das Endziel von Sanktionen besteht nicht darin, zu bestrafen, sondern darin, eine positive Verhaltensänderung herbeizuführen.»