Die Preisexplosion am Markt für Kakaobohnen stellt selbst die Themen künstliche Intelligenz und Kryptowährungen in den Schatten. Was steckt dahinter?
Künstliche Intelligenz (KI) und das bevorstehende Bitcoin-«Halving»: Das sind die zwei Themen, die an den Finanzmärkten seit Monaten für Euphorie sorgen. Die Aktien des Chipdesigners Nvidia – seine Produkte sind für KI-Anwendungen unerlässlich – führen mit einem Kursgewinn von 82% seit Anfang Jahr die Bestenliste im Nasdaq-100-Index an. Bitcoin (+68%) notiert mit leicht über 70’000 $ derweil nahe am Allzeithoch.
Doch der eigentliche Performance-Star des Jahres hat nichts mit KI und Kryptowährungen zu tun – sondern vielmehr mit zwei Ländern in Westafrika und den Eigenheiten der Märkte für Rohstoff-Kontrakte: Kakao.
Der Preis für die braunen Bohnen hat sich, gemessen am jeweils aktiven Terminkontrakt, seit Anfang Jahr mehr als verdoppelt und damit sowohl Nvidia als auch Bitcoin um Längen geschlagen.
Diese Woche, quasi rechtzeitig vor Ostern, kletterte der Preis an der Intercontinental Exchange (ICE) in New York erstmals auf über 10’000 $ je Tonne. Das entspricht im Jahresvergleich einer Vervierfachung und dem kräftigsten Preisanstieg seit mehr als fünfzig Jahren.
Was steckt dahinter?
Unmittelbarer Auslöser für den Preisanstieg ist eine akute Knappheit im Angebot von Kakaobohnen. Schlechte Wetterbedingungen haben in den Anbauregionen Westafrikas – primär in Côte d› Ivoire und Ghana – bereits zum dritten Jahr in Folge zu erheblichen Ernteausfällen geführt. Die beiden Länder sind für mehr als zwei Drittel der weltweiten Kakaoproduktion verantwortlich. Javier Blas, der Rohstoffspezialist von Bloomberg, rechnet damit, dass dieses Jahr zwischen Angebot und Nachfrage eine Lücke von bis zu 500’000 Tonnen klafft, was rund 10% der globalen Produktion entspricht; so gross war die globale Angebotslücke im Kakaomarkt seit mindestens 65 Jahren nicht mehr.
Ein Teil des Problems liegt in der Struktur der Produktion: Kakao wird meist von Kleinbauern angebaut, die nahe am Existenzminimum leben. Ihre Verkaufspreise sind streng staatlich kontrolliert, was dazu führt, dass den Bauern das Kapital für grössere Investitionen fehlt. Die meisten Kakaobäume in der Region sind gemäss Blas schon mehr als 20 Jahre alt und haben die ertragreichsten Zeiten längst hinter sich.
Nachschusspflichten lösen Preisspirale aus
Doch die physische Angebotsknappheit erklärt nur einen Teil des Preisanstiegs. Der andere Teil liegt im Markt für standardisierte Terminkontrakte (Futures): Die Händler von Kakaobohnen und Halbfabrikaten wie beispielsweise Kakaobutter halten in der Regel physische Lagerbestände, das heisst, sie sind «long» den physischen Rohstoff. Um diese Position gegen einen möglichen Preiszerfall abzusichern, verkaufen die Händler die Ware auf Termin, das heisst, sie sind «short» den jeweiligen Futures-Kontrakt.
In Zeiten normaler Bedingungen an den Rohstoffmärkten funktioniert diese Absicherung problemlos. Mit dem explosiven Anstieg der Kakaopreise geraten die Händler aber in Schwierigkeiten: Zwar profitieren sie auf der einen Seite von der Wertsteigerung ihrer physischen Lagerbestände, aber ihr Termin-Short ist nicht mehr gedeckt. Der Händler erhält einen «Margin Call» und muss vordefinierte Nachschusspflichten leisten, um die Bedingungen seines Futures-Kontrakts weiter zu erfüllen.
Diese Nachschussforderungen können die finanziellen Möglichkeiten der Händler übersteigen und sie in akute Finanznöte bringen. Für einzelne Marktteilnehmer kann es dann sinnvoller sein, die Short-Position zu decken und den Futures-Kontrakt zurückzukaufen – egal, zu welchem Preis.
Doch das wiederum setzt eine verhängnisvolle Spirale in Gang: Je mehr Futures geschlossen werden, desto weiter steigt der Preis, was wiederum andere Spieler im Markt in Schwierigkeiten bringt und sie zwingt, ihre Futures ebenfalls zu schliessen, was den Preis für Kakao-Futures noch weiter nach oben treibt.
Parallelen zur europäischen Strommarktkrise
Eine ähnliche Dynamik spielte sich 2022 nach dem Beginn des russischen Aggressionskriegs auf die Ukraine an den europäischen Elektrizitätsmärkten ab, als die Terminpreise ungebremst in die Höhe schossen. Von aussen betrachtet ist es in diesen Situationen jeweils unmöglich, zu beurteilen, welche Händler wie positioniert sind und sich besser oder schlechter abgesichert haben. In der Schweiz kam Alpiq beispielsweise passabel durch die Krise, während die Konkurrentin Axpo in Schwierigkeiten geriet und präventiv um Staatshilfe bitten musste.
Die grössten Kakaohändler sind gemäss Bloomberg die in Singapur beheimatete Olam International mit einem Marktanteil von 17%, die amerikanische Cargill (12%), die schweizerische Barry Callebaut (11%) und das französische Traditionshandelshaus Touton (6%). Die restlichen gut 50% des Marktes entfallen auf diverse kleinere Händler.
Erst wenn sich der Staub der jüngsten Preisexplosion gelegt hat, wird zu sehen sein, wer die Gewinner und wer die Verlierer waren. Sicher sind derzeit nur zwei Dinge: Osterhasen dürften im kommenden Jahr deutlich teurer werden. Und: Die Kleinbauern in Westafrika werden wenig vom Preisanstieg ihrer Produktion sehen. Gemäss Bloomberg erhalten sie von ihren staatlichen Abnehmerorganisationen umgerechnet fix 1630 $ pro Tonne Kakaobohnen. Das sind weniger als 20% des gegenwärtigen Marktpreises.