Über Jahrzehnte hinweg hat sich ein Pfarrer an Kindern vergangen. Jetzt liegt er tot im Wohnwagen. Beklemmend arbeitet der Sonntagabendkrimi einen wahren Missbrauchsfall in der katholischen Kirche auf.
Er hat seine Partnerin verloren. Hat sie alleingelassen. Das schlechte Gewissen treibt ihn um. Albträume. Ein ruhiger Ort soll den Mann von den dunklen Gedanken abbringen, soll ihn weglocken von der Trauer. Er will sich seine Einsatzbereitschaft bescheinigen lassen, es für den Arbeitgeber schwarz auf weiss haben, dass er wieder diensttauglich sei. Die Kirche soll es richten. Der Atheist Falke (Wotan Wilke Möhring) zieht in ein Kloster, ausgerechnet.
Hier findet er einen Freund – und das Grauen, das sich in jeder Pore seines Gesichtes festsetzt. Schnell ist es vorbei mit der Stille. Ohnehin hat sie diesen Ort der falschen Idylle erst zu dem gemacht, als den ihn Falke vorfindet. Einen Ort der Gewalt, des Systems aus Vertuschen, Verheimlichen, Vergessen. Doch auch nach Jahrzehnten lässt sich nichts vergessen.
Er wünscht alle zum Teufel
Der «Tatort» der Bundespolizei macht klar und offen deutlich, dass die Debatte um Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche längst nicht zu Ende ist. «Schweigen» zeigt einen wahren Fall, der sich zwar nicht in Hamburg, aber ähnlich im Saarland zugetragen hat und der immer noch vor Gericht verhandelt wird. Es geht um einen Pädophilenring der Kirchenmänner. Und vor allem um das Schweigegelübde, das noch heute über dem Gesetz steht. Ein Gelübde, das Menschen bricht. Falke kann nur laut brüllen und alle zum Teufel wünschen.
Da ist Daniel (bestens besetzt mit Florian Lukas), sein neuer Kumpel. In schlabberiger Kleidung mit viel zu langen Ärmeln läuft er übers Kirchengelände, stets gebeugt und auf der Hut. Mit kaum etwas kommt er zurecht. Nicht mit dem Job, nicht mit der Frau, nicht mit dem Sohn. Nicht mit dem Leben. Vor 30 Jahren war er schon einmal in diesem Kloster, wo er nun mit Falke das Zimmer teilt. Freunde . . . Das ist ein Novum für Daniel.
Dann, eines Nachts, liegt der Pfarrer tot in seinem Wohnwagen. Verbrannt. Wie einst auch Daniels betrunkener Vater. Schon wirft sich Falke die Lederjacke über und ermittelt. Obwohl, die Ermittlungen leitet zunächst die blasse wie stocksteife Kommissarin Eve Pötter (Lena Lauzemis). Sie bekreuzigt sich, wenn sie die Kirche betritt, und versichert allen, wie gut doch der Pfarrer gewesen sei. Auch zu ihren Kindern, die – wie einst Daniel – beim Pfarrer Fussball trainierten. Aber der «gute Mensch», das muss auch Pötter bald feststellen, war ein Monster. Über Jahrzehnte hinweg hatte er Kinder in seinen Wohnwagen gebeten und auf Dia über Dia sein Vergehen an ihnen dokumentiert. Auch Fotos von Pötters Sohn Lukas finden sich.
Die Kirche schweigt
Fast wie ein Kammerspiel inszeniert Lars Kraume den beklemmenden Fall. «Schweigen» spielt in vollgestellten Kirchenkellern, in schummrigen Kirchenzellen. Dunkle Celloklänge dringen in die Tristesse, die sich hinter dicken Gardinen und halb heruntergelassenen Jalousien breitgemacht hat. Manchmal aber muss auch der Zuschauer ins grelle Licht des Diaprojektors blicken, wird geblendet, wendet sich ab.
Dieser Fall der Bundespolizei zeigt nicht das Grauen. Es zeigt die Reaktionen der Menschen, ihre Gesichter, das entsetzte Aufschreien, zeigt, wie ihnen Gegenstände aus den Händen fallen, wenn sie einen Blick auf die fast verblichenen Dias werfen. Auch von Daniel findet Falke Dias. Die Kirche aber schweigt. Beharrlich. Wie sie das all die Jahre getan hatte, selbst wenn einige Kirchenmänner immer wieder am nun getöteten Pfarrer zweifelten. Passiert war wenig. Auch jetzt ist es nicht viel. Die Täter und die Wissenden winden sich heraus. Harte Kost am ersten Advent.
«Tatort» der Bundespolizei: «Schweigen», am Sonntag, 20.05/20.15 Uhr, SRF/ARD.