Der Präsident der Stiftung Landschaftsschutz wehrt sich gegen den Vorwurf, die Energiewende zu blockieren. Bei seiner eigenen Partei stellt der langjährige FDP-Nationalrat eine Verengung fest.
Herr Fluri, die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz opponiert immer wieder gegen Wind-, Sonnen- und Wasserkraftwerke. Haben Sie eigentlich etwas gegen die Energiewende?
Nein. Wir unterstützen den Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir finden aber, dass die Interessenabwägung, die verfassungsmässig abgestützt ist, bei den einzelnen Projekten nicht durch politische Entscheide abgekürzt werden darf. Die Interessenabwägung ist Sache der Verwaltung und später des richterlichen Ermessens. Sie darf nicht aus zeitgeistigem Opportunismus abgewürgt werden. Im Übrigen haben wir bloss wenige Einsprachen gegen Energieprojekte gemacht.
Wo sehen Sie «zeitgeistigen Opportunismus» am Werk?
Zum Beispiel bei den Expressvorlagen, die das Parlament in den letzten Jahren verabschiedet hat. Beim Solarexpress zeigt sich, dass die Projekte wegen ganz banaler Probleme nicht wie geplant realisiert werden können. In Gondo und Grengiols hat man schlicht vergessen, dass der Strom abtransportiert werden muss. Auch hat man mittlerweile erkannt, dass es auf einer Alp nicht so einfach ist, die Solarpanels auf Ständern zu befestigen, wie im Flachland. Das Projekt Grengiols musste deshalb um zwei Drittel redimensioniert werden. Zurück bleibt der Eindruck, dass diese Projekte morgens um zwei Uhr in einer Bar in Brig entstanden sein müssen.
Der Solarexpress wurde mitten in der Energiekrise vom Parlament beschlossen. Mit ihm sollte ein Stromengpass im Winter verhindert werden.
Je drängender die Umstände sind, desto besser sollte man überlegen. Im Herbst 2022, als der Solarexpress verabschiedet wurde, ging man davon aus, dass es 2027 zu einem Engpass kommen könnte. Das ist rechtlich gesehen keine Notsituation! Trotzdem haben einige Politiker die Vorlage in einer Session durchgepeitscht. Das ist alles andere als seriös. Es erinnert an die Zeit kurz vor dem Zweiten Weltkrieg, als die Schweiz das Notstandsregime einführte. Nun denken einige Politiker offenbar schon an einen Kernenergieexpress, wo man ebenfalls die Volksrechte und den Rechtsweg einschränken möchte. Nichts davon ist der Sachlage angemessen.
Wären denn neue Kernkraftwerke die bessere Lösung?
Ich war immer ein Anhänger der Kernenergie, auch nach Fukushima bin ich nicht umgefallen. Heute zeigt sich, dass der Atomausstieg ein Fehler war. Man hat unverständlicherweise das Kernkraftwerk in Mühleberg stillgelegt, statt nachgerüstet. Hinzu kommt: Die Endlagerung des radioaktiven Abfalls ist wissenschaftlich gelöst, nur politisch nicht. Auch ich weiss jedoch: Bis neue Reaktoren gebaut werden können, wird es sehr lange dauern. Und es wird sehr teuer werden. Vorläufig müssen wir deshalb immer mehr Atomstrom importieren. Das ist die Schizophrenie, in der wir leben.
Wäre das die ideale Welt des Landschaftsschützers Kurt Fluri: keine Windräder und keine Solarparks, dafür neue Kernkraftwerke?
Nein. Wir sind auch nicht gegen den Ausbau der Windkraft. Von uns hängig sind bloss zwei Beschwerden: Die eine betrifft den Windpark Burg-Kienberg im Grenzgebiet zwischen den Kantonen Aargau und Solothurn, bei dem es auch starken Widerstand in der lokalen Bevölkerung gibt. Die andere geht gegen einen Windpark auf der Chasseral. Dort wenden wir uns gegen das Projekt, weil es auf der Krete der ersten Jurakette steht, was wir ablehnen. Diverse andere geplante Anlagen unterstützen wir. Bei den Solaranlagen bekämpfen wir nur die Anlagen in Gondo, Grengiols und Morgeten. Bei der Wasserkraft haben wir gar kein Rechtsmittel hängig.
Ihre Stiftung hat auch die Unterschrift für die gemeinsame Erklärung des runden Tisches Wasserkraft verweigert, die den Ausbau von Wasserkraftprojekten vorsieht.
Es gibt eine gefestigte Praxis des Bundesgerichts, die besagt, dass erstmalige und einsehbare Projekte in der Interessenabwägung negativ gewertet werden. Beim geplanten Stausee am Gornergletscher handelt es sich um einen solchen Eingriff in eine noch unberührte Gletscherlandschaft. Darum entschieden wir uns, diese Erklärung nicht zu unterzeichnen. Die 14 übrigen Projekte – inklusive Trift und Grimsel – unterstützen wir hingegen.
Das Projekt «Gornerli» oberhalb von Zermatt ist das wichtigste Ausbauprojekt bei der Wasserkraft. Mit ihm könnten bis zu 150 000 Haushalte im Winter mit Strom versorgt werden. Rechtfertigt dies den Eingriff in die Natur nicht?
Diese Frage stellt sich noch nicht konkret. Gegenwärtig befindet sich das Projekt erst im Stadium der Vorstudie. Man muss allerdings auch die Verhältnisse sehen: Im Winter werden uns mittelfristig 20 Terawattstunden (TWh) Strom fehlen. Der Stausee am Gornerli würde jährlich bloss 0,65 TWh Winterstrom liefern. Das Projekt hat also nicht den Stellenwert, den man ihm zumisst.
Trotzdem haben Sie viel Unmut ausgelöst mit der Ankündigung, dass Sie gegen das Projekt «Gornerli» mit Einsprachen vorgehen werden.
Das hat die NZZ so interpretiert. Doch das stimmt nicht. Wir haben bloss erklärt, dass wir das Projekt «streng prüfen» werden, da es sich um einen erstmaligen Eingriff in eine unberührte Landschaft handelt. Damit betrifft es den Kerngehalt unseres Stiftungszweckes.
Werden Sie das Projekt nun auf juristischem Weg bekämpfen oder nicht?
Wenn das Bauprojekt dereinst in Zermatt aufliegt, werden wir wahrscheinlich Einsprache einreichen, da es sich um einen erstmaligen Eingriff handelt. Entscheidend ist jedoch immer das konkrete Projekt. Je nach Ausgestaltung der im Stromgesetz vorgeschriebenen Ausgleichsmassnahmen kann von einem Weiterzug abgesehen werden. Ob wir den Rechtsmittelweg ausschöpfen, hängt von diesen Umständen ab. Wir wollen nicht ein Projekt verzögern, das absehbar bewilligt wird. Nur wenn wir uns einen sachlichen Erfolg versprechen, werden wir rekurrieren.
Das «Gorneli» wurde gesetzlich im neuen Stromgesetz verankert, das mit fast 70 Prozent Ja-Stimmen angenommen wurde. Weshalb respektieren Sie den Volkswillen nicht?
In den Abstimmungsunterlagen steht ausdrücklich, dass die im Stromgesetz verankerten erleichterten Bedingungen für den Bau solcher Projekte nicht bedeuten, dass Anlagen in jedem Fall bewilligt werden. Vielmehr müssen diese nach wie vor einzeln beurteilt und genehmigt werden. Wir akzeptieren, dass durch die Aufnahme dieser Wasserkraftprojekte in das Gesetz deren Überprüfung durch Gerichte eingeschränkt ist. Ausgeschlossen ist sie deswegen aber nicht. Auch in der gemeinsamen Erklärung zum runden Tisch ist die Beurteilung des Einzelfalls ausdrücklich vorbehalten.
Im Parlament könnte das Festhalten der Umweltverbände an Beschwerden gegen Energieprojekte nun dazu führen, dass das Verbandsbeschwerderecht eingeschränkt wird. Bürgerliche Politiker werfen Ihnen vor, dieses Recht zu missbrauchen.
Ein Missbrauch liegt vor, wenn zum Beispiel ein privater Eigentümer Einsprache erhebt, weil der Nachbar bauen will – ausser dieser bezahlt ihm etwas. Oder wenn wir Beschwerde einreichten in einer Angelegenheit, die nicht zu unserem Stiftungszweck gehört. Das haben wir aber nie getan. Und wir können dies belegen. Seit 2014 haben wir in 70 Prozent von durchschnittlich 46 Einsprachen recht behalten. Entweder wurde diese gutgeheissen und das Projekt zumindest teilweise abgelehnt– oder das Projekt musste schliesslich verbessert werden. Der Missbrauchsvorwurf entbehrt daher jeglicher Grundlage.
Der Vorstoss zur Einschränkung des Verbandsbeschwerderechts stammt von Vertretern der FDP, Ihrer Partei.
Das tut mir leid. Doch der Vorschlag, dass nur noch Verbände mit über 50 000 Mitgliedern beschwerdeberechtigt sind, ist reine Willkür. Pro Natura und WWF könnten wohl weiterhin Beschwerde einreichen, wir aber nicht, weil wir als Stiftung gar keine Mitglieder haben. Ein anderer Vorschlag will die Verbände bei den Projekten des runden Tisches gleich ganz ausschliessen. Solche Vorschläge widersprechen dem Gesetz und basieren auf einem utilitaristischen Verfassungsverständnis: Man beachtet die Verfassung nur noch, so weit sie einem dient. Das ist rechtsstaatlich unhaltbar.
Ursprünglich hatte die FDP einen ökoliberalen Flügel. Heute scheint er nicht mehr zu existieren. Bedauern Sie das?
Ja. In der Partei hat eine thematische Verengung stattgefunden. Die Gründer des Schweizer Heimatschutzes, des früheren Naturschutzbundes (heute Pro Natura), sowie der Stiftung Landschaftsschutz waren alles Freisinnige. Ihnen allen war es ein Anliegen, die intakte Natur, die Landschaft und die historischen Ortsbilder zu erhalten. Diese Zeiten sind leider vorbei.
Gibt es Bestrebungen, diesen Teil der Partei wieder zu stärken?
Nein. Ich selber war ja auch bloss eine Randfigur in der Schweizerischen Partei. Als Stadtpräsident von Solothurn sowie als Präsident des Städteverbands habe ich mich neben der Biodiversität eingesetzt für den öV, den gemeinnützigen Wohnungsbau, die Kultur und den Schutz des Ortsbildes. Mit all diesen Themen wird man in der Partei zwar – und immerhin – toleriert. Sie sind aber alles andere als zentral, sondern vielmehr eher lästig. So ist auch die Biodiversitätsinitiative bloss oberflächlich behandelt worden.
Viele Ihrer Parteikollegen kritisieren, dass neue Infrastrukturbauten heute kaum mehr möglich sind, weil die Schutzorganisationen sie blockieren. An Ihrer Stiftung klebt das Etikett «Verhinderer». Wie wollen Sie dem etwas Positives entgegensetzen?
Häufig ist es möglich, ein Gleichgewicht zwischen Schutz und Nutzung zu finden. Wir arbeiten zum Beispiel sehr gut mit der Axpo zusammen. Das Kraftwerk Mutt bei Linth-Limmern hat das Unternehmen gemeinsam mit uns erarbeitet – ohne eine einzige umweltorientierte Einsprache. Was man aber auch sehen muss: Vielerorts kommt heute der Widerstand von der lokalen Bevölkerung. In Belpmoos etwa opponieren die Bauern gegen das dortige Solarprojekt, das wir unterstützen. Das Gleiche gilt für den Tourismus. In Lauterbrunnen wehren sich die Einheimischen gegen den Übertourismus. Gleichzeitig will die Schilthornbahn ihre Transportkapazitäten erhöhen. An diesen Konflikten sind wir nicht beteiligt.
Das schlechte Image haben Sie trotzdem.
Dieser Eindruck ist falsch. Und er stört mich. Nicht zuletzt die NZZ hat mit einer tendenziösen Berichterstattung dazu beigetragen, dass wir in einem sehr schlechten Licht dastehen. Man hat sich dabei nicht einmal die Mühe gemacht, uns anzuhören oder unsere Erklärungen zu lesen. Doch wir ziehen nun nicht alle Beschwerden zurück, nur damit wir in den Medien wieder gut dastehen. Denn diese sind sehr gut begründet.
Was auffällt bei der Debatte um den Landschaftsschutz: Die Zuwanderung wird stets ausgeklammert. Dabei verstärkt sie den Druck auf die natürlichen Ressourcen massgeblich.
Es gibt zweifellos einen zusätzlichen Bedarf, die Infrastruktur auszubauen. Ich unterstütze deshalb die Vorlage zum Ausbau der Autobahnen, die im November an die Urne kommt. Ebenso unterstütze ich die Erweiterungsschritte des öV. Ich bin aber auch überzeugt, dass eine Verdichtung des bestehenden Siedlungsgebiets ohne grössere Störungen machbar ist. Darum bin ich der Auffassung, dass die Folgen der Zuwanderung für die natürlichen Ressourcen häufig übertrieben dargestellt werden.
Auch bei der Biodiversitätsinitiative bekunden Sie gemäss Umfragen Mühe, eine Mehrheit der Bevölkerung für Ihr Anliegen zu gewinnen.
Das Problem ist, dass die Bewertung von konkreten Projekten häufig positiver ausfällt als die abstrakte Bewertung in Form eines Initiativtextes. Laut einer GfS-Umfrage finden 70 Prozent der Bevölkerung, unser Land brauche mehr Biodiversität. Gemäss der letzten Abstimmungsumfrage unterstützen aber nur 40 Prozent der Bevölkerung unsere Initiative. Mit anderen Worten: Wenn es darum geht, einen verbauten Bach wieder zu öffnen, sind fast alle dafür, weil sie das schön finden. Aber wenn es darum geht, abstrakt den Schutz zu verankern, dann findet man das zu extrem.
Ist das nicht das Problem dieser Initiative: Dass man gar nicht weiss, was sich mit ihr ändern würde?
Vielleicht. Aber das ist das Problem vieler Initiativen. Werden sie konkret und nehmen quasi den Gesetzestext in die Verfassung, kommt der Vorwurf, dass der Gesetzgeber dann keinen Spielraum mehr habe bei der Umsetzung. Auch das kann Abwehrreflexe auslösen. Ist der Initiativtext zu allgemein, heisst es, diese sei zu schwammig.