Der Amerikaner analysiert in Paris die Leistungen der Schwimmer und geniesst die Olympiastimmung mit der Familie. Unterwegs ist Phelps aber mit einer ernsteren Mission. Er will verhindern, dass andere Sportler Abstürze erleben wie er.
Kürzlich schaute Michael Phelps mit seinem vierjährigen Sohn die US-Trials der Schwimmer im Fernsehen. Dieser fragte ihn, ob er noch mithalten könnte. «Wenn ich wollte, wohl schon», antwortete Phelps. «Doch dann wäre ich fast nie mehr zu Hause. Wir würden uns kaum mehr sehen, und ich könnte kein Abendessen mehr für dich machen.» – «Nein, dann will ich das nicht», entgegnete der Sohn. Das gemeinsame Znacht zur immergleichen Zeit ist im Hause Phelps heilig.
Phelps erzählt die Anekdote bei einer Medienrunde im Haus eines Sponsors in Paris, als er zu dem Gerücht befragt wird, dass er nochmals ein Comeback plane. Die Antwort lautet also Nein; der 39-Jährige möchte seine kompetitive Seite nur noch beim Golfen ausleben (Handicap: 6).
Der erfolgreichste Olympiateilnehmer der Geschichte ist in Paris so etwas wie der Super-Hobby-Olympionike geworden. Schlug er die Gegner früher im Schwimmbecken, so zieht er nun in Nahbarkeit davon. Er posiert mit seiner Frau und dem jüngsten der vier gemeinsamen Söhne, dem sechs Monate alten Nico, vor Sehenswürdigkeiten. Gibt Snoop Dogg eine Schwimmlektion. Besucht das Golfturnier. Nimmt Partyeinladungen an, alles neben seiner Expertenrolle für den Fernsehsender NBC.
Und er lässt sich souverän durch das Sammelsurium von Fragen an ihn treiben, spricht mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Hingabe über die chinesischen Schwimmer, die vor Tokio 2021 positiv getestet wurden und in Paris dennoch starten durften («Ich bin immer noch der Meinung, dass man bei einem Dopingfall lebenslang gesperrt sein sollte»), wie über Erinnerungen an sein Leben im olympischen Dorf damals («Meine Füsse haben jeweils von den Knöcheln an über die Betten gehangen»).
Phelps weiss, die Leute wollen ihn immer noch sehen. Und so viel Spass er auch haben mag – grundsätzlich ist er in einer ernsteren Mission unterwegs. Die er nur übermitteln kann, wenn ihm die Menschen zuhören: Er will die psychische Gesundheit von Profisportlern thematisieren und verbessern.
Über seine eigene Geschichte hat er längst und ausführlich geredet. Über seinen Alkoholmissbrauch, Verhaftungen wegen Trunkenheit am Steuer, über seine Depressionen, gar Selbstmordgedanken. Nach den Olympischen Spielen in London 2012, damals war er längst x-facher Olympiasieger, verliess er sein Zimmer vier Tage lang nicht, ass und schlief nicht mehr.
«Ich war nicht glücklich mit der Person, die ich war», sagte er in einer Doku. Bis zu 80 Prozent der Athleten litten an einer Art postolympischer Depression, wenn auch die meisten nicht in dem Ausmass wie er selbst. Doch er dachte, dass es Schwäche implizieren würde, nach Hilfe zu fragen. Als er sich schliesslich in eine Klinik einliefern liess und Hilfe annahm, merkte er, dass das Gegenteil der Fall war: Erst jetzt wurde alles leichter.
Die Botschaft: Rede über deine Probleme!
Das betont er auch in Paris immer wieder. Dass er etwa grossen Respekt habe vor dem neuen 100-Meter-Olympiasieger Noah Lyles. Dieser hatte zwar schon früher über seine Depressionen gesprochen, schickte aber noch in der Nacht des grossen Triumphes über die sozialen Netzwerke die Botschaft in die Welt, dass allfällige Krankheiten, die man habe, nicht definierten, was man werden könne. «Indem du darüber redest, kannst du das hinter dir lassen und wirst stärker», sagt Phelps. «Ich bewundere ihn dafür.»
Ebenso bewundere er Léon Marchand, den neuen französischen Schwimmstar. Es sei schön zu sehen, wie dieser er selbst sein könne. Über dessen Leistungen war Phelps nicht erstaunt. Die beiden hatten sich zum ersten Mal getroffen, als Marchand Phelps an der WM 2023 den Weltrekord über die prestigeträchtigen 400 m Lagen abgenommen hatte.
Vor allem aber ist Marchand heute ein Schüler von Phelps’ ehemaligem Trainer Bob Bowman, «der heute wie ein Grossvater für meine Kinder ist». Er sei ständig darüber auf dem Laufenden, was und wie Marchand trainiere. Entsprechend wusste er auch, dass dieser alle Arbeit gemacht hat, die es für solche Leistungen braucht.
Beeindruckt hat ihn allerdings Marchands Double von 200 m Delfin und 200 m Brust. Der Franzose gewann in beiden Rennen am gleichen Abend Gold, was im Schwimmsport einzigartig ist. «Das ist wohl eines der grössten Doubles im Sport, die es je gegeben hat», sagt Phelps dazu. Ob Marchand nun der neue Phelps werde? «Das müsst ihr entscheiden», sagt der Rekord-Olympiasieger in die Presserunde.