Freitag, Januar 3

Im Parlament hat sich eine Gruppe von Mitte-Ständeräten zur fast ständigen Vetomacht entwickelt.

Der 15-Milliarden-Deal war in dem Moment tot, als sich der Sonderbund formierte. Ständerätinnen der Mitte-Partei hatten vorgeschlagen, einen Spezialfonds für die Armee und die Ukraine-Hilfe einzurichten – «ausserordentlich» finanziert, an der Schuldenbremse vorbei. Es hätte ein Coup werden können.

Aber bald kündigten Ständeräte derselben Mitte-Partei ihren Widerstand an. Benedikt Würth, Ständerat von St. Gallen, winkte freundlich ab: «Eine schuldenfinanzierte Übung unter Umgehung der Schuldenbremse geht jedenfalls nicht.» Peter Hegglin, Ständerat von Zug, war sowieso dagegen. Und Beat Rieder, Ständerat aus dem Wallis, sagte, die Schuldenbremse habe dem Land «immer gedient»: «Ich prüfe jeden Vorstoss auf seine Verfassungs- und Gesetzmässigkeit.» Er klang, als sei er ein Ein-Mann-Verfassungsgericht.

Und es war klar, was das bedeutete: Der Deal wird nicht zustande kommen. Das war vor einem Monat. An diesem Montag wird er im Ständerat beerdigt.

Benedikt Würth, Peter Hegglin, Beat Rieder und einige weitere Ständeräte der Mitte-Partei haben in den vergangenen Jahren eine ungewöhnliche Macht im Bundeshaus erlangt. Sie gehören zur grossen Mitte-Gruppe in der kleinen Kammer, aber ihre Allianzen reichen weiter – bis in die FDP, bis in die SP hinein. Sie bilden eine Vetomacht gegen den Zeitgeist. Einige von ihnen kommen aus Gebieten, die damals im Sonderbundskrieg des neunzehnten Jahrhunderts unterlagen, als die liberale über die konservative Schweiz triumphierte. Die alten Widerstandsgebiete waren Stammlande der CVP, der traditionsreichen katholischen Milieupartei, die in diesen Kantonen lange absolute Mehrheiten hatte – und teilweise bis heute hat. Gemeinsam mit anderen bilden die Ständeräte aus diesen Gebieten noch immer einen Sonderbund im Bundeshaus.

Sie haben – natürlich immer gemeinsam mit anderen, wie sie betonen würden – nicht nur den 15-Milliarden-Deal erledigt, sondern jüngst auch den parlamentarischen Protest gegen das Klima-Urteil aus Strassburg entfacht, den Ausbau der Solarenergie beschleunigt, die Asylcontainer von Elisabeth Baume-Schneider verhindert, Daniel Jositsch im Bundesratsrennen gehalten, und sie haben gegen den Willen von Gerhard Pfister, ihrem eigenen Parteipräsidenten, den Gegenvorschlag zur Prämieninitiative der SP zuerst zurückgewiesen und dann zusammengestrichen.

Gerhard Pfister sagte damals: «Die grossen Ständeräte der CVP wussten immer um die Bedeutung der Partei. In parteistrategisch wichtigen Fragen hielten sie sich an die Räson der CVP.» Es war der Versuch, seine Ständeräte zu führen. Sie werden milde gelächelt haben, als sie davon hörten.

Wie gross ist die Macht dieses Sonderbunds?

Deal or No Deal

Der bisher wohl grösste Coup war ein Steuer-AHV-Deal im Jahr 2019. Daran lässt sich illustrieren, wie der Sonderbund funktioniert. Es ging um eine unpopuläre Reform der Firmensteuern. Um sie bei der Bevölkerung beliebt zu machen, hat das Parlament die Vorlage mit Milliarden für die populäre AHV aufgespritzt. Den Deal haben zwei zentrale Sonderbundsfiguren geprägt: Pirmin Bischof, Ständerat von Solothurn, der seinerzeit die entscheidende Kommission präsidierte, und Konrad Graber, der damalige Ständerat von Luzern, ein Strippenzieher vor dem Herrn.

Die Geschichte ist nicht ohne Ironie. Die Einheit der Materie war beim Steuer-AHV-Deal, den der Sonderbund mit aller Macht durchdrückte, genauso fragwürdig wie beim Armee-Ukraine-Deal, den der gleiche Sonderbund ablehnt.

Es spielt in dieser Welt eben eine Rolle, wer etwas macht und, vor allem, wie. Tricks akzeptiert man nicht, ausser sie entstammen der eigenen Eingebung. Der Steuer-AHV-Deal war meisterhaft eingefädelt. Entscheidende Figuren von SP bis SVP waren vorinformiert. Sie hielten dicht – und vor allem ihr Versprechen, die Vorlage in ihren Fraktionen durchzusetzen. Sonderbündler kommen noch heute ins Schwärmen, wenn sie davon erzählen. Und sie schütteln indigniert den Kopf, wenn sie an das Vorgehen ihrer Parteikolleginnen denken, die nun mit dem Armee-Ukraine-Deal scheitern werden.

Das komme davon, wenn nicht die entscheidenden Leute involviert seien, heisst es aus dem Sonderbund. Und wenn rote Linien ignoriert würden: in diesem Fall die Schuldenbremse. Um sich mit dieser Haltung in der eigenen Partei und gegen die eigenen Ständerätinnen durchzusetzen, machte der Sonderbund, was sich für ihn immer wieder bewährt hat: Über wichtige Geschäfte entscheidet er, bevor sich die Nationalrätinnen und Nationalräte damit befassen können, in den separaten Sitzungen der Ständeratsgruppe. Dort ist man unter sich, der Parteipräsident und der Fraktionschef, beide Nationalräte, dürfen nur auf Einladung teilnehmen – mitdiskutieren oder gar abstimmen dürfen sie nie.

So lehnte der Sonderbund den Armee-Ukraine-Deal in Eigenregie ab. Als sich später die gesamte Bundeshausfraktion der Mitte-Partei zur Sitzung traf, tauchte der Vorstoss nur noch als sogenanntes Informationstraktandum auf. Ohne Diskussion. Thema erledigt.

Die Machtformel

Ermöglichen und verhindern: Der Sonderbund kann beides, inzwischen noch besser als früher. Einflussreich waren die Ständeräte der Mitte immer, auch damals schon, als ihre Partei noch CVP hiess. Im Moment ist ihre Position speziell stark, aber das kann sich ändern, die Formel ihrer Macht ist fragil. Sie hängt von zwei Faktoren ab.

Erstens: die einzigartige Stellung der Mitte-Partei in der Berner Machtmechanik. Im Bundesrat ist die Partei geschwächt, vertreten nur noch durch Viola Amherd, aber sie kann dies mit einer exklusiven Position im Parlament kompensieren. Im National- und im Ständerat kann sie wechselnde Mehrheiten bilden, mal mit FDP und SVP, mal mit SP und Grünen. Alle sind auf die Mitte angewiesen.

Zweitens: die einzigartige Stellung des Sonderbunds innerhalb der Mitte-Partei, gegenüber den Nationalräten und der Parteispitze. Als Präsident Pfister vor zwei Jahren mit der SP einen milliardenteuren Sozialpakt vereinbarte – Teuerungszulage in der AHV, Ausbau der Prämienverbilligung –, diskutierte er zwar mit den Sonderbündlern, appellierte, machte Druck. Aber nicht alle gaben nach. Der Pakt scheiterte. In keiner Partei sind die internen Spannungen grösser, nirgends sonst haben die Ständeräte mehr Gewicht. Das liegt an ihrem Selbstverständnis, aber auch an ihrer Anzahl. Während die Mitte-Partei im Nationalrat stark schrumpfte, konnte sie sich im Ständerat mit fünfzehn Sitzen als stärkste Gruppe halten.

Daraus folgt die Machtformel des Sonderbunds: Ohne Ständeräte läuft in der Mitte nichts. Und ohne Mitte läuft im Parlament nichts.

Solitäre und Solisten

Der Sonderbund spricht nicht gerne über sich selbst. Biografische Fragen? Lieber nicht. «Ich möchte keine Homestory.» So gross der Stolz über die eigene Rolle sein mag – Macht verflüchtigt sich in der Politik oft dann, wenn man sie benennt. Es ist auch nicht immer klar, wer alles zum Sonderbund gehört. Ständeräte sind Solitäre, gewählt im Majorzverfahren, oft mit absoluter Mehrheit. Beat Rieder erreichte im Oberwallis fast 93 Prozent aller Stimmen. Erich Ettlin, Ständerat von Obwalden, wurde sogar in stiller Wahl nach Bern delegiert, niemand wagte, gegen ihn anzutreten.

Zwar ist man Mitglied der Mitte-Partei, aber nach Bern gewählt von seinem Kanton. Rechenschaft legt man nur noch vor sich selbst ab, nicht vor dem Parteipräsidenten. Am liebsten agiert man im kleinen Kreis, unter Eingeweihten. Die Allianzen ändern sich – lange wusste sowieso niemand, wer wie abgestimmt hatte, es wurde im Ständerat schlicht nicht erfasst. Auf Bildern sieht man die Sonderbündler, wie sie zuhinterst im Saal beieinandersitzen, kritischen Blickes über Akten gebeugt: Ist ein neuer Deal möglich?

Fraktionszwang ist ein Wort, das man im Ständerat nicht ausspricht, sondern ausspuckt. Es gibt keine Fraktionen wie im Nationalrat, es gibt nur Gruppen. Gruppenchef der Mitte-Partei ist Pirmin Bischof, Ständerat seit 2011. Er vergibt die Kommissionssitze, leitet die Sitzungen, legt die Traktanden fest, entscheidet, ob und wann über ein Geschäft abgestimmt wird. Seit fast zehn Jahren schon macht er das, die Freude am Amt und am Fädenziehen hat Bischof nicht verloren, und er verhehlt das auch nicht. Über die Bezeichnung «Sonderbund» lacht er. «Man sollte unsere Rolle auch nicht überschätzen.»

Die Sprache des Sonderbunds ist ironisches Understatement – der Code der Mächtigen. Pirmin Bischof führt eine Gruppe von Solisten und Charakterköpfen, politisch keineswegs homogen, mit Tendenzen ins Unberechenbare. Wenn Anliegen scheitern, steht oft das eigene Selbstbewusstsein im Weg. Konservative Töne dominieren, doch immer wieder gibt es linke Nebengeräusche.

Man ist zwar Parlamentarier, aber das Regieren gewöhnt. Die Gruppe umfasst viele frühere Mitglieder von Kantonsregierungen, Frauen und Männer, die selbst sagen wollen, wo es langgeht. Benedikt Würth aus St. Gallen gehört dazu, der in seinem politischen Leben von Gemeinde- bis Regierungspräsident fast alles war. Er kümmert sich gerne ums Grundsätzliche: Finanzpolitik, Staatspolitik. Oder Peter Hegglin aus Zug, auch er langjähriger Regierungsrat und wegen mangelnder Englischkenntnisse («En English, c’est difficult») nur fast Bundesrat. Er führt jeweils den Freischarenzug gegen all jene, die Jahr für Jahr im Budgetprozess die Schuldenbremse angreifen. Zum exklusiven exekutiven Klub zählen auch Daniel Fässler aus Appenzell Innerrhoden oder die Urnerin Heidi Z’graggen.

Man muss aber nicht regiert haben, um im Sonderbund mitzuregieren. Alle haben ihre eigene Rolle. Beat Rieder, Anwalt aus dem Lötschental, ist auch deshalb einer der mächtigsten Drahtzieher im Bundeshaus, weil er gerne im Schatten bleibt. Er pflegt Allianzen zu allen Gruppen und überlässt anderen die Show, wenn diese sie eher brauchen als er selbst. Jüngst ist zudem einer dazugestossen, der den Sonderbund noch verstärken könnte: der Tessiner Fabio Regazzi, als Präsident des Gewerbeverbands von Amtes wegen ein Schwergewicht. Schon im Nationalrat gehörte Regazzi zu den wenigen, die sich gelegentlich dem Kurs von Gerhard Pfister widersetzt haben.

Der Sonderbund ist ein sehr maskuliner Männerbund, in dem man sich noch gegenseitig seine Eitelkeiten gönnt. Manchmal sucht man die Machtprobe auch nur, weil man kann. Als die SP im Jahr 2022 ihre Bundesrätin Simonetta Sommaruga ersetzen musste und der SP-Ständerat Daniel Jositsch (fallweise ein Verbündeter des Sonderbunds) als Mann nicht antreten durfte, waren es Ständeräte der Mitte-Partei, die 58 Stimmen für Jositsch organisierten. SP-Nationalrat Jon Pult bezeichnete es als «kleines Aufbegehren des patriarchalen Restbestands im Parlament».

Der Mitte-Präsident Gerhard Pfister, der vor allen Mikrofonen erklärte, seine Partei werde sich an die Wahlempfehlung der SP halten, hatte keinen Zugriff auf seine Ständeräte. Er ist es gewohnt.

Gerhard Pfister, Zentralist

Pfister ist gross geworden im katholischen Milieu, im Sonderbundskanton Zug. Er kennt die Geschichte, für eine Reportage hat er einmal die Stelle besichtigt, an der das entscheidende Gefecht im Sonderbundskrieg verlorenging. Er kam als Konservativer in die Politik, aber als Parteipräsident ist er zu der Überzeugung gelangt, er müsse das katholisch-konservative Erbe opfern, um die Partei zu retten. Aus der CVP hat er die Mitte gemacht, eine zunehmend zentralistisch geführte Partei, die sich in sozialen Fragen nach links ausrichtet. Er glaubt, das bringe den grösstmöglichen Erfolg. Und er sieht sich durch die Wahlgewinne der vergangenen Jahre bestätigt. Aber seine Ständeräte kann er davon nicht überzeugen, sie sehen sich zuerst ihren Kantonen und dem eigenen Gewissen verpflichtet.

So ist Gerhard Pfister, der konservative Föderalist, im Kampf gegen seine Ständeräte zum Zentralisten geworden. Und steht, ausgerechnet jetzt, dem ersten schlagkräftigen Sonderbund der Geschichte gegenüber.

Exit mobile version