Mattia Croci-Torti erklärt, wieso er seinen Vertrag bis 2028 verlängert hat, weshalb Renato Steffen zuweilen kein einfacher Spieler ist und warum es keinen FC Tessin geben kann.
Der FC Lugano führt die Super-League-Tabelle an, der Klubbesitzer heisst Joe Mansueto und ist Milliardär. Auch mit dem Geld des Amerikaners entsteht gerade ein neues Stadion, doch noch hausen die Luganesi wie Bettler, im Bauch des baufälligen Cornaredo. Dort hat auch Mattia Croci-Torti, der 42-jährige Trainer der Tessiner, sein spärlich eingerichtetes Büro; hinter einem schmalen Tisch hängt ein Foto der drei Töchter an der Wand.
Croci-Torti ist im nahen Mendrisiotto aufgewachsen, er brachte es zum Rechtsverteidiger, der in der Challenge League rund 200 Spiele absolvierte, vor allem für Chiasso und Lugano. Die Trainerkarriere lanciert er als Assistent, ehe er im FC Lugano seine Chance bekommt – und sie ergreift. Seine Bilanz kann sich sehenlassen: Cup-Sieg 2022, zwei weitere Cup-Finals, dazu die Ränge 4, 3 und 2 in der Super League und ausgedehnte Europacup-Ausflüge.
Mattia Croci-Torti, Sie waren Co-Trainer im FC Lugano, als Joe Mansueto im August 2021 den Klub übernahm. Erinnern Sie sich, wie Sie auf die Nachricht reagierten?
Ich habe das Gleiche gemacht wie alle: Ich habe den Namen gegoogelt, von seinem Vermögen gelesen, mehrere Milliarden Franken. Und ich habe mir die gleiche Frage gestellt wie alle: Was hat er mit dem FC Lugano vor?
Sie wurden dann interimistisch Trainer in Lugano.
Ja, und die neuen Chefs um Georg Heitz sagten mir gleichzeitig, dass sie einen Trainer suchten, aber nicht innerhalb von zwei Tagen. Ich habe mich gefreut, dass ich in der Super League Trainer sein durfte. Aber es war für mich auch klar, dass ich nur der Feuerwehrmann war. Doch dann holten wir gegen Basel einen Punkt und gewannen im Cup gegen Xamax.
Sie sind immer noch da, inzwischen als dienstältester Trainer der Super League – und Lugano ist der meistgenannte Anwärter auf den Meistertitel.
Ganz ehrlich: Ich hätte nie gedacht, dass wir in den dreieinhalb Jahren so viel erreichen würden.
Sie haben letzte Woche Ihren Vertrag bis 2028 verlängert, davor wurden Sie in den Medien immer wieder mit anderen Vereinen in Verbindung gebracht, mit italienischen, aber auch mit YB.
Mit YB habe ich nie gesprochen. Es gab ab und zu Anfragen aus dem Ausland, vor allem nach guten Europacup-Resultaten. Aber konkret wurde es nie. Ich will irgendwann etwas anderes ausprobieren. Aber im Moment wäre es wirklich schwierig, diesen Klub zu verlassen.
Warum?
Die Perspektiven sind super. Wir liegen auf dem ersten Platz. Sind in der Conference League noch dabei. Im Juli 2026 ziehen wir in ein brandneues Stadion. Ich spüre sehr viel Vertrauen im Klub. Und man darf etwas nicht vergessen: Ich bin Tessiner, ich bin hier zu Hause.
Sie haben drei Töchter im Alter von fünf, sieben und zwölf Jahren.
Ja, und ich erlebe mit, wie sie aufwachsen. Das können nicht viele Trainer von sich behaupten. Ein Trainerkollege sagte kürzlich zu mir: «Wegen des Fussballs habe ich das verpasst, du nicht, du hast Glück.» Die Kinder sind nur einmal klein, und sie werden so schnell gross.
Was sind Sie für ein Vater?
Ein präsenter. Einer, der seinen Töchtern viel Freiheit gibt, der aber darauf achtet, dass sie sich in der Schule Mühe geben und anderen respektvoll begegnen.
Wie ergeht es Ihnen als einzigem Mann im Haus?
Es ist nicht immer einfach. Am schwierigsten wird es dann, wenn die Mädchen Teenager sind. (Lacht.)
Mit welchen drei Adjektiven würden Sie sich beschreiben?
Ich bin spontan, höre auf meinen Bauch. Ich bin hungrig, gerade war ich 30 Minuten lang schwimmen, und ich habe nur daran gedacht, wie wir das nächste Spiel gewinnen. Und ich bin emotional.
Als Sie 2021 in der Super League auftauchten, schrieben die Zeitungen über Ihre Dächlikappe, die Sie lässig über den Kopf zogen. Der Unterton: Was ist denn das für einer?
Ja, ich erinnere mich. Viele Leute, auch hier in Lugano, haben damals gesagt, dass das mit der Kappe vielleicht keine so gute Idee sei.
Die Kappe tragen Sie immer noch.
Sie bleibt. Ich fühle mich gut mit ihr. Ich habe mich schon verändert in den letzten Jahren, es gibt Dinge, die ich lernen musste. Zum Beispiel, an der Seitenlinie weniger emotional zu sein, dafür geduldiger. Mehr darauf konzentriert, zu verstehen, was auf dem Platz passiert.
Sie haben sich entwickelt, aber nicht verbogen.
Das ist eine wichtige Sache. Die Spieler merken sofort, wenn man jemand sein will, der man nicht ist. Oder wenn man jemanden kopiert.
Sie haben einst Parkett verkauft. Was haben Sie da gelernt?
Als Trainer ist man auch ein Verkäufer. Ich muss jetzt meine Ideen, meine Prinzipien an die Spieler verkaufen. Wie vorher das Parkett an meine Kunden.
Ihre Prinzipien sind italienisch angehaucht – ein gewisser Pragmatismus, ein Fokus auf Stabilität.
In der defensiven Phase bin ich sicher italienischer als die anderen Trainer in der Schweiz. Aber wenn wir den Ball haben, sind wir variabel, und es geht immer darum, Überzahlsituationen zu kreieren. Das ist der Croci-Torti-Fussball.
Ich glaube, Sie gewinnen trotzdem lieber 1:0 als 4:3.
Nein, 4:3.
Haben Sie ein Trainervorbild?
Roberto De Zerbi von Marseille. Und Fabian Hürzeler, der seit dem Sommer Brighton trainiert. Beide spielen modernen Fussball, mit vielen Rotationen, mit viel Ballbesitz. Mit Hürzeler habe ich in einem Trainingslager lange gesprochen, als er noch bei St. Pauli war.
Sie trainierten einst den Amateurklub Balerna in Ihrem Wohnort, waren viele Jahre Co-Trainer im FC Lugano. War es immer Ihr Ziel, einmal Chef im Profifussball zu sein?
Es war immer mein Ziel, im Fussball zu arbeiten. Und ich wusste, dass ich ein guter, loyaler Assistent bin. Ob man ein guter Chef ist, weiss man erst, wenn man es ausprobiert hat. Ein Chef muss jeden Tag zwei Konflikte moderieren. Damit muss man umgehen können.
Als Fussballer hat es für Sie nie zur grossen Karriere gereicht, Sie galten bei GC als Talent, verletzten sich aber früh schwer. Inwiefern sind die Fussballer von heute anders als Sie früher?
Als ich ein junger Spieler war, hatte noch niemand einen Berater. Heute hat jeder 15-Jährige einen. Die Agenten wollen verdienen. Viele Familien auch. Hinter jedem Spieler gibt es viele Leute, die eine Meinung haben. Wenn ein Spieler nicht spielt, braucht es sofort einen Wechsel. Das hat zur Folge, dass Fussball fast ein Einzelsport geworden ist. Früher gab es viel mehr Teamgeist und Solidarität innerhalb einer Mannschaft.
Jetzt ist es die Aufgabe des Trainers, das zu erzeugen.
Auf dem Platz, ja. Sonst habe ich akzeptiert, dass die Spieler heute anders ticken, dass sie eher Individualisten sind. Wir gingen früher zusammen essen, wir waren auch neben dem Platz eine Mannschaft. Heute suchen die Spieler weniger den Kontakt zueinander, sie schauen lieber in ihre Handys. Zehn Minuten nach dem Training sind alle weg.
Sie lieben den Fussball auch, weil er ein Teamsport ist. Macht Sie die Entwicklung traurig?
Nein, wer das sucht, findet es immer noch, einfach in einer tieferen Liga.
Fussball ist ein Geschäft, das zeigt sich auch in Lugano durch die Verbindung mit Chicago Fire, dem zweiten Mansueto-Klub.
Das stimmt, aber es ist eine Partnerschaft ohne grossen Druck. Mansueto hat eine Vision für den Klub, aber er lässt uns Zeit. Er will nicht, dass die Schritte grösser sind als unsere Beine, wie man im Italienischen sagt. Und er investiert Millionen in ein Stadion, das nicht ihm, sondern der Stadt Lugano gehört. Wir haben grosses Glück.
Mansueto hat aber bei seinem Besuch im Oktober auch gesagt, dass der Titelgewinn die Ambition sei.
Wir sind Erster – es ist auch meine Ambition, das zu bleiben.
Der Besitzer hat neben dem Geld für das Stadion in den letzten zwei Saisons auch jeweils etwa 20 Millionen Franken für den Spielbetrieb eingeschossen. Man kann das Wettbewerbsverzerrung nennen.
Es ist ja nicht so, dass Lugano ein arrogantes Projekt ist. Unser Besitzer ist zwar Milliardär, aber wir holen nicht jedes Jahr sechs neue Stars. Bis jetzt eigentlich nur einen: Renato Steffen.
Steffen hat unlängst wie Sie bis 2028 verlängert. Was gibt er dem Team?
Die richtige Mentalität. Eine Kultur des Gewinnens, des Erfolgs, des Willens. Das ist seine grosse Stärke, aber es ist nicht so, dass er immer ein einfacher Spieler ist.
Wieso nicht?
Es fällt ihm manchmal schwer, zu verstehen, dass nicht jeder die gleiche Mentalität, den gleichen Charakter wie er hat. Darüber diskutiere ich zuweilen mit ihm: Dass seine Mentalität eine grosse Stärke ist und wir sie brauchen. Aber dass nicht alle Leute gleich sind und es verschiedene Wege gibt, Erfolg zu haben.
Erfolg hat der FC Lugano. Aber Zuschauer immer noch nicht viele, der Durchschnitt beträgt 3800. Sie haben einmal gesagt, Sie wollten die Tessiner Kräfte bündeln. Gelungen ist das bisher nicht.
Einen FC Tessin kann es nicht geben, dafür ist der Campanilismo, der Lokalpatriotismus, im Tessin einfach zu gross. Aber man muss realistisch sein: Die Zeiten, in denen das Tessin vier Klubs im Profifussball hat, sind vorbei. Lugano ist eine gute Sache, ein gutes Projekt, gut geführt. Und bald kommt ein neues Stadion. Ich glaube, das wird den Tessinern gefallen.
Wenn der FC Lugano diese Saison nicht Meister wird, hat er eine riesige Chance verspielt. Einverstanden?
Es stimmt, dass sich uns gerade eine sehr grosse Chance bietet. Basel und YB haben zwar das bessere Kader. Normalerweise müssten wir zehn Punkte weniger haben als sie, weil sie sich in anderen Dimensionen bewegen, nur schon bei den Zuschauerzahlen. Aber ich habe immer gesagt, dass wir profitieren müssen, wenn die Grossen sich schwertun.
Das hat Lugano doch eindeutig zu wenig getan. Der Klub hat es mehrmals verpasst, davonzuziehen – wie am Sonntag beim 2:2 gegen Basel.
Wenn man kurz vor Schluss 2:1 führt, darf man das in einem solchen Spiel nicht mehr hergeben. Gegen Basel haben wir gezeigt, dass wir eine gute Mannschaft sind, aber auch eine, der noch etwas fehlt.
Was?
Der Killerinstinkt, solche Spiele heimzubringen, das dritte Tor zu schiessen. Wir sind es noch nicht gewohnt, Leader zu sein. Es ist eine neue Situation.
Nach 19 Spielen hat der FC Lugano als Leader nur 32 Punkte gewonnen, Rang sechs ist 2 Punkte entfernt. Warum ist in der Super League alles so eng beisammen?
Es gibt verschiedene Gründe. Wir haben im Europacup viel Energie gelassen, Servette hat sich nicht gross verstärkt, in Basel hat sich noch vieles verändert, als die Meisterschaft schon lief. Aber natürlich ist der Hauptgrund, dass YB Schwierigkeiten hat, was auch an der Champions League liegt, wo sie oft verloren haben.
Das waren die Niederlagen, die niemanden überrascht haben, im Gegensatz zu denen in der Super League.
Ja, aber für einen Trainer ist es nach einer Niederlage immer schwierig, das Team aufzurichten, ihm Energie zu geben. Ob du gegen Barcelona oder Aarau verlierst, spielt da keine Rolle.
Nun gibt es Leute, die sagen: Ist doch super, die Spannung in der Liga. Aber es gibt auch viele, die sagen: Die Liga ist so ausgeglichen, weil das Niveau schlechter geworden ist.
Die Leute sind nicht zufrieden, wenn YB 14 Punkte Vorsprung hat. Und jetzt sind sie auch nicht zufrieden.
Sie finden nicht, dass die Liga ein Qualitätsproblem hat?
Nein. Es ist nicht einfach, in Yverdon zu gewinnen, in Winterthur. Die letzten Aufsteiger waren unter anderen Sion, ein Traditionsverein, und Lausanne, das reiche Investoren im Rücken hat. Ich glaube, dass es nun entscheidend wird in der Super League.
Warum?
Jetzt geht es richtig los. Die Champions-League-Kampagne von YB endet bald. Basel ist eingespielt. Und auch wir können uns bis im März auf die Liga konzentrieren, erst dann geht es in der Conference League weiter.