Sonntag, September 29

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Das Knabenschiessen soll ein Volksfest sein. Dabei schloss es jahrhundertelang die Hälfte des Volkes aus.

Im Herbst greift die Zürcher Jugend zu den Waffen. Das ist seit Jahrhunderten so: Das «Knaben-Schiesset», wie der Brauch bei der ersten Erwähnung in den Quellen heisst, soll seine Ursprünge im 16. Jahrhundert haben.

Von der paramilitärischen Übung, die es früher war, entwickelte sich das Knabenschiessen immer mehr zu einem Volksfest. Es sollte aber rund 500 Jahre dauern, bis auch die Mädchen 1991 erstmals am Wettschiessen teilnehmen durften. Vorher waren sie nur als Zaungäste und Ehrendamen dabei.

Lange stand beim Knabenschiessen die Wehrhaftigkeit der jungen Männer im Vordergrund. Im 17. Jahrhundert stellt der Schützenwettbewerb den Abschluss eines mehrwöchigen Drillkurses unter der Leitung eines Hauptmanns dar.

Die Landesverteidigung bleibt für das Knabenschiessen auch Jahrhunderte später zentral. Im Jahr 1901 sagt Stadtpräsident Hans Konrad Pestalozzi bei seiner Festrede: «Wir müssen Männer heranziehen, die für das Vaterland einstehen können in Zeiten der Gefahr.»

Im Ersten und im Zweiten Weltkrieg fällt das Knabenschiessen allerdings mehrmals aus. 1939 schreibt die NZZ: «Der Mobilisation fällt auch das diesjährige Knabenschiessen zum Opfer, für das die Schützengesellschaft der Stadt Zürich alle Vorbereitungen getroffen hatte.»

Als das Wettschiessen 1941 wieder stattfindet, löst dies laut der NZZ bei «jung und alt freudigen Widerhall» aus. Die Nähe zum Militär bleibt bestehen. General Henri Guisan stattet dem Volksfest gleich mehrmals einen Besuch ab.

Auch in den Jahren nach 1945 hallt die geistige Landesverteidigung nach. Die NZZ schreibt 1954: «Ein gesunder Sportgeist ist es, der die Buben in diesen Wettstreit um die Ehre des Schützenkönigs führt, ein Sportgeist, der zugunsten der Wehrhaftigkeit mobilisiert wird, dieser schweizerischen Wehrhaftigkeit, die vom ganzen Volk getragen wird.»

Die kriegerische Komponente rückt in den folgenden Jahren aber immer mehr in den Hintergrund. «Zum rechten Schützenfest gehört die Kilbi!», heisst es in der NZZ. «Wer die rechte Lust hat, sich schütteln und schaukeln zu lassen, der findet hier seinen Spass.»

Am Knabenschiessen 1955 griffen nur die Buben zu den Gewehren – und zu den Geschenken am Gabentisch.

Im Schützenhaus im Albisgütli, wo das Knabenschiessen seit der Jahrhundertwende stattfindet, wird nicht nur der Schützenkönig geehrt, es wird auch Politik gemacht. Die Festredner, unter ihnen traditionsgemäss meist mehrere Zürcher Stadträte, lassen es sich nicht nehmen, vor potenzieller Wählerschaft Werbung in eigener Sache zu machen.

Das war auch schon in den 1960er Jahren so. Das Händeschütteln mit dem Schützenkönig gehörte zum obligaten Septemberprogramm. Der damalige Stadtrat Ernst Bieri (FDP) war vom Fest so angetan, dass er im Wettschiessen gar eine eigentliche Mannwerdung erkannte: Ob dieser grosse Augenblick, zum ersten Mal eine Waffe in den Händen zu halten, nicht ein wichtiger Schritt auf dem Weg vom Knaben zum jungen Mann sei, fragte er in seiner Festrede 1967.

Rummel und Zuckerwatte am Knabenschiessen 1961.

Mit der Jugendbewegung der 1960er und 1970er Jahre änderte sich der Kleidungsstil der Besucherinnen und Besucher. Schienen früher Anzug und Krawatte selbst für die jungen Schützen Pflicht zu sein, kleideten sich die Zürcherinnen und Zürcher in den späteren Jahren weitaus legerer.

Das Fest wird in den Berichten dieser Jahre häufig als «Jugendfest» bezeichnet – obwohl die Mädchen zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht am Wettschiessen teilnehmen dürfen.

Die klassische Achterbahn durfte am Knabenschiessen 1973 ebenso wenig fehlen wie ein «Hau den Lukas».

Durstige Kinder und modische Jugendliche am Knabenschiessen 1973.

Die zeitgemässe Kleidung passte nicht allen. Dass sich die Frauen nun nicht mehr in langen Röcken zeigten, hatte auf der «Chilbi» ungeahnte Folgen, wie die NZZ 1973 berichtete: Achterbahnen, welche die Frauenkleider über die Knie hochrutschen liessen, seien «sinnlos geworden», hiess es, «weil das weibliche Geschlecht in Miniröcken und Jeans-Hosen geht».

Das Knabenschiessen verstand sich schon früh als Volksfest. Doch jahrhundertelang schloss es die Hälfte des Volkes aus. Erst 1991 durften die Mädchen erstmals mitschiessen. Eine jahrzehntelange Diskussion war dem Entscheid vorausgegangen, ehe die Schützengesellschaft sich zum 700-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft schliesslich zu dem Schritt entschied.

Seit sie teilnehmen dürfen, sind die Mädchen aber überaus erfolgreich. Seit 1991 sind bereits sieben Schützenköniginnen gekürt worden. Beim letzten regulären Knabenschiessen vor der Corona-Pandemie setzte sich mit Neva Menzi ebenfalls ein Mädchen die Krone auf. Den Anlass deshalb neu zu benennen, davon wollen die traditionsbewussten Schützen bis jetzt aber nichts wissen.

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