Die rot-grüne Minderheit kündigt wie erwartet das Referendum an, vor dem der Finanzdirektor Ernst Stocker «Respekt» hat.
Es dauerte fast zwei Stunden, bis ein SP-Vertreter der Gegenseite in einer ausufernden Diskussion unter die Nase hielt, sie habe erst am Abstimmungssonntag zur Altersvorsorge eine «brutale Klatsche» eingefangen. Eine Mehrheit im Parlament von der SVP bis zur GLP sei eben keine Erfolgsgarantie für die Volksabstimmung, so Nicola Siegrist (SP, Zürich).
Nun sind Renten und Steuern zwei verschiedene Paar Schuhe. Parteipolitisch ist die Ausgangslage in Zürich aber ähnlich. Eine bürgerliche Mehrheit samt Mitte und GLP will die Gewinnsteuern für Unternehmen senken. Die rot-grüne Minderheit sperrt sich dagegen.
In der Debatte vom Montag im Kantonsrat sprach es ein Mann an der parteipolitischen Nahtstelle am deutlichsten aus. Diese Vorlage werde zum Eigentor, sagte Donato Scognamiglio (Freienstein-Teufen) von der EVP, die sich auf die rot-grüne Seite geschlagen hatte.
Als Unternehmer zahle er gern möglichst wenig Steuern. Doch diese bildeten nur einen Standortfaktor und nicht das einzige Problem. Kürzlich habe ihm ein Unternehmer gesagt, dessen Personal finde für den Lohn im Kanton Zürich keine Wohnung mehr, sagte der Immobilienfachmann: «Das Parlament wird diese Volksabstimmung verlieren. Ich hätte gerne eine Schlammschlacht vermieden.»
Zürich am Ende des Steuerumzugs
Die Diskussion im Rat gab schon einen Vorgeschmack. Die bürgerliche Mehrheit will wie die Regierung die Firmensteuern auf Gewinne von 7 auf 6 Prozent senken. Es ist der zweite Schritt im Vollzug der Unternehmenssteuerreform auf Bundesebene, im Zuge deren Zürich 2020 den Satz bereits von 8 auf 7 Prozent reduzierte.
Tatsache ist allerdings, dass andere Kantone die Unternehmen weit stärker entlasten. Nach dem Zürcher Steuerbelastungsmonitor 2022 bildet Zürich mit Bern das Schlusslicht in der Rangliste der Kantone. Die bürgerlichen Sprecher betonten, nicht nur die Steuerparadiese in der Zentralschweiz, sondern auch Nachbarkantone wie der Thurgau, der Aargau oder Schaffhausen sowie die Zentren Basel und Genf hätten die Gewinnsteuern deutlich gesenkt.
Für die bürgerliche Seite ist der Schritt unabdingbar, um im Wettbewerb zu bestehen. Grosse Steuerausfälle, wie sie die Kritiker an die Wand malen, erwarten sie nicht. Die Senkung um ein Prozent werde zu keinen feststellbaren Mindereinnahmen führen, stellte Christian Müller (FDP, Steinmaur) fest.
Mit Verweis auf steigende Einnahmen seit 2022 erwarten die Befürworter dynamische Effekte, also trotz tieferen Steuern höhere Einnahmen. Das sei eine Folge der guten Konjunktur in den letzten Jahren, hiess es auf der linken Ratsseite. Viel entscheidender für Unternehmen seien die hohe Lebensqualität, das gute Bildungswesen und die intakte Infrastruktur im Kanton Zürich. Dies aufrechtzuerhalten, werde angesichts der sich verdüsternden Finanzlage gefährdet.
«Zürich ist bei den Steuern moderat unterwegs», konterte Cristina Cortellini (Dietlikon) von der GLP, die geschlossen mit der bürgerlichen Seite stimmte. Auch benötigten Firmen Mittel, um Investitionen gegen den Klimawandel zu tätigen.
In der Grundsatzfrage waren die Fronten klar und die Argumente bekannt. Zwei weitere Punkte gaben zu reden. So schlug der Regierungsrat mit Blick auf eine Volksabstimmung vor, die Dividendenbesteuerung für qualifizierte Beteiligungen von 50 auf 60 Prozent anzuheben, um so eine teilweise Gegenfinanzierung zu erzielen.
Dieser Antrag war bereits in der vorberatenden Kommission chancenlos. Es gehe nicht an, die Steuersenkung auf dem Buckel der Aktionäre kleiner und mittlerer Unternehmen durchzuziehen, sagte Patrick Walder (SVP, Dübendorf). Der Treuhänder fügte an, eine Dividende auszuschütten, sei diesen ohnehin erst möglich, wenn alle Löhne und Rechnungen bezahlt und die Investitionen getätigt seien.
Dass vor allem inhabergeführte KMU betroffen wären, wie seitens der FDP betont wurde, kümmerte die rot-grüne Seite wenig. Arbeitnehmende und Rentner müssten ihr Einkommen vollständig versteuern, erwiderte Jasmin Pokerschnig (Grüne, Zürich).
Der zweite Punkt betraf den Antrag der Regierung, Gemeinden, die von der Revision besonders betroffen sind, während zweier Jahre mit insgesamt 20 Millionen Franken zu unterstützen. Der Rat verbreiterte den Kreis der begünstigten Kommunen, indem er den dafür nötigen Mindestanteil an Erträgen aus Firmensteuern senkte. Im Übrigen fiel auf, dass ausser den Städten Zürich und Winterthur, die früh Widerstand angekündigt hatten, die Gemeinden kein Thema waren.
Andere Kantone bewegen sich
Der Finanzdirektor Ernst Stocker warb engagiert für die Vorlage. Es gehe vor allem darum, das Steuersubstrat zu sichern. «Nichts steht still in diesem Land», rief er in den Saal und erinnerte daran, dass vor zehn Jahren die Kantone Basel-Stadt, Genf und Waadt höhere Gewinnsteuern als Zürich verlangt hätten, heute deutlich weniger. Einfach zu sagen, es fehle dann das Geld, sei kurzsichtig.
Stocker meinte vor dem Rat, er habe einen gewissen Respekt vor der Volksabstimmung. Die Erhöhung der Dividendenteilbesteuerung hätte nach seinen Worten die Steuersenkung verträglicher machen sollen. Er erinnerte daran, dass 2022 eine Volksinitiative der linken AL für eine Erhöhung dieses Steuersatzes auf 70 Prozent nur knapp scheiterte. Ernst Stocker betonte aber, der Regierungsrat werde die Vorlage, so wie der Rat sie beschliesse, unterstützen.
Dieser trat mit 110 zu 65 Stimmen auf das Geschäft ein und folgte in der Detailberatung mit dem gleichen Stimmenverhältnis der bürgerlichen Kommissionsmehrheit. Die Schlussabstimmung folgt in einigen Wochen. Erst danach können die Gegner das Referendum ergreifen.