Freitag, September 27

Die Schere zwischen dem Investitionsbedarf und den verfügbaren Mitteln öffnet sich immer weiter, vor allem im Hochbau.

Rechtsmittel, die zu Verzögerungen führen, wecken auch bei öffentlichen Projekten immer wieder Unmut. In den nächsten Jahren kommt eine weitere Ursache dazu: Der Kanton hat nämlich alle Investitionen aus finanziellen Gründen «priorisiert». Das heisst: Jene, die gewisse Kriterien wie Dringlichkeit, Bedeutung oder Werterhaltung nicht erfüllen, werden hinausgeschoben.

Im April sah für das Tram Affoltern noch alles bestens aus. Die von Stadt und Kanton gemeinsam erarbeiteten Pläne wurden öffentlich aufgelegt. Die federführenden Verkehrsbetriebe der Stadt (VBZ) rechneten mit dem Baubeginn 2026 und der Betriebsaufnahme Ende 2029.

Ende August wurde nicht nur bekannt, dass der grüne VCS dagegen Einsprache erhob. Sondern auch, dass der Kanton das wichtige ÖV-Projekt in seiner Investitionsplanung nach hinten verschoben hat. Bekannt machte dies der Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) fast beiläufig und erst auf die Frage eines Journalisten bei der Präsentation des kantonalen Budgets 2025.

Auf dem gleichen Weg erfuhr das Knonauer Amt, dass der Bau der Kantonsschule in Affoltern am Albis länger auf sich warten lässt. Während Jahren hatten sich die Säuliämtler für ein eigenes Gymnasium eingesetzt. Der Bezirkshauptort stellte dafür sogar ein Stück Land zur Verfügung. Im besten Fall sollte der Unterricht 2028 beginnen. Jetzt ist vieles wieder offen.

Die VBZ, die immer betonten, wie dringend eine direkte Anbindung des stark wachsenden Aussenquartiers Affoltern an die Innenstadt sei, reagieren erstaunlich zurückhaltend auf die unerfreuliche Neuigkeit. Das mag daran liegen, dass der Kanton den Grossteil der Kosten von rund 450 Millionen Franken trägt.

Man habe den Entscheid des Regierungsrats zur Kenntnis genommen, heisst es auf Anfrage der NZZ. Beruhigend wird darauf hingewiesen, dass explizit kein Projektierungsstopp verhängt worden sei. Die VBZ arbeiteten weiter an der neuen Tramstrecke. Ob sich die Verschiebung auf die geplante Tramtangente in Zürich-Nord von Affoltern bis Stettbach auswirke, sei noch zu prüfen.

Der zuständige Stadtrat Michael Baumer (FDP) lässt ausrichten, die Stadt sei bereit, Lösungsvorschläge zur Finanzierung dieser zentralen Infrastruktur zu diskutieren. Der Ball liege nun aber beim Kanton.

Steigender Investitionsstau

Andere nehmen es weniger gelassen. Im Säuliamt herrscht Aufregung. Seine Vertretung im Kantonsrat reichte schon vor einer Woche eine dringliche Anfrage ein. Eine weitere folgte diese Woche zum Tram Affoltern. Beide muss die Regierung innert fünf Wochen beantworten. Ebenso eine dritte Anfrage mit mindestens 60 Unterschriften von rot-grüner Seite, die mehr Transparenz in der Investitionsplanung fordert.

In der Tat ist unklar, welche grossen Vorhaben aufgeschoben werden sollen. Dass Stocker vor den Medien von einer «Riesenliste» sprach, trug nicht zur Beruhigung bei. Das Thema gibt bereits vor der Budgetdebatte Anfang Dezember zu reden.

Sicher ist, dass der Kanton seine Investitionen nicht mehr aus eigenen Mitteln bestreiten kann und nun die steigende Verschuldung vermeiden will. Etwas Licht im Dickicht verschafft für den Bereich Hochbau die langfristige, strategische Immobilienplanung (LSI). Der jährliche Bericht auf 25 Seiten liegt zum fünften Mal vor und erschien gleichzeitig mit dem Budget, ohne viel Aufhebens. Doch sein Inhalt ist brisant.

Dass der Kanton Zürich einen Investitionsstau vor sich herschiebt, war bekannt. Aus der LSI 2024 geht nun aber hervor, dass der Bedarf an Investitionen im Hochbau jeweils für die kommenden zwölf Jahre in nur einem Jahr um 20 Prozent von 7 auf 8,4 Milliarden Franken zugenommen hat.

Nun übersteigt der Investitionsbedarf häufig die tatsächlichen Ausgaben, weil nicht alle Projekte termingerecht realisiert werden. Deshalb hat die Regierung schon in früheren Jahren eine sogenannte Planungsreduktion vorgenommen. Diese fällt für die kommenden vier Jahre allerdings wesentlich stärker aus.

In absoluten Zahlen: Dem jährlichen Investitionsbedarf 2025–2028 von 730 Millionen Franken stehen jeweils lediglich rund 430 Millionen an vorgesehenen Investitionen gegenüber. Das sind 41 Prozent weniger.

«Verzichtsplanung» für die Universität

Besonders betroffen ist die Universität. Sie darf zwar im Rahmen des sogenannten Delegationsmodells ihre Immobilien selber planen. Doch Geldgeber bleibt der Kanton. Und der hat ab dem kommenden Jahr den Investitionsrahmen fast um die Hälfte, nämlich um 43 Prozent zusammengestrichen. Das verlange eine «Verzichtsplanung, was sich angesichts der fortgeschrittenen Grossvorhaben zwecks Investitionsschutz schwierig gestalten wird», heisst es in der LSI.

Zum Reizwort Verzichtsplanung äussert sich die Medienstelle der Universität nicht. Sie antwortet eher allgemein, die Kürzung der Bauinvestitionen habe Auswirkungen auf den ganzen Kanton, somit auch auf die Universität. Momentan würden keine Planungen gestoppt.

Derzeit prüfe man die Folgen für das kommende Budgetjahr und Verschiebungen oder Verlangsamungen einzelner Grossvorhaben über 2025 hinaus. Im Übrigen sei der nachweislich hohe und umfassende Erneuerungsbedarf bei Immobilien der Universität unbestritten.

Das Vorgehen der Regierung hat jedoch eine fast groteske Folge. Laut der Medienstelle ist der eben im August gestartete Neubau Forum UZH von Herzog & de Meuron zwischen Rämi- und Gloriastrasse mit der aktuellen Investitionskürzung nicht mehr gesichert. Und das, obwohl der Kantonsrat im März 2023 dafür fast 600 Millionen Franken bewilligt hatte.

Solche Widersprüche lassen sich derzeit nicht auflösen. Weil die Immobilienplanung eine direktionsübergreifende Querschnittsaufgabe ist, informiert zentral die Staatskanzlei. Dort erhält man nur die allgemeine Auskunft, dass der Kanton im nächsten Jahr 1,3 Milliarden Franken in seine Infrastruktur stecke und sich 2023 erstmals nach acht Jahren um 359 Millionen Franken zusätzlich habe verschulden müssen.

Der Text der LSI hinterlässt den Eindruck, als seien hier Interessen aufeinandergeprallt, oder in der kantonalen Verwaltung herrsche Ratlosigkeit. So wird fett das finanzpolitische Credo hervorgehoben, die Hochbauinvestitionen sollten «trotz steigendem Bedarf und mitunter auch kurzfristig gedrosselt werden».

Unmittelbar darauf wird ausgeführt, dass Eingriffe in fortgeschrittene Projekte in der Regel zu Mehrkosten führten und wie wichtig Projekte zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben oder für den Werterhalt der Immobilien seien. Wiederum fett gedruckt heisst es dann, ein «jähes Abbremsen würde diese wichtigen Fortschritte zunichtemachen».

Kantonsrat verlangt Auskunft

Der Kantonsrat wird sich nicht so leicht abspeisen lassen. Selbstverständlich haben seine Kommissionen die angekündigte Priorisierung der Investitionen registriert, allen voran jene für Planung und Bau (KPB). Ihre Präsidentin Barbara Franzen (FDP) sagt gegenüber der NZZ, grundsätzlich begrüsse sie es, dass sich der Regierungsrat dazu Gedanken gemacht habe.

Sie zeigt sich auch wenig überrascht, wie aus betroffenen Regionen sofort Fragen gestellt werden. Die KPB-Präsidentin betont aber wie die Regierung, es werde keine Planung gestoppt. Allenfalls würden Bauvorhaben zeitlich hinausgeschoben.

Auch andere Kommissionen hätten von der Regierung nähere Auskunft über das Ausmass der Priorisierung und deren Methodik verlangt, sagt Franzen. Ihnen sei eine Information versprochen worden. Dass es nun im Dezember im Rahmen der Budgetberatung zu einer langen Debatte über die kantonalen Investitionen kommt, erwartet sie nicht.

Immerhin verschafft der jährliche Bericht zur Immobilienplanung etwas Transparenz. Zuvor hatte niemand einen Überblick. Das ist erst der Fall, seit das Parlament nach jahrelangem Ringen gegen den hartnäckigen Widerstand des Regierungsrats ein neues Immobilienmanagement durchsetzte. Seither ist etwa auch in Zahlen ablesbar, dass der Kanton Zürich auch einen Sanierungsstau hat und eigentlich mehr in die Erneuerung seiner bestehenden Bauten investieren müsste.

Der Bericht listet 27 Projekte mit Kosten von über 100 Millionen Franken auf, die in den nächsten zwölf Jahren fertiggestellt oder in Angriff genommen werden sollen. Der Bedarf nach Neubauten und Sanierungen ist nirgends grösser als im Bildungswesen. 76 Prozent der ermittelten Summe von 8,4 Milliarden Franken für diese Zeitspanne entfallen auf Gymnasien und Hochschulen.

Jene 15 Projekte, die bereits gebaut, projektiert werden oder kurz davor stehen, sind kaum tangiert. Die Priorisierung der Immobilien, das sagte bereits der Finanzdirektor Stocker, wirkt sich zeitlich verzögert aus. Sie trifft dann eher jene 12 grossen Vorhaben, die sich erst in der Phase der strategischen Planung befinden. Diese seien noch entsprechend unsicher und gestaltbar, heisst es im Bericht, und weiter: «Dieser Handlungsspielraum sollte zwingend zur Minderung des Investitionsbedarfs genutzt werden.»

Was wohl bedeutet, dass sie auf die lange Bank geschoben werden. Alle diese 12 Grossprojekte sind Bildungsbauten, darunter 5 Bauvorhaben der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, 3 Vorhaben der Universität und (nach den Provisorien) die Neubauten der Kantonsschulen Zürich Aussersihl und Dübendorf.

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