Die abenteuerliche Randsportart wirkt wie aus der Zeit gefallen. Unser Autor war Moderner Fünfkämpfer und erklärt, weshalb sein Sport in der heutigen Form bei Olympia keine Zukunft hat.
Der Moderne Fünfkampf ist eine der faszinierendsten und abenteuerlichsten Randsportarten in der olympischen Geschichte. Die fünf Disziplinen Springreiten mit zugelosten Pferden, Degenfechten, Schwimmen, Pistolenschiessen und Geländelauf stellen an die Athleten sehr unterschiedliche, teilweise diametrale Anforderungen. Wer auf Topniveau antreten will, muss mehrmals täglich trainieren – und verzichten können.
Ich war ein solcher Idealist und hatte mich von meinem Vater inspirieren lassen, der mehrfacher Schweizer Meister und Olympiateilnehmer war. Zehn Jahre lang ordnete ich dieser Sportart alles unter. Ein Schweizer Meistertitel und ein Olympiadiplom für den 4. Rang im Teamwettbewerb an den Sommerspielen 1984 in Los Angeles waren mein sportlicher Ertrag. Doch was ich aus diesen zehn Jahren in mein späteres Leben mitnahm, wiegt alles auf, was ich in den sportlichen Erfolg investiert hatte.
Meine Lieblingsdisziplin war das Springreiten, denn die bewusste und disziplinierte Arbeit mit den Pferden war ein Erfolgsfaktor. Der Erfinder des Modernen Fünfkampfs, Baron Pierre de Coubertin, hatte bei der Premiere der Sportart im olympischen Programm 1912 in Stockholm eine klare Vorstellung vom kompletten Athleten, unabhängig von dessen sozialem Status: «Ich will zeigen, dass Läufer, Schwimmer und Fechter, die sich kein eigenes Pferd leisten können, auch nur mit gelegentlichem Reiten konkurrenzfähig sind.»
Das Wohlergehen der Tiere war eine Herzensangelegenheit. Wir pflegten, putzten, zäumten und sattelten unsere Pferde in den Trainingsställen und wechselten während des mehrstündigen Reittrainings oft mehrmals die Pferde. Die unterschiedlichsten Pferde in allen Erdteilen reiten zu können, war eine reizvolle Herausforderung. Hierzu bedurfte es einer guten reiterlichen Ausbildung. Denn Pferde ohne Hufeisen im ehemaligen Ostblock waren anders zu reiten als perfekt zugerittene Springpferde aus westfälischer Zucht an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf.
Das Reiten kann eine Lotterie sein
Um mich für die Olympischen Spiele von Los Angeles 1984 auf die amerikanischen Pferde einzustellen, hatte ich zwei Jahre zuvor eine Einladung aus den USA angenommen und mich für mehrere Monate nach San Antonio, Texas, ins Trainingszentrum für Modernen Fünfkampf begeben. Nebst den täglichen Trainingseinheiten in den anderen Disziplinen wollte ich vor allem lernen, wie amerikanische Mustangs zu reiten sind. Bis dahin hatte ich erst Erfahrungen mit der tückischen Reitdisziplin gemacht.
So etwa 1981: An meiner ersten Weltmeisterschaft in Drzonkow in Polen zog ich ein heissblütiges Pferd, mit dem ich schlecht zurechtkam. Nebst einigen Stangenabwürfen musste ich auch einen Sturz hinnehmen. Es war ein Weckruf, der mir verdeutlichte: Das Reiten mit zugelosten Pferden kann eine Lotterie sein; Können oder Unvermögen beeinflussen das Resultat massgeblich.
Nach meinem Trainingscamp in Texas erhielt ich an den WM 1983 in Warendorf eine Schimmelstute zugeteilt, die im Besitz des legendären deutschen Olympiasiegers im Springreiten, Hans Günter Winkler, war. Ein hervorragendes Pferd, aber anspruchsvoll zu reiten – das hatte mir der Altmeister noch mit auf den Weg gegeben. Mit einer fehlerfreien Runde und der besten Zeit gewann ich die Disziplin.
Ein Jahr später, an den Olympischen Spielen von Los Angeles, zog ich das Pferd Smooth Sailing, das am Morgen einen Athleten aus Nordafrika viermal abgeworfen und ihm einen Spitalaufenthalt beschert hatte. Dass ich nicht ebenfalls in den Staub flog, sondern mit dem Pferd ein akzeptables Resultat erzielte, verdankte ich meiner spezifischen Vorbereitung in Texas und der guten Ausbildung an der damaligen Eidgenössischen Pferdeanstalt in Bern. Doch schon damals drohte in der Reitdisziplin eine Erosion der Qualität, was nicht nur mich nachdenklich stimmte.
Reitbetriebe weigern sich zunehmend, gute Pferde abzustellen
Die schleichende negative Entwicklung entging auch dem Internationalen Olympischen Komitee (IOK) nicht, was zu einem Zielkonflikt führte: hier die kleine, feine Sportart der Idealistinnen und Idealisten – dort die Bestrebungen des IOK, die Spiele globaler zu machen und damit besser vermarkten zu können. Aus dieser Ausgangslage und wegen geopolitischer Veränderungen resultierte eine ungesunde Breite.
Denn in vielen neu teilnehmenden Nationen wurde das Reiten nur noch rudimentär trainiert. Das hatte schon bald zur Folge, dass viele Reitbetriebe an den Austragungsorten nicht mehr bereit waren, ihre guten Pferde für den Modernen Fünfkampf abzustellen. Berichte häuften sich, wonach Pferde in den Wettkampf gebracht wurden, die nicht für Sportwettbewerbe ausgebildet oder in unzureichender Verfassung dafür waren.
Athletinnen und Athleten sowie nationale Verbände intervenierten während Jahren beim Weltverband (UIPM). Sie forderten eine stärkere Berücksichtigung des Tierwohls und eine Anpassung der Regeln im Reiten. Doch der Verband zeigt bist heute kaum Verständnis, so dass diese Appelle wirkungslos blieben. Die UIPM hat in den letzten Jahren zwar innovative Neuerungen eingeführt – aber nicht im Reiten.
Dass die bestens ausgebildete deutsche Sportsoldatin Annika Schleu (heute Zillekens) am 5. August 2021 an den Olympischen Spielen in Tokio mit ihrem Pferd Saint Boy nicht klarkam, war nicht allein ihr Fehler. Das Pferd hatte schon im ersten Umgang mit einer anderen Athletin Sprünge verweigert und hätte ausgewechselt werden müssen. Als die schlimmen Bilder um die Welt gingen, forderte das IOK die UIPM ultimativ zum Handeln auf.
Am Tag nach dem Vorfall veröffentlichte der Deutsche Olympische Sportbund folgendes Zitat: «Zahlreiche erkennbare Überforderungen von Pferd-Reiter-Kombinationen sollten für den internationalen Verband dringend Anlass dafür sein, das Regelwerk zu ändern.» Damit hatte die UIPM die Zügel definitiv nicht mehr in der Hand.
Künftig absolvieren die Athleten einen Hindernisparcours
An den Spielen in Paris 2024 wird nun zum letzten Mal geritten, danach wird das Reiten durch einen Hindernisparcours ersetzt. Dann rennen, springen, hangeln und hüpfen die Athletinnen und Athleten über eine Art genormte Kampfbahn. Das soll attraktiv sein, dem Zeitgeist entsprechen und mehr Interesse generieren. Manche empfinden diesen neuen Modernen Fünfkampf als Zerrbild der einstigen Vision de Coubertins. Doch sie müssen anerkennen, dass diese Veränderung nach dem Reformstau der UIPM in der Reitdisziplin alternativlos war.
Sicher, es wird Athleten geben, die sich dieser Disziplin nicht mehr stellen wollen und zurücktreten werden. Dafür kommt eine neue Generation nach, und fairerweise sollten auch diese Athleten eine olympische Chance erhalten – im Idealfall mit einer jüngeren Direktion, die die Sportart aus eigener Erfahrung kennt. Nach dem Rücktritt des deutschen Weltverbandspräsidenten nach 31 Jahren sind neue Impulse und eine zeitgemässe Führung zu erwarten.
Peter Minder war im Modernen Fünfkampf 1984 Olympiavierter mit dem Team. Danach war er Sportjournalist beim Schweizer Fernsehen und Kommunikationschef des Bundesrats Ueli Maurer.