Sonntag, September 29

Die Hauptstadt Estlands atmet Geschichte, duftet nach Meer und lässt Lust an mal moderner, mal traditioneller Kulinarik aufkommen. Von Steaks über Beerendesserts bis zur höchstbewerteten Küche des Baltikums reicht das Angebot in Tallinn, wo man auch Weine aus Deutschland, Frankreich oder Portugal schätzt.

Tallinn erkundet man am besten zu Fuss. Die Altstadt ist rasch durchquert, bis zum Meer ist es auch nicht weit. Was dem Besucher sofort auffällt, ist die selbstverständlich wirkende Gemächlichkeit der Esten. Schon mehrere Meter vor dem Zebrastreifen halten die Autos, gehupt wird nicht. Man lässt sich Zeit und denkt nicht daran, einander zu stressen.

Auch in den Restaurants geht es alles andere als hektisch zu – dafür sehr neugierig. Das Land war, solange man zurückdenken kann, ein Vielvölkerstaat. Deutsche, Dänen oder Russen hinterliessen ihre Spuren und kulinarischen Vorlieben – weshalb sich die estnischen Restaurants auch heute noch gern in ganz Europa bedienen und zudem asiatische Speisen lieben. Unbedingt probieren sollte man den estnischen Wein, zumeist aus Äpfeln oder Beeren gekeltert, hiesiges Bier oder Schnaps aus der ältesten Destillerie des Landes.

«180°»: zwei Sterne am Hafen

Die unbestrittene Nummer eins der Stadt, die in einem imposanten Gebäude am Noblessner-Hafen angesiedelt wurde. Beim deutschen Zwei-Sterne-Koch Matthias Diether habe ich Hummer gegessen, Champagner getrunken und an der Theke der offenen Küche das Geschehen beobachten können. Wer das Wine-Pairing zum sechsgängigen Menu bestellt, wird mit zumeist weissen Gewächsen von Luxemburg bis Südafrika verwöhnt – es geht weltläufig und international zu.

«Noa»: hinaus zum Essen und Schauen

Einfach in den Bus der Linie eins steigen und hinaus in die Vorstadt. Gleich am Wasser der Ostsee liegt das Doppelrestaurant, das sich einen Namen gemacht hat für einen grandiosen Ausblick, aber auch für eine spannende Küche. Ich habe nur das Zweitlokal besucht, nicht das Sterne-Outlet namens «Chef’s Hall», aber mich dort sehr über warme Austern, den mit Miso glasierten Kabeljau und ein Schokoladensoufflee gefreut, das von einem 20 Jahre alten Graham’s-Tawny-Port begleitet wurde.

«Lee»: allein der Lage wegen

Fast läuft man dran vorbei. Das ruhig gelegene Restaurant befindet sich in einer grünen Nische, lediglich ein paar Stufen von den Altstadtgassen entfernt, gilt fast noch als Geheimtipp. Drinnen versucht man, estnische Traditionen und Produkte mit modernen Kochprinzipien zu verbinden. Hiesiger Käse, Fleisch von estnischen Rindern und das berühmte schwarze, leicht caramellig schmeckende Brot werden gern mit Rhabarberwein und süssem Ice-Cider ergänzt.

«Nok Nok»: thailändisch ambitioniert

Der Chef kommt gern an den Tisch und empfiehlt das, was man auch aus thailändischen Restaurants der Schweiz kennt, aber dort kaum je in dieser Qualität bekommt. In dem zentral gelegenen Restaurant habe ich einen nur wenige Sekunden gegarten Thunfisch in Form eines grandiosen thailändischen Salates gegessen und anschliessend sowohl die Froschschenkel als auch den Klassiker Pad Thai gekostet. Beachtlich umfangreich ist die Weinkarte, aber auch die hausgemachte Limonade ist zu empfehlen.

«Radio»: Bistro für jede Gelegenheit

Adresse für alle Fälle, die ein Bistro mit einer Weinhandlung kombiniert. Die offene Küche lieferte mir eine Pilz-Leber-Terrine und einen grillierten Wolfsbarsch, der natürlich nicht aus der Ostsee stammt; das Gewässer leidet bekanntlich unter Überfischung. Doch der Stimmung tat das keinen Abbruch: Der jugendlich wirkende Service berät gern zu den verfügbaren Flaschen an Trauben- und Apfelwein.

«Levier»: Kardamomschnecken zum Kaffee

Sehr guten Kaffee bekommt man hier, Kardamomschnecken, Croissants und alles, was man zu einem gelungenen Frühstück nun einmal benötigt. Das Lokal befindet sich im Rotermann-Viertel, einem einstigen Industriedistrikt, der sich längst zu einem lebendigen Quartier mit Boutiquen, Cafés und Restaurants entwickelt hat.

«Pull»: Dry-Aged Steak

Voll ist es um zwölf Uhr in diesem Lokal, und das hat seinen Grund natürlich in der Auswahl an grillierten Fleischstücken, für die sich das Restaurant einen Namen gemacht hat. Ich habe das Dry-Aged Steak gegessen, das ausgezeichnete dunkle Brot genossen und Craft-Beer getrunken. Wer die Hauptessenszeiten meidet und statt um zwölf einfach um Viertel nach eins kommt, muss nicht einmal reservieren. Die hausgemachten Smoothies sind ebenso gut wie die Desserts, die mit estnischen Traditionen (Beerenkonfitüre!) spielen.

«Anno»: beim Sommelier zu Gast

In dieser Institution geht es ebenso klein wie ambitioniert zu. Nostalgisch auch, denn das altehrwürdige Backsteingebäude fällt auf in diesem Neubauviertel Tallinns. Die moderne Küche bezieht Anregungen aus der mediterranen wie aus der klassisch französischen Kochtradition, serviert Kaviar und Gänseleber, Wildschwein und Fisch. Der Inhaber und Sommelier Erno Kaasik bietet eine Fülle von Weinen glasweise an, hat auch Moselriesling und die in Estland sehr beliebten Süssweine von Portwein bis Vin de Constance im Offenausschank.

«Mantel»: viel Gemüse auf dem Teller, viel Frische im Glas

Einen «Bib Gourmand» im «Guide Michelin» hat das in einer ruhigen Siedlung gelegene «Mantel ja Korsten» ergattert und beweist dies durch ein günstiges Menu, das auf Wunsch auch ein Wine-Pairing inkludiert. Gut, mein Seeteufel war ein bisschen über den optimalen Garpunkt hinausgeraten, aber die Gemüse, von Kürbis über Karotten bis zu Süsskartoffeln, waren prima gewürzt, der Service vermittelte gute Laune und der servierte Moselriesling viel Frische.

«Snoob»: Eleganz trifft Flair

Zum Abschluss noch ins «Snoob», das zwar ein merkwürdiges kulinarisches Konzept pflegt, aber Wert auf Qualität legt. Sushi gibt es hier ebenso wie Soba-Nudeln, Burger und Steak mit Pfeffersauce, das Ganze in einem elegant-nostalgischen Rahmen serviert. Beachtlich gut ist die Weinkarte, ausgezeichnet die Gläser, herzlich der Service. Hohe Gastkultur auf unkompliziert estnische Art.

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