Wie gesund eine Hausse ist, zeigt sich in der Erholung nach einem plötzlichen Einbruch wie nach dem US-Zollhammer von Anfang April. Es macht den Anschein, als ob sich die Märkte mit der Politik arrangiert hätten.
Ein Crash dreht auf einem Stiletto nach oben. Wie gehabt nach dem 2. April, als US-Präsident Donald Trump seine «reziproken» Zölle ankündigte und damit eine weltweite Verkaufswelle auslöste.
Ganz anders ein Bärenmarkt. Er ist eine Revolution gegen das vorherrschende Narrativ. Auf den Trümmern des diskreditieren Narrativs bilden sich neue Erzählungen. Das braucht Zeit. Es entstehen Muster, die Markttechniker als Bodenbildungen bezeichnen.
Die technische Verfassung der Erholung nach einem Crash ist entscheidend für die weitere Entwicklung. Als gut gilt sie, wenn der Markt zurückfindet zum status quo ante. Das ist derzeit der Fall, und das war bereits vor der starken Erholung am Montag so.
Das spricht dafür, dass die Märkte sich mit der Politik arrangiert haben. Sie dürften wirtschaftlichen Daten wieder mehr Platz einräumen.
Auf der politischen Bühne dürfte vor allem ein Mann durch die Märkte beobachtet werden: US-Finanzminister Scott Bessent. Er hat einen starken Verbündeten: den US-Anleihenmarkt.
Regional habe ich ab Januar eine Favorisierung Europas festgestellt.
In der Kolumne vom 3. April habe ich diese Sicht angepasst. Die Schere hat sich seither tatsächlich geschlossen. Inzwischen hat der S&P 500 gegenüber dem DJ Stoxx Europe 600 sogar einen leichten Vorteil.
Doch da die Marktbreite in beiden Regionen mässig ist, liegt das beste Momentum in kleineren Indizes, in denen Aktien aus starken Sektoren oder Industrien ein höheres Gewicht aufweisen als in den breit verfassten Indizes.
So erklärt beispielsweise die relative Attraktivität europäischer Banken von 1,15 zu ihren US-Pendants die relative Stärke des Euro Stoxx 50 und des spanischen Ibex 35 zum S&P 500.
Die Schere schliesst sich langsam
Doch da sich jetzt Sektoren und Industrien erholen dürften, die während der politisch heissen Phase benachteiligt waren, gehe ich davon aus, dass sich die weit geöffnete Schere zwischen den stärksten Sektoren etwas schliessen wird. Ich denke da an Goldminen, die wie der Goldpreis reif für eine relative Abschwächung sind. Es ist nun eine Zeit leichter taktischer Anpassungen angebrochen, die einer intensiven Beobachtung bedarf. Grosse Schritte sind nicht empfehlenswert.
Es bleiben drei Sektoren, die ein Abonnement auf relative Schwäche gelöst haben dürften: MSCI Materials, MSCI Energy und MSCI Health Care.
Nikkei und Topix gehen eigene Wege
Schwach bleibt Japan. Der Nikkei 225 hat zwar bis Oktober den Crash von Anfang Juli 2024 weitgehend aufgeholt, doch die Erholung wies technische Schwächen auf. Das gilt auch für den kapitalgewichteten Topix und den Topix 100.
In der Kolumne vom 12. September 2024 schrieb ich, dass die japanische Börse den Rückenwind eines schwachen Yen verloren hatte. Zur Illustration zeigte ich folgenden Chart:
Die Grafik endete bei der vertikalen Linie. Das ist ein gutes Beispiel für die Zeit, die eine Trendwende nach einem Bärenmarkt – in diesem Falle dem des Yen zum Dollar – braucht. Auch rund acht Monate nach dem Ende der Yen-Baisse ist noch keine Hausse entstanden. Der Yen steht aber in den Startlöchern, einen Aufwärtstrend zum Dollar einzuleiten.
Die Region Asien-Pazifik nicht unterschätzen
Zwar präsentieren sich die Märkte im Raum Asien-Pazifik unterschiedlich. Doch die relative Stärke, die sich am 12. September 2024 im iShares MSCI AC Far East ex Japan einstellte, ist ungebrochen. Dieses Produkt ist seit dem 12. September in Dollar 14% gestiegen, während der MSCI Welt (durchgezogene Linie im Chart) 5% gewonnen hat:
Auch in diesem Index kam es am 3. und 4. April zu einem Crash. Seit dem 10. April zieht er aber deutlich an, obwohl die US-Regierung die gegen China verhängten Zölle nicht ausgesetzt, sondern im Gegenteil die Tarife immer höher geschraubt hatte. Diesen Märkten räume ich weiterhin gute Chancen ein.
Darum wissen Märkte mehr
Der obige Chart soll illustrieren, dass gute technische Signale entstehen, bevor die Ursache des Crashs behoben wird. Das ist die Konsequenz davon, dass «Märkte Wissen generieren, das ohne den Marktprozess gar nicht zur Verfügung stehen würde», wie ein Gastkommentar von Lars P. Feld und Daniel Nientiedt in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 8. Mai 2025 unter dem Titel «Märkte und die Natur des Wissens» unter Bezugnahme auf Friedrich von Hayek feststellte. Selten habe ich in so wenigen Zeilen eine so prägnante Zusammenfassung von Hayeks Beitrag zur Wissensvermittlung durch den Marktprozess gelesen.
Technische Analyse wird oft noch weit unter ihrem Wert gehandelt. Allerdings hat sie meines Erachtens nur einen Wert, wenn sie im Sinne der Hypothesen von Friedrich von Hayek bezüglich Wissenserwerb und Wissensverteilung angewandt wird. Daher räume ich auch Behavioral Finance und Neuro Finance einen hohen Stellenwert zur Vertiefung der Hayek’schen Hinterlassenschaft ein.
Milei & Co. sind intellektuell Lichtjahre von Hayek entfernt
Ich habe den kurzen Artikel von Professor Feld und Dr. Nientiedt vom Walter Eucken Institut erwähnt, weil er auch mit einer Verballhornung der Leistung von Hayek aufräumt, die derzeit in den Medien herumschwirrt. Sie besteht darin, dass Hayek die libertären Ansätze zum Beispiel des argentinischen Präsidenten Javier Milei decke.
Ich zitiere aus dem Artikel: «Ein Ansatz setzt darauf, die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens so zu verändern, dass private Akteure die notwendigen Schritte von sich aus in Angriff nehmen». Rahmenbedingungen setzt bekanntlich der Staat, dem Hayek in seinem Werk durchaus und durchgehend eine Rolle zugesteht. Er hat nie für seine Abschaffung plädiert.
Das staatsphilosophische Credo von Hayek kann mit grossem Gewinn in zwei seiner Werke nachgelesen werden, nämlich in «The Constitution of Liberty» und in «Law, Legislation and Liberty».
Alfons Cortés