Freitag, September 27

Die führenden deutschen Wirtschaftsforscher erwarten für 2024 zum zweiten Mal in Folge eine leicht rückläufige Wirtschaftsleistung. Das wird auch den anstehenden Bundestagswahlkampf beeinflussen.

Deutschlands Wirtschaft steckt in einer Stagnation fest und dürfte sich im Wahljahr 2025 nur zögerlich zu erholen beginnen. Die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben am Donnerstag ihre ohnehin schon schwache Konjunkturprognose nach unten korrigiert. Neu erwarten sie, dass die Wirtschaftsleistung, gemessen am realen Bruttoinlandprodukt (BIP), im laufenden Jahr um 0,1 Prozent sinken wird. Das wäre das zweite Jahr in Folge mit einer schrumpfenden Wirtschaft, da das BIP schon 2023 um 0,3 Prozent zurückgegangen ist.

Erst für die kommenden beiden Jahre erwarten die Auguren eine schwache Erholung mit einem BIP-Zuwachs von 0,8 Prozent im nächsten und 1,3 Prozent im übernächsten Jahr. Damit haben sie die Wachstumserwartungen gegenüber der Frühjahrsprognose für 2024 um 0,2 und jene für 2025 um 0,6 Prozentpunkte nach unten revidiert.

Strukturelle Faktoren

Wie Geraldine Dany-Knedlik vom DIW Berlin vor den Medien ausführte, überlagern sich derzeit konjunkturelle und strukturelle Faktoren. «Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografi­scher Wandel und wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China haben strukturelle Anpassungsprozesse ausgelöst, die die Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft dämpfen», erklärte sie.

Die Überlagerung zeigt sich laut den Forschern besonders im verarbeitenden Gewerbe. Betroffen seien vor allem die Investitionsgüterhersteller und energieintensive Wirtschaftszweige. Ihre Wettbewerbsfähigkeit leide unter den gestiegenen Energiekosten und der zunehmenden Konkurrenz durch hochwertige chinesische Industriegüter auf den Weltmärkten. Konjunkturell mache dem verarbeitenden Gewerbe aber auch die schwächelnde globale Industrie zu schaffen.

Die strukturellen Anpassungsprozesse dürften laut dem Gutachten andauern und die konjunkturellen Bremsen sich nur langsam lösen. Das hinterlässt auch Spuren im Arbeitsmarkt: Während viele Unternehmen weiterhin über Arbeitskräftemangel klagen, ist zugleich die Zahl der Arbeitslosen in letzter Zeit wieder leicht gestiegen. Die Forschungsinstitute gehen davon aus, dass die Arbeitslosenquote von 5,3 Prozent im Jahr 2022 auf 6 Prozent in diesem und im nächsten Jahr steigen wird.

Die von der Ampelregierung im Juli angekündigte Wachstumsinitiative geht laut den Forschern zwar in die richtige Richtung. Sie sei aber sehr kleinteilig und dürfte auch 2025 noch nicht ihre volle Wirkung entfalten, zumal viele der Massnahmen noch nicht konkretisiert und beschlossen seien. Demgegenüber rechnet die Regierung in ihrem Haushaltsentwurf für 2025 fest damit, dass das Paket das Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozentpunkte erhöhen werde. Tritt das wie von den Auguren befürchtet nicht ein, könnte dies die Steuereinnahmen dämpfen und das Loch im Haushalt vergrössern.

Absage an Subventionitis

Und es könnte noch schlimmer kommen. Zu den Risiken, mit denen die Prognose belastet ist, zählte Dany-Knedlik explizit die Politik: Die Sorge über eine mögliche Handlungsunfähigkeit der Regierungskoalition, in der die tragenden Parteien offensichtlich unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen würden, könnte nochmals zunehmen, sagte sie. Dies könnte die Investitionstätigkeit noch stärker belasten als in der Prognose unterstellt.

Zugleich warnte Stefan Kooths (Kiel Institut für Weltwirtschaft, IfW Kiel) davor, einzelnen Unternehmen oder Branchen immer wieder durch neue Hilfsmassnahmen oder Subventionen unter die Arme zu greifen. Auch eine Abwrackprämie für den Umstieg auf E-Autos sei «wirtschaftspolitisch nicht zu verantworten». Sie würde bedeuten, dass man existierende Güter vernichte, nur um sie wieder ersetzen zu können. Stattdessen müssten die Rahmenbedingungen insgesamt verbessert werden.

Man müsse den Strukturwandel akzeptieren, ergänzte Oliver Holtemöller (Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH). Richtig und wichtig sei, den betroffenen Menschen zu helfen, den Übergang zu meistern. Hingegen bringe es ihnen nichts, wenn ihr Unternehmen ein Jahr lang mit Steuergeld gerettet werde und im nächsten Jahr wieder in die gleichen Probleme gelange.

Ein weiterer Sargnagel

Die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose der fünf Institute – neben dem DIW, dem IfW Kiel und dem IWH sind daran das Ifo-Institut München und das RWI beteiligt – dient als Grundlage für die im Oktober anstehende Herbstprognose der Bundesregierung. Sie ist nicht die erste schlechte Botschaft in dieser Woche: Am Dienstag hatte das Ifo-Institut den vierten Rückgang des monatlich erhobenen Geschäftsklimaindexes, des wichtigsten deutschen Stimmungsindikators, in Folge gemeldet. Am Mittwoch zählte die jüngste Konjunkturprognose der Industrieländer-Organisation OECD Deutschland zu den am schwächsten wachsenden Ländern unter den grossen Staaten.

Für die Ampelkoalition, deren Parteien mit miserablen Umfragewerten kämpfen, könnte die Wirtschaftsflaute zu einem weiteren Sargnagel werden. Sie hatte gehofft, dass ein einsetzender Aufschwung enttäuschte Wähler vor der Bundestagswahl im September 2025 wieder etwas besänftigen könnte. Je länger die Erholung aber auf sich warten lässt und je schwächer sie ausfällt, desto eher wird die Wirtschaftslage zu einer weiteren Belastung im Wahlkampf.

«Halten Sie durch!»

Umgekehrt versucht die konservative Opposition von dieser Lage zu profitieren. Friedrich Merz, der frisch gekürte Kanzlerkandidat der Unionsparteien CDU und CSU, hat begonnen, die Wirtschaft zum zweiten Hauptthema neben der Migration zu machen. Hier könne er punkten, scheint sein Kalkül zu sein, zumal der CDU laut Umfragen Wirtschaftskompetenz zugetraut wird. Am Dienstag legte er als Hauptredner beim parlamentarischen Abend der grossen Wirtschaftsverbände BDA, BDI und DIHK den Fokus ganz auf die Wirtschaftspolitik.

Es sei das erste Mal seit den frühen nuller Jahren, dass die deutsche Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Jahren schrumpfe, betonte er. Damals habe der sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 reagiert. Nun brauche es eine Agenda 2030. Merz nannte vier Bereiche, die anzugehen wären: Erstens müsse der Arbeitsmarkt «in Ordnung gebracht» und mehr Arbeitsanreize müssten geschaffen werden. Als zweiten und dritten Punkte nannte er den Abbau von Bürokratie und die Senkung der Energiekosten, als letzten eine Steuerreform. Noch gehe es ein Jahr und vier Tage bis zur nächsten Bundestagswahl, sagte der Politiker zum Abschluss und rief den Unternehmensvertretern zu: «Halten Sie durch!»

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

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