Der Schweizer Milliardenerbe wurde mit erst 23 Jahren Klubbesitzer. Sunderland dümpelte damals in den Niederungen des Profifussballs, jetzt scheint sogar der Sprung in die Premier League möglich.
Der Profifussball in England kennt viele Arten von Investoren: Oligarchen, Scheichs, Staaten, Konsortien und Familienunternehmen. Aber ein 23-jähriger Klubeigentümer war auch hierzulande neu. So alt war der Schweizer Kyril Louis-Dreyfus, als er im Februar 2021 den damaligen Drittligisten Sunderland AFC übernahm. Der heute 26-Jährige ist der jüngste Chairman, den es auf der Insel je gegeben hat.
Louis-Dreyfus besitzt mit seinen Brüdern Eric und Maurice unter Aufsicht der Mutter Margarita ein Milliardenvermögen, das auch auf seinen 2009 mit 63 Jahren an Leukämie verstorbenen Vater Robert Louis-Dreyfus zurückgeht. Gleich bei seiner Vorstellung verkündete Louis-Dreyfus ambitioniert, er sei überzeugt davon, den AFC Sunderland wieder zurück in die Premier League führen zu können.
Die Leute waren zu Beginn skeptisch ob seines Alters. Doch nun könnte ihm das Vorhaben in dieser Saison tatsächlich gelingen: Sunderland führt unter dem neuen Trainer Régis Le Bris die Tabelle der zweiten Liga mit 24 Klubs an.
Nach dem Ausstieg in Marseille sagte die Familie, Fussball sei ein faules Geschäft
Die Verbindung zwischen Kyril Louis-Dreyfus und dem 1879 gegründeten Sunderland Association Football Club stellte einst Sunderlands Minderheitseigner Juan Sartori her. Sartoris russischer Schwiegervater ist seit langem im Besitz der AS Monaco – eines Rivalen des Kultklubs Olympique de Marseille (OM), den Robert Louis-Dreyfus gekauft hatte.
Nach dem Tod des Seniors fielen die Anteile an OM seiner Frau Margarita zu. Sie veräusserte den französischen Chaosklub letztlich 2016, behielt nur 5 Prozent, angeblich für Kyril. In der Sportzeitung «L’Équipe» sagte dieser später, seine Familie wolle nichts mehr mit Fussball zu tun haben: Dies sei ein «faules Geschäft». Allerdings sei Sunderland «ein besonderes Projekt», fügte Kyril Louis-Dreyfus im gleichen Gespräch an. Als Grund nennt er die Verbundenheit der Menschen mit dem Fussball im Nordosten Englands. Sie erinnere ihn an die Begeisterung bei OM. In Zürich und Monaco hingegen interessiere sich nahezu niemand dafür, das schränke «die Expansionsmöglichkeiten» ein, sagt Louis-Dreyfus. Die Perspektive liege deshalb aus seiner Sicht in England. Damit dürfte er auch die Aussicht gemeint haben, bei einer Renaissance von Sunderland finanziell erheblich profitieren zu können.
Lange Zeit befanden sich die «schwarzen Katzen», so der Spitzname des Traditionsklubs, in den Händen des Amerikaners Ellis Short. Dessen zehnjähriges Wirken war vor allem von Misserfolgen und Schulden geprägt. Vor Shorts Abschied 2018 wurde der Verein in zwei Saisons von der ersten in die dritte Liga durchgereicht – jeweils als Letzter. Die Pechsträhne des sechsmaligen Meisters (1892, 1893, 1895, 1902, 1913, 1936) zeichnet die in der Fussballwelt berühmte dreiteilige Netflix-Serie «Sunderland ’Til I Die» nach.
Bei seinem Investment in Sunderland ging Louis-Dreyfus strategisch vor: Er sicherte sich die Anteile zu einer Zeit, in der das Interesse am Klub gering war. Schrittweise erhöhte er seinen Einfluss von anfangs 41 auf 64 Prozent und löste damit letztlich den einstigen Mehrheitsbesitzer Stewart Donald ab. Der Rest der Anteile gehört seinem Geschäftspartner Sartori.
Finanziell hat sich der Einstieg bereits gelohnt
Wegen des Absturzes des Klubs dürfte Louis-Dreyfus das Engagement nur einen vergleichsweise geringen Preis gekostet haben, die Rede ist von einer mittleren zweistelligen Millionensumme. Durch den Zweitliga-Aufstieg 2022 hat sich der Einsatz für ihn bereits gelohnt. Im Fall einer Rückkehr in die Premier League würde sich die Rendite weiter erhöhen: Auf einmal wäre Sunderland dann einen ordentlichen dreistelligen Millionenbetrag wert.
Das Gespür für Finanzen und Fussball scheint Kyril Louis-Dreyfus von seinem Vater in die Wiege gelegt worden zu sein. Der Senior kümmerte sich um das seit vielen Generationen existierende Familienbusiness, einen weltumspannenden Agrarhandelsriesen, von dem erst kürzlich erstmals Anteile an externe Investoren abgegeben wurden.
Zudem war Robert Louis-Dreyfus früherer Adidas-Chef und galt damals als einflussreicher Funktionär im Weltfussball. Gerade in Deutschland hinterliess er Spuren: In Rahmen der Sommermärchen-Affäre um die Vergabe der WM 2006 gewährte er dem Organisationschef Franz Beckenbauer ein Darlehen über 10 Millionen Franken. Die Hintergründe des Kredits sind bis heute unklar.
Kyril Louis-Dreyfus lernte durch seinen Vater von klein auf die Strukturen des Fussballs kennen. Seine Leidenschaft für das Spiel sei nicht über Nacht hereingebrochen, erzählte er der «Financial Times». Die Eltern legten in seiner Kindheit grossen Wert auf Erziehung und Bildung, er sollte wie seine Geschwister wohl keinesfalls nur vom Familiengeld leben.
Als Schüler verbrachte Kyril unter anderem ein Austauschjahr in Singapur, um «neuen Kulturen ausgesetzt zu sein und den Horizont zu erweitern», wie seine Mutter Margarita in einem Bloomberg-Interview berichtete. Später schrieb er sich für ein umfassendes Fussball- und Business-Studium an der Richmond International Academic & Soccer Academy in Leeds und London ein. Nach zwei Jahren brach er es vorzeitig ab.
Sein Werdegang wirkt, als hätte er sich seit Jahren auf eine bedeutende Rolle im Fussball vorbereitet. Als erstmals Gerüchte um eine Aktivität in Sunderland aufkamen, fand das Sportmagazin «The Athletic», dass er «nicht wie ein Novize» erscheine. Zu Louis-Dreyfus’ Plan für Sunderland gehörte, das Kader zu verjüngen und auf Talente zu setzen. Nur zwei Feldspieler sind derzeit älter als 27, die Mannschaft ist die jüngste der gesamten Liga.
Sein Vorgehen erklärte er der «Financial Times» damit, dass seiner Analyse zufolge viele Klubs auf Erfahrung setzten: Dies berge die Gefahr, kostspielige und sich auf absteigendem Ast befindende Spieler zu akquirieren. Die Strukturen für die neue Ausrichtung musste er erst einmal selbst schaffen. Als er gekommen sei, sei die Stellenliste des Klubs «fast vollständig unbesetzt» gewesen, sagte er.
Einer, der den Sunderland AFC gut kennt, ist der Ex-Profi Jan Kirchhoff, der einst anderthalb Jahre im Klub verbrachte. Am Telefon sagt er, dass man bei Sunderland «das Gefühl von brachliegendem Potenzial» habe, es liesse sich dort aus seiner Sicht eine Fussballhochburg aufbauen. Bis jetzt deutet einiges darauf hin, als könnte Kyril Louis-Dreyfus derjenige sein, der es weckt. Er würde damit das Familienerbe im Fussball doch fortsetzen.