Sexismus auf dem Fussballplatz ist verbreitet. Viele Fussballerinnen haben genug: Sie wollen nicht länger wegschauen.
Leandra Flury ist wütend. Die 24-jährige Fussballerin spielt bei den Grasshoppers Zürich. Am Samstag verlor ihr Team gegen die Frauenmannschaft des FC Basel. Es war eine knappe Niederlage, erst in der Verlängerung wurde das Spiel entschieden. Doch es war nicht der verpasste Einzug in den Cup-Halbfinal, der Flury so wütend machte.
Flury schreibt auf Instagram, viel schlimmer seien die sexistischen Kommentare von «Vollidioten» gewesen. Sie teilte ein Foto der Zuschauertribüne, auf dem zwei Männer zu sehen sind. Flury machte die Gesichter mit Clown-Emojis unkenntlich. Die Männer hätten sie beim Aufwärmen für das Spiel sexuell belästigt, ihren Körper anzüglich kommentiert, gestöhnt, als sie ihre Übungen gemacht habe. Und als sie in einen Müesliriegel biss, sagten die Männer zu Flury: «Ah ja geil, gib’s dem Riegel, dann wirst du noch ein bisschen fetter.»
Die Grasshoppers Zürich und der FC Basel haben den Vorfall mittlerweile scharf verurteilt. Sie teilten mit, dass sie die Männer identifizieren und zur Verantwortung ziehen wollen. Ihnen drohe nun ein Stadionverbot.
Spielerinnen haben gelernt, wegzuhören
Der Vorfall macht deutlich: Im Frauenfussball ist Sexismus nach wie vor ein grosses Problem. Fussballerinnen werden häufig sexualisiert, auf ihre Körper reduziert – ihre sportliche Leistung wird abgewertet.
Der jüngste internationale Skandal war die Kuss-Affäre um Spaniens ehemaligen Fussballverbandschef Luis Rubiales. Dieser küsste im August 2023 nach dem gewonnenen WM-Final die spanische Fussballerin Jennifer Hermoso. Das Foto ging um die Welt, der Aufschrei war gross. Der Verband erfand ein Zitat von Hermoso, gemäss diesem hatte sie dem Kuss angeblich zugestimmt. Hermoso widersprach und klagte Rubiales an. Später entschied ein spanisches Gericht, der Kuss sei «ohne Einvernehmen» gegeben worden.
Wie gross die Missstände im Frauenfussball sind, zeigt auch eine 2022 erschienene Recherche der «Süddeutschen Zeitung» und des NDR. Die Journalisten sprachen mit Spielerinnen von verschiedenen Ligen, mit Schiedsrichterinnen, Trainern, Fussballmanagern. Sie trafen auf alltäglichen Sexismus und strukturelle Benachteiligung der Frauen.
Hobbykickerinnen und Profifussballerinnen berichteten gleichermassen von Sexismus. Er komme von allen Seiten: von den Fussballtrainern, den Zuschauern, von den männlichen Fussballern. Die Spielerinnen mussten sich laut der Recherche Aussagen wie «Mannsweib» oder «die soll bei uns duschen» anhören, Fans legten ihnen bei Fotos die Hand auf den Po, die Trainer disqualifizierten die Leistung der Fussballerinnen, sagten, sie würden ohnehin nie das Niveau der Männer erreichen. Eine Spielerin sagte, sie alle hätten gelernt, wegzuhören.
Ein neues Selbstbewusstsein
Alisha Lehmann spielt in der Schweizer Fussballnationalmannschaft und gilt als eine der erfolgreichsten Fussballerinnen überhaupt. In der medialen Berichterstattung über sie geht es um ihr Aussehen, ihr Liebesleben, ihren Erfolg auf Social Media.
Für ihr Können auf dem Fussballfeld hingegen muss sich Alisha Lehmann offenbar oft rechtfertigen. In einem Interview sagte sie, sie höre oft, Frauen könnten nicht Fussball spielen und gehörten in die Küche. Sie ignoriere diese Kommentare: «Es wird immer Leute geben, die den Frauenfussball nicht unterstützen, weil sie denken, es sei ein Männersport.»
Frauenfussball ist weniger sichtbar als Männerfussball. Die Spiele der Frauen locken weniger Zuschauer in die Stadien, die Einschaltquoten im Fernsehen sind tiefer. Fussballerinnen verdienen einen Bruchteil dessen, was ihre männlichen Berufskollegen jährlich einnehmen: Keine Profifussballerin verdient jährlich mehr als 500 000 Dollar, bei den Männern sind zweistellige monatliche Millionengehälter möglich.
Doch das Bild ändert sich langsam. Die Zuschauerzahlen der Spiele von Fussballerinnen steigen, der Frauenfussball wird für Sponsoren und Fussballklubs attraktiver. Die Frauen-WM 2023 hat diese Entwicklung beispielhaft aufgezeigt. Die Gruppenspiele der Schweizer Fussballerinnen erreichten beim Schweizer Fernsehpublikum Marktanteile von bis zu 71 Prozent. Auch in Deutschland waren die Zuschauerzahlen hoch.
Vielleicht haben auch deshalb viele Fussballerinnen ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. Spielerinnen wie Leandra Flury setzen sich dafür ein, dass sie gleich wie männliche Fussballer behandelt werden. Und kämpfen dafür, dass es irgendwann auch bei ihren Spielen nur noch um Fussball gehen wird.