Die Stimmung beim Personal des Nachrichtendiensts des Bundes ist schlecht. Grund ist ein Totalumbau der Organisation – ausgerechnet in unruhigen Zeiten. Nun schlagen die Kantone Alarm.
Am Wochenende sorgte ein Bericht der «NZZ am Sonntag» für Aufregung: Anhand interner Dokumente wurden zahlreiche Missstände aufgezeigt, die auf den laufenden Transformationsprozess zurückgeführt werden.
Es war Christian Dussey, der den Totalumbau gleich nach seinem Amtsantritt vor bald zwei Jahren einleitete. Der Direktor des Nachrichtendiensts des Bundes (NDB) hatte den entsprechenden Auftrag von der VBS-Vorsteherin Viola Amherd gefasst, wie er in einem Interview mit der NZZ ausführte.
Seither ist im NDB kein Stein auf dem anderen geblieben beziehungsweise kaum ein Mitarbeiter auf seiner angestammten Position. Bestand ein Nachrichtendienst bis anhin im Wesentlichen aus zwei Abteilungen – der Informationsbeschaffung und der Analyse –, soll jetzt alles anders werden.
Die interne Transformation werde sich auf drei Achsen entwickeln, erklärte Dussey kürzlich. Dazu gehöre die Bildung von «Wirkungszentren», wo nachrichtendienstlicher Mehrwert erzeugt werde.
Geschaffen werden soll zudem eine «vernetzte Organisation», die als «Team of Teams» arbeite, um die Agilität des NDB zu erhöhen.
Offenbar ist die Umstrukturierung derzeit tatsächlich so diffus, wie sie sich anhört. So tönt es zumindest aus den Kantonen, deren Polizeien eng mit dem NDB zusammenarbeiten. Sie verfügen zumeist über einen kantonalen Nachrichtendienst, bestehend aus NDB-Mitarbeitern, die den Polizeikorps zugeteilt sind.
Diese Aussenstellen des NDB sind vor einigen Jahren, angesichts der Bedrohung durch IS-Terroristen auch in der Schweiz, markant ausgebaut worden. So wurden 2019 die kantonalen Nachrichtendienste um rund dreissig Vollzeitstellen erhöht. Sie werden mehrheitlich vom Bund finanziert.
Grosse Unruhe beim Personal
Doch jetzt schlagen die Kantone Alarm. Durch das Reformprojekt, das Viola Amherd angestossen hat, herrsche beim Personal des NDB eine grosse Unruhe, sagt ein Kantonsvertreter. Es habe jüngst aussergewöhnlich viele Abgänge gegeben, und die verbliebenen Mitarbeiter hätten zumeist neue Aufgaben übernehmen müssen – mit entsprechender Einarbeitungszeit. Das schaffe grosse Lücken im Tagesgeschäft.
Die kantonalen Polizeien sind auf die Zusammenarbeit mit dem NDB angewiesen. Ihnen fehlt die Verbindung zu Partnerdiensten im Ausland, über die einzig die Berner Zentrale verfügt. Auch Überwachungsmassnahmen können nicht von den Kantonen selbst eingeleitet werden, sondern müssen gemäss Nachrichtendienstgesetz vom NDB beantragt werden.
Das erfordert einen kontinuierlichen Austausch zwischen den Kantonen und dem NDB. Doch dieser Austausch klappt seit der Einleitung des Transformationsprozesses vor bald zwei Jahren immer weniger. Das sagen übereinstimmend mehrere Kantonsvertreter sowohl aus der West- wie aus der Deutschschweiz. Inzwischen sei der NDB zu einem «Flaschenhals» geworden, wie sich ein hochrangiger Kantonspolizist ausdrückt. Selbst dringliche Geschäfte blieben ungebührlich lange liegen.
Durch die vielen Abgänge seien die gewohnten Ansprechpersonen oftmals nicht mehr im Amt, und die neuen müssten sich erst einarbeiten. Das «Handwerk» des Nachrichtendiensts kann aber an keinem öffentlichen Institut gelernt werden, die interne Ausbildung «on the job» dauert rund zwei bis drei Jahre. Umso gravierender ist die geballte Häufung von Abgängen, verbunden mit einem grossen Verlust an nachrichtendienstlichem Know-how.
NDB wehrt sich
In einer Stellungnahme wehrt sich der NDB gegen solche Vorwürfe: Zwar habe der «tiefgründige Umbau» zu Problemen geführt, auch im Austausch mit den Kantonen. Doch trotz der Transformation habe der NDB seine präventiven Leistungen zur Verhinderung konkreter Bedrohungen jederzeit sichergestellt.
Demgegenüber sagt das Kadermitglied einer Kantonspolizei, es sei keine gute Idee gewesen, einen Nachrichtendienst bei laufendem Betrieb total umzukrempeln. Das gehe auf Kosten des Tagesgeschäfts, was ihm grosse Sorgen bereite. «Inzwischen ist der NDB mehr mit sich selbst beschäftigt als mit operativen Aufgaben.»
Vom NDB werde man seit Monaten vertröstet: Bis im Frühling sei man wieder à jour. Doch damit wollen sich die Kantone nicht zufriedengeben. Die Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) hat den NDB-Direktor Christian Dussey an die Sitzung von Mitte April eingeladen. Dort will man ihn mit den Beanstandungen der Kantone konfrontieren und von ihm konkrete Lösungsvorschläge einfordern.
Eine solche Einladung sei nichts aussergewöhnliches, heisst es von Seiten des NDB. Und die Medienstelle verweist auf eine Umfrage, die Mitte Januar bei den Kantonen gemacht worden sei. Diese sei durchaus zufriedenstellend ausgefallen.
Doch die vielen kritischen Stimmen sind auch der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments (GPDel) zu Ohren gekommen. Die oberste politische Aufsichtsbehörde des NDB will laut Auskunft von Präsident Stefan Müller-Altermatt in den kommenden Wochen alle Verantwortlichen anhören: die VBS-Vorsteherin Viola Amherd, den NDB-Direktor Christian Dussey, seinen Stellvertreter Jürg Bühler sowie die fünf weiteren Mitglieder der neu geschaffenen Direktion, die ihr Amt am 1. März antreten werden. «Wir wollen herausfinden, was da los ist», sagt Müller-Altermatt.
Kaum von der Hand zu weisen ist der Umstand, dass sich die Führungscrew des NDB auf verschiedenen Ebenen mit einer Vertrauenskrise konfrontiert sieht – keine gute Voraussetzung für einen Nachrichtendienst.
In diesem Geschäft sind langjährige persönliche Kontakte essenziell. Sie basieren auf gegenseitigem Vertrauen. Das betrifft nicht nur den Austausch mit den Kantonen, sondern insbesondere auch mit den Partnerdiensten im Ausland. In den vergangenen zwei Jahren gab es im NDB aber ein Mehrfaches der üblichen personellen Fluktuation. Viele bewährte Kräfte sind jüngst in andere Abteilungen des VBS gewechselt, etwa ins neu geschaffene Staatssekretariat für Sicherheitspolitik, das seinerseits noch auf wackligen Füssen steht.
Wer geblieben ist, stellt der Führungscrew ein miserables Zeugnis aus. Das hat am vergangenen Wochenende die «NZZ am Sonntag» anhand interner Dokumente aufgedeckt. Bei einer Skala mit dem Maximum von 100 Punkten wird die Leitung des NDB gerade einmal mit 35 Punkten bewertet. Im Vergleich mit dem Durchschnitt der Bundesverwaltung, der bei 61 Punkten liegt, ist das ein äusserst besorgniserregendes Resultat.
Das schlechte Ergebnis führt der NDB auf die Verunsicherung des Personals aufgrund der laufenden Transformation zurück.
Zum Vergleich: 2021 entliess Bundesrätin Amherd den Vorgänger von Dussey, Jean-Philippe Gaudin, nach kaum drei Jahren Amtszeit Hals über Kopf, nachdem er bei der Personalbefragung angeblich unter 60 Punkten gelandet war. Das hatte zur Folge, dass die Schweiz beim Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 ohne regulären Geheimdienstchef dastand. Christian Dussey trat sein Amt erst einige Wochen später an.
Die Antithese
Der 57-jährige Genfer ist so etwas wie die Antithese seines Vorgängers. Viola Amherd konnte sich mit Gaudin, einer Waadtländer Saftwurzel mit langer Karriere im Militär, nie anfreunden. Gaudin war noch von ihrem Vorgänger im VBS, Guy Parmelin, ernannt worden.
Kaum im Amt, ersetzte ihn Amherd mit Dussey, einem Diplomaten, der die letzten 25 Jahre in verschiedenen Funktionen im Aussendepartement (EDA) tätig gewesen war. Zuletzt war Dussey Botschafter in Iran. Mit ihm sind die Probleme im NDB nicht geringer geworden.
Das alles findet in geopolitisch höchst unsicheren Zeiten statt. Angesichts der multiplen Gefahrenherde ist ein funktionierender Nachrichtendienst unabdingbar für die Sicherheit des Landes. «Der Zeitpunkt für eine derart einschneidende Transformation ist denkbar schlecht», sagt einer der Kantonsvertreter. «Ich mache mir grosse Sorgen.»