Die Rose aus Stahl: Christine Eichels neue Biografie von Clara Schumann bietet zwar kaum bisher unbekannte Fakten, dafür aber ein detailliertes und ungeschöntes Psychogramm. Geben die Fakten ein solches Bild her, oder ist es seinerseits vom Zeitgeist diktiert?
Clara Schumann muss eine kalte Frau gewesen sein. Das ist der prägende Eindruck, den die Lektüre dieses Buches hinterlässt. Hierin liegt zugleich dessen Alleinstellungsmerkmal: Denn die neue Biografie von Christine Eichel bietet zwar kaum bisher unbekannte Fakten, dafür aber ein detailliertes und ungeschöntes Psychogramm: ein Charakterbild dieser deutschen Ikone, das man entgegen der heroisierenden Aufmachung als Entzauberung lesen kann.
Eichel ist promovierte Musikwissenschafterin, sie hat sich durch kluge Porträts wie zuletzt ihre Beethoven-Biografie («Der empfindsame Titan») einen Namen gemacht. Clara Schumann nennt sie in ihrer Darstellung eine «Rose aus Stahl» und liest ihr Leben vor allem emanzipationsgeschichtlich: Von Clara Schumann geb. Wieck, die ihr Vater Friedrich zum Wunderkind dressierte, könne man «ihre konsequent verwirklichte Autonomie» lernen, die sich aber gerade daraus ergeben habe, dass es ihr eben dezidiert nicht um ihr Frausein, sondern um ihr Pianistinsein gegangen sei.
Wie Marie Curie oder Rosa Luxemburg habe Clara nicht «ein diffuses Selbst» verwirklicht, sondern «für ihre Sache gebrannt». Dieser ideologiefreie Zugang erst habe den Frauen die Energie verliehen, «emanzipatorische Impulse wirklich umzusetzen». «Lebensleistung als geschlechtsunabhängige Qualität» – diese Einordnung ist der Grundbass in Eichels Lebenserzählung.
Ungeliebte Mutterrolle
Hier spricht die First-Wave-Feministin aus der Biografin. Christine Eichel, die in seinen frühen Jahren das Kulturressort des «Cicero» leitete und mit der später auf Abwege geratenen Ex-«Tagesschau»-Sprecherin Eva Herman das Buch «Das Eva-Prinzip» verfasst hat, steht prototypisch für eine Generation Frauen, die sich ihre Karriere noch weitgehend als Einzelkämpferinnen erarbeiten mussten. Entsprechend wenig gaben und geben sie auf Symbolpolitik und Quoten und setzen dagegen eine liberal-humanistische Leistungsethik, wonach die Tüchtige auf Dauer auch das verdiente Glück haben werde.
So wird Clara Schumann bei Eichel, etwas reisserisch, zu einer «Lady Gaga des neunzehnten Jahrhunderts: eine selbstbestimmte Künstlerin, die ihren eigenen Mythos erschafft» – aber eben auch eine kalte Egozentrikerin und Narzisstin. Clara selbst habe als Kind «in einem emotionalen Vakuum» gelebt, die «Wärmegrade einer echten Bindung» hätten ihr gefehlt. Infolgedessen war auch die eigene Familie «für sie weniger eine Kraft- und Glücksquelle als ein Synonym für Pflichten, die immer in Konkurrenz zu ihren eigenen Ambitionen als Künstlerin» standen.
In ihrer Ehe, die sie sich gegen den Willen des Vaters vor Gericht erstreitet, ist dann bezeichnenderweise der oft neurotische, schwermütige Robert den insgesamt acht Kindern ein liebevoller und spielerischer Vater, während Clara auf Distanz bleibt. Traurige Steigerung der matriarchalen Kälte: die ungerechtfertigte Unterbringung des Sohnes Ludwig in der Nervenheilanstalt Colditz. Da ist der Vater schon lange tot – Robert Schumann selbst starb 1856 in der Nervenheilanstalt Endenich – und kann nicht mehr helfend eingreifen. Ludwigs Briefe an die Mutter zeugen nicht nur von geistiger Klarheit, sie sind auch der herzzerreissende Ausdruck seines verzweifelten Kampfes darum, von der Mutter ernst- und angenommen zu werden.
Es ist Eichels Stärke, dass sie diese hässliche Seite an Clara Schumanns Biografie klar in den Blick nimmt. Sie gewichtet sie sogar stärker als Claras eigene Periode der Aushöhlung durch die Ehe mit Robert. Der verbot ihr das Konzertieren und suchte sie vornehmlich in die ungeliebte Mutterrolle zu drängen. In dem Kontext erfahren wir, dass Robert den Koitus mit der Gattin, bis zu dreimal pro Woche, durch «kleine Häkchen, die Sechzehntelnoten ähneln» im Haushaltsbuch markierte; und auch, dass Clara möglicherweise gezielt einige Fehlgeburten herbeiführte.
Schlüsselfigur des Musiklebens
Man kann Clara Schumanns Leben in drei Perioden aufteilen: die Wunderkindzeit (1831 gibt sie beim greisen Goethe ihren Einstand), die Jahre mit Robert und schliesslich ab 1856 die vierzig Jahre Witwenschaft, in denen sie zu einer Schlüsselfigur des deutschen Musiklebens aufsteigt. In dieser Zeit wird sie Professorin am berühmten Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main und tritt bis ins hohe Alter als Pianistin in ganz Europa auf. Ob die Beziehung zu Johannes Brahms, der als Zauberlehrling Roberts ins Leben der Schumanns tritt, auch sexueller Natur war, will Eichel nicht beantworten.
Von ihrer Generation her steht Clara Schumann zwischen der vierzehn Jahre älteren Fanny Mendelssohn-Hensel und der achtzehn Jahre jüngeren Cosima Wagner, auch charakterlich und weltanschaulich. Leider, muss man sagen, ist sie dabei der kalten Antisemitin und Kulturmanagerin Cosima näher als der feinsinnigen Fanny.
Auch im Musikalischen bezog Clara Schumann dezidiert Position. Sie setzte einen Kontrapunkt zu Liszt und Wagner, zum Schillernden und Flirrenden – so, wie sie sich als Pianistin von Kalkbrenner, Moscheles, Thalberg und vielen weiteren Tastenlöwen der Frühromantik abgesetzt hatte. Deren rauschende Melodiosität missfiel ihr; stattdessen wollte sie, unterstützt durch Brahms und Joseph Joachim, einen «reinen», «authentischen» Stil in die deutsche Musik einführen.
Doch war dies wirklich eine Errungenschaft? Und ist ihre Wiederentdeckung, wie Eichel schreibt, wirklich «überfällig»? Zum einen sind Clara Schumanns Werke längst wiederentdeckt; ihr hörenswertes Klavierkonzert erklang 2024 etwa am Lucerne Festival. Zum anderen wirkt ihr Werk im Vergleich etwa mit den Kompositionen von Fanny Mendelssohn, aber auch mit den Werken vieler anderer Zeitgenossinnen wie Emilie Mayer oder Amy Beach doch recht durchschnittlich.
Wink an den Feminismus
So bleibt das Psychogramm einer Frau, die hart zu sich selbst und zu ihrem Umfeld sein musste, es aber auch wollte. Man kann das, wie bei Eichel angedeutet, als Überidentifikation mit dem eigenen negativen Vaterbild interpretieren. Dies verbände sie wiederum mit den feministischen Pionierinnen der Nachkriegsgeneration: Denn wie die vermeintliche Proto-Feministin Clara haben auch viele von ihnen den eigenen Vätern die Kälte entwendet und zu ihrer schärfsten Waffe gemacht – und wurden darüber fast noch schlimmere Patriarchinnen.
Mit ihrem Buch will die Biografin wohl auch zeigen, dass sie diesen Fehler nicht wiederholen wollte. Gewidmet hat es Eichel nämlich ihrem Sohn – die beiden treten im Berliner Kulturleben oft als prominentes Gespann in Erscheinung. Eichels Botschaft lautet wohl: Frauen können selbständig, emanzipiert und kämpferisch sein – und zugleich warm und menschlich. Ein subtiler Wink auch an den Nachkriegsfeminismus, der in vielen Familien Schäden hinterlassen hat, die noch kaum je quantifiziert wurden.
Christine Eichel: Clara. Künstlerin, Karrierefrau, Working Mom: Clara Schumanns kämpferisches Leben. Siedler, München 2024. 432 S., Fr. 29.60.