Die Schweizer zahlen immer mehr für die Gesundheit. Doch das entspricht auch einem Bedürfnis: Heute kann sich die Bevölkerung mehr Gesundheit leisten, während sie früher die Hälfte des Haushaltsbudgets für Lebensmittel und Kleider ausgab.
Kommende Woche wird Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ihre erste Prämien-Pressekonferenz abhalten. Sie wird der Bevölkerung beibringen müssen, dass die Krankenkassenprämien auch im Jahr 2025 deutlich steigen werden.
In der Branche sind die Erwartungen klar: «Wir müssen leider mit einer Prämienerhöhung von mehr als 5 Prozent rechnen», sagt Christoph Kilchenmann, der stellvertretende Direktor des Krankenkassenverbands Santésuisse.
Es wäre der dritte Prämienschub in Folge. Nach einer Stagnationsphase hatten die durchschnittlichen Krankenkassenprämien in den Jahren 2024 und 2023 um rund 8 Prozent bzw. 5,5 Prozent zugelegt.
Wachsende Gesundheitskosten
Die Prämienerhöhungen sind nötig, weil die Kosten im Gesundheitswesen weiterhin stark steigen. Die Ausgaben in der obligatorischen Krankenversicherung (OKP) haben in den ersten sieben Monaten des Jahres 2024 um rund 5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen, wie Daten von Santésuisse zeigen. Mehr Geld wurde fast überall gebraucht: in den Arztpraxen, in den Apotheken oder in den Spitälern. Am höchsten waren die Kostensteigerungen mit 12 Prozent bei den Labordienstleistungen.
Die Krankenkassen müssen zudem eine Kostenschätzung für das kommende Jahr einkalkulieren. Es dürfte ein neuer Faktor dazukommen: «In den vergangenen Jahren stiegen die Kosten vor allem, weil eine grössere Menge an Gesundheitsleistungen verrechnet wurde, aber 2025 werden auch die Preise steigen», sagt Kilchenmann. Beispielsweise verhandeln die Spitäler gegenwärtig mit den Krankenkassen hart über Tariferhöhungen. Viele Spitäler stecken in finanziellen Problemen, weil die Lohnkosten gestiegen sind oder sie teure Neubauten finanzieren müssen. Sie drängen deshalb auf höhere Abgeltungen.
Wie stark die Prämienlast gestiegen ist
Der neuerliche Prämienschub dürfte in der Bevölkerung und in der Politik einen Aufschrei auslösen. Die steigende Prämienlast gehört seit Jahren zu den grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer.
Aber wie dramatisch ist die Situation?
Auf der einen Seite zeigt sich: Die Prämienlast hat in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich zugenommen. Vor rund zwanzig Jahren gab der durchschnittliche Schweizer Haushalt noch rund 6 Prozent seines Bruttoeinkommens für die Krankenkassenprämien aus. Dies geht aus Daten der Haushaltsbudgeterhebungen des Bundesamtes für Statistik hervor. Mit den Prämienschüben der letzten Jahre dürfte die Prämienlast auf rund 8 Prozent des Bruttoeinkommens zugenommen haben. Das ist eine klare Erhöhung.
Auf der anderen Seite zeigt sich: Die Zunahme beträgt rund 2 Prozentpunkte. Der Grund für den relativ moderaten Wert ist, dass zwar die Krankenkassenprämien deutlich gestiegen sind, aber gleichzeitig auch die Bruttoeinkommen der Haushalte stark zugenommen haben. Das relativiert das gängige Bild von einer «Prämienexplosion».
Die Allgemeinheit schultert immer mehr
Zudem zeigen sich Verschiebungen in der Art und Weise, wie die Gesundheitsausgaben finanziert werden. Der durchschnittliche Haushalt braucht heute zwar einen höheren Teil des Einkommens für die obligatorische Krankenversicherung als früher. Dafür gibt er einen geringeren Anteil für Selbstzahlungen, also Ausgaben aus der eigenen Tasche, aus.
Es hat also eine Kollektivierung der Gesundheitskosten stattgefunden. Das spiegelt sich auch in den Zahlen zur Finanzierung des gesamten Gesundheitswesens. Im Jahr 1996, als das Krankenversicherungsgesetz (KVG) in Kraft trat, finanzierten die Krankenkassenprämien rund 30 Prozent aller Gesundheitsausgaben. 15 Prozent bezahlte der Staat (Bund, Kantone und Gemeinden), etwa mittels Geldern für Spitäler oder Prämienverbilligungen. 29 Prozent bestritten die Haushalte aus der eigenen Tasche.
Mittlerweile ist der Anteil der Selbstzahlungen auf 21 Prozent gesunken. Heute dominiert die Finanzierung über Zwangsabgaben und Steuern: Die Krankenkassen und der Staat tragen 58 Prozent der Gesundheitskosten.
Bevölkerung profitiert in Form von höherer Lebenserwartung
Diese Kollektivierung ist problematisch, weil sie dazu führt, dass das Geld im Gesundheitswesen nicht effizient ausgegeben wird. Experten vermuten viel Verschwendung. Kaum ein Akteur im Gesundheitswesen hat einen Anreiz, auf einen wirksamen Mitteleinsatz zu achten – das Kollektiv zahlt es ja.
Ein Teil des Gesundheitswesens dürfte deshalb künstlich aufgebläht sein. Dennoch entspricht das starke Wachstum der Gesundheitskosten auch einem Bedürfnis der Bevölkerung. Mit steigendem Wohlstand lässt sich in allen Gesellschaften beobachten, dass die Menschen mehr für die Gesundheitspflege ausgeben. Gesundheit ist eine Art Luxusgut, das wichtiger wird, wenn die Grundbedürfnisse gestillt sind.
Diese Entwicklung zeigt sich eindrücklich auch in der Schweiz. Noch im Jahr 1966 gab der durchschnittliche Haushalt die Hälfte seines Budgets für Lebensmittel und Bekleidung aus. Ein weiteres Viertel wurde fürs Wohnen aufgewendet. Neben den Grundbedürfnissen blieb nicht viel Raum für anderes. Rund 5 Prozent des Budgets flossen in Freizeit, Kultur und Bildung, ebenfalls 5 Prozent in die Gesundheitspflege.
Heute können sich die Schweizerinnen und Schweizer mehr Annehmlichkeiten leisten. Für Lebensmittel und Kleider reichen heute 17 Prozent des Konsumbudgets aus. Das liegt auch daran, dass diese Güter wegen Produktivitätsfortschritten günstiger geworden sind. Daneben bleibt mehr Geld für Freizeit, Kultur, Reisen, Mobilität oder Restaurantbesuche. Und für die Gesundheit: Für ihre Pflege gibt der Schweizer Durchschnittshaushalt heute 15 Prozent seines Budgets aus.
Die Schweizer investieren also mehr in die Gesundheit. Und sie haben für dieses Geld etwas zurückbekommen. Die Lebenserwartung hat in den vergangenen Jahrzehnten stark zugenommen – auch dank der umfangreicheren Gesundheitsversorgung und dem medizinischen Fortschritt. Dies mag den Ärger etwas relativieren, wenn kommende Woche erneut ein Prämienschub angekündigt wird.